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Reiseführer Nordzypern

Lefkosa

Vorbemerkungen über eine nicht alltägliche Stadt

Was hat das zyprische Nicosia (türk.: Lefkosa) mit dem madegassischen Antananarivo gemein? Sie sind die einzigen, abseits der Küsten im Binnenland angesiedelten Inselhauptstädte. Die Urlaubsgäste Nordzyperns wird diese historisch begründete Besonderheit nicht weiter beeindrucken. In der frischen Brise ihrer meeresnahen Ferienresorts erscheint ihnen die ferne Stadt mit ihren 49.200 Einwohnern (2006) ohnehin als unbeschriebenes Blatt.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Der schön renovierte Büyük Han, eine faszinierende ehemalige Karawanserei mit Geschäften und Restaurant

Der schön renovierte Büyük Han,
eine faszinierende ehemalige Karawanserei mit Geschäften und Restaurant

Daß Lefkosa (sprich: Lefkoscha) kein Touristenmagnet ist, hat durchaus seine Vorzüge, zeigt es doch das unverfälschte Gesicht einer umtriebigen türkisch-zyprischen Großgemeinde. Die sonst überall präsenten und nicht selten lästigen touristischen Rituale konnten hier nie so recht gedeihen. So buhlt niemand zu überhöhten Preisen um die flüchtige Gunst durchreisender Besucher, keine Buskarawanen verstellen den Blick auf Sehenswürdigkeiten. Eigentlich erstaunlich, denn der türkisch-zyprische Sektor der Stadt kann mit einigen Glanzpunkten aufwarten. Doch sollten sich Besucher mit etwas Geduld, einer passablen Kondition und nützlichen Orientierungshilfen ausstatten, um dem eigentümlichen Charakter der "walled city", der umwallten Altstadt, nachspüren zu können. Nur hier, auf dem historischen Gelände der Stadt, werden wir uns bewegen. Die Entfernungen sind gering: vom nördlichen Zugang am Girne Tor bis zur Sektorengrenze im Süden von Türkisch-Nicosia sind es gerade 900 Meter und vom westlichen Wall zum östlichen nicht mehr als 1.300 Meter. Eine Besichtigung zu Fuß ist also möglich und sie ist gewiß die reizvollste Art und Weise, diese alten Stadtviertel kennenzulernen, allerdings mit einer Einschränkung: im Juli und August sollte man von einer Erkundungstour absehen, liegen doch Nicosias Temperaturen in der Regel noch vier bis fünf Grad über denen der Urlaubszentren um Girne und Gazi Magusa.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): In der Markthalle neben dem Bedesten gibts viel Lokalkolorit

In der Markthalle neben dem Bedesten gibts viel Lokalkolorit

Von den genannten Küstenstädten bringen Schnellstraßen nach 28 bzw. 61 km die Besucher an die Stadtgrenze von Lefkosa. Dabei werden weit ausufernde Randbezirke durchfahren, an deren Zersiedlungsgrad und oft unansehnlichem Erscheinungsbild ein scharfzüngiger Beobachter die "fehlende Rechtsverbindlichkeit von Flächennutzungsplänen und Bauvorschriften" abzulesen versteht . . . Streckenweise bilden sich großstädtisch anmutende Straßenzüge heraus, die sich verdichten, je näher man der Altstadt kommt. Doch hier, nach Passieren der breiten Schneise durch den Stadtwall am Girne Tor (türk.: Girne Kapisi) ändert sich das Stadtbild abrupt. Aus der modern-gesichtslosen Neustadt tritt der Besucher in ein dichtes Häuser- und Gassengewirr ein - voller kleiner und kleinster Läden, Restaurants und offener Werkstätten, Büros und Banken, idyllischer Winkel und Baudenkmäler, aber auch unübersehbarer Spuren des Verfalls.

An kaum einem anderen Ort Nordzyperns treten die Folgen des jahrzehntelangen "Zypern-Konflikts" deutlicher zutage als hier. Verfolgung, Krieg und Teilung ließen abgeschottete Enklaven entstehen, trieben Einwohner zur Flucht, während andere hier Schutz suchten und gingen einher mit dem Verfall einst bevorzugter Wohngebiete. Die Unrast jener Jahre, gepaart mit den Versäumnissen kommunaler und staatlicher Behörden, schufen ein Klima der Verunsicherung, ja Ausweglosigkeit, in dem die Zukunft der umwallten Stadt fast verspielt wurde. Vernachlässigung, Preisverfall, Verödung, Auszug verketteten sich zu einem unheilvollen Prozeß, der viele Bewohner resignieren und in den Neubauvierteln ein besseres Zuhause suchen ließ. Diese Entwicklung umzukehren, ist eine bleibende Herausforderung für die vielen in- und ausländischen Experten, die unter dem Dach des "Nicosia Master Plan" zu retten versuchen, was noch zu retten ist.

Ein Rundgang durch Lefkosa

Entlang der Girne Straße

Für die mehrstündige Besichtigung ist das Girne Tor ein geeigneter Ausgangspunkt. Wir werden nach unserem Rundgang hierher zurückkehren. Das Tor beherbergt jetzt ein gut sortiertes "Tourism Information Center" mit nützlichen Unterlagen über die Stadt. "Porta del Provveditore", wie die venezianischen Machthaber den gedrungenen Bau nannten, war der einzige nördliche Zugang durch den mächtigen Stadtwall, den die Venezianer in einem bravourösen Kraftakt 1567/68 aus dem Boden gestampft hatten.

Von ihren Vorgängern, den "fränkischen" Königen des Hauses Lusignan, war Nicosia zur prachtvollen, von unzähligen zeitgenössischen Reisenden überschwenglich gepriesenen Residenzstadt umgestaltet worden. Auch sie legten eine Stadtbefestigung an, keine Wälle, sondern hohe, steile Mauern, verstärkt durch Türme, die ein deutlich größeres Areal umschlossen als der spätere venezianische kreisrunde Wall. Die "fränkischen" Neuankömmlinge gaben der Stadt den Namen "Nicosia". Dagegen beharrte die griechische Bevölkerungsmehrheit auf "Levkosía", wie schon zu Zeiten, als Zypern eine Provinz des Byzantinischen Reiches gewesen war. In jener Epoche, nach Mitte des 10. Jahrhunderts, lief die kleine, unbefestigte Stadt in relativ sicherer Binnenlage Constantia (Salamis) an der Ostküste den Rang ab und wurde Inselhauptstadt.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Das kleine, nett restaurierte Samanbahce-Quartier zwischen Girne-Tor und Atatürk-Platz

Das kleine, nett restaurierte Samanbahce-Quartier
zwischen Girne-Tor und Atatürk-Platz

Relikte aus byzantinischer Zeit sind kaum noch anzutreffen, wogegen Bauten der Osmanen noch recht häufig ins Auge fallen, so wenige Schritte vom Girne Tor der frührere Kultort des Ordens der "Tanzenden Derwische", das heutige Mevlevi Museum. Rechter Hand öffnet sich einige Schritte weiter ein schmaler Durchgang in das kürzlich restaurierte kleine Samanbahce-Quartier und nach kurzem Marsch mündet die Girne-Straße auf den traditionsreichen Atatürk Platz mit seiner dekorativen Granitsäule. Einst von den Venezianern als Zeichen ihrer Herrschaft über Zypern aufgerichtet, wurde sie von den Osmanen um ihren geflügelten Markus-Löwen gebracht, den die Engländer sehr viel später durch eine kupferne Weltkugel als ihrem Herrschaftszeichen ersetzten .

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Atatürk Platz mit venezianischer Granitsäule

Atatürk Platz mit venezianischer Granitsäule

Am Rande des Platzes liegt das Saray-Hotel. Besucher fahren gerne mit dem Lift zur Dachterrasse hinauf und genießen den freien Blick über beide Teile der Stadt und das Umland. An das Hotel grenzt mit der Sarayönü ein Moscheebau, der so gar nicht den auf Zypern heimischen, osmanischen Moscheetypus verkörpert. Eine ganz andere Geschichte erzählt der Komplex auffallender Kolonialbauten auf der gegenüber liegenden Seite.

Durch traditionsreiche Wohnviertel

Folgt man nun der Sarayönü Straße nach Westen und dann noch ein Stück der nach links abbiegenden Mahmut Pascha Straße, zeigt sich die Arabahmet Moschee nach ihrer kürzlich abgeschlossenen Renovierung in neuem Glanz. Hier, im Arabahmet-Viertel, soll nach den Vorstellungen der Stadterneuerer ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegen. Das ist auch verständlich, weist doch dieser Stadtteil wie kein anderer mit seinen zahlreichen zweigeschossigen Hofhäusern einen markanten osmanischen Haustyp auf. Ende des 19. Jahrhunderts hatte das Viertel Gestalt angenommen, als sich zyperntürkische und armenische Familien, Angehörige einer neuen städtischen Elite, hier ansiedelten und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Stellung gemäße langlebige, großzügig ausgestattete Quartiere schufen.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Unterwegs im Arabahmet Viertel mit seinen traditionellen osmanischen Häusern

Unterwegs im Arabahmet Viertel

Das Arabahmet-Viertel zählt mit einer Fläche von 2,5 ha zu den kleineren Stadtteilen. Sieben Quartiere hatten die siegreichen Osmanen 1570 von den Venezianern übernommen, sie vorübergehend auf zwölf erweitert und der Stadt schließlich eine Grundordnung aus 25 nach ethno-religiösen Gesichtspunkten gegliederten Wohnquartieren und rein gewerblich genutzten Bereichen gegeben. Vierzehn Stadtteile waren überwiegend türkisch-zyprisch besiedelt, sieben griechisch-zyprisch, zwei galten als gemischte Viertel, eins bewohnten die katholischen Maroniten, ein anderes die Armenier. Diese nach ethnischen Kriterien vorgenommene Aufteilung der Stadt blieb vom 16. bis zum 20. Jahrhundert praktisch unverändert. Unter den Osmanen wurde das von dem griechischen "Levkosía" abgeleitete "Lefkosa" rasch geläufig. Nie zuvor erlebte fremdartige Gewohnheiten breiteten sich aus. Das abendländisch geprägte Nicosia nahm die Züge einer orientalischen Stadt an.

Im 19. Jahrhundert wurden die militärisch nicht mehr verwendbaren Wallanlagen für die Bebauung freigegeben. Der damalige Bauboom und die rege Bautätigkeit der seit 1878 die Geschicke der Stadt bestimmenden Engländer gaben der Inselmetropole ihr endgültiges Gesicht. Als Zypern 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, lebten im damals noch ungeteilten Nicosia 45.490 Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit. Griechische Zyprer (25.458) und türkische Zyprer (14.772) stellten die beiden größten Volksgruppen. Die armenische Gemeinde hatte 1.788 Mitglieder, die maronitische 240. Zu den "Lateinern", den röm.-kath. Nachfahren "fränkischer" ( französischer, italienischer, spanischer) Adelsfamilien, die sich im Mittelalter und der frühen Neuzeit in Zypern angesiedelt hatten, zählten sich 914 Nicosianer. 1.946 Briten und 372 Angehörige anderer Nationen vervollständigten das Bild einer "multikulturellen" Großgemeinde.

Schlendert man von der Arabahmet Moschee über die Sehit Salahi Sevket Straße mit ihren reizvolle Akzente setzenden auskragenden Obergeschossen durch die benachbarten Gassen (von denen eine inzwischen komplett restauriert ist), stößt man in der Belig Pascha Straße auf das Dervis Pascha Haus, ein ehemaliges herrschaftliches Hofhaus, das heute volkskundliches Museum ist. In westlicher Richtung, nach Überquerung der Tanzimat Straße, verläuft auf dem Stadtwall in unmittelbarer Nähe der Demarkationslinie die Zahra Straße in einer etwas unwirtlichen Gegend voller Überbleibseln aus den unruhigen sechziger und siebziger Jahren: Stacheldraht, Sichtblenden, Beobachtungstürme, Sandsäcke, dahinter der breite Wallgraben, in dem ein heute verlassenes und überwuchertes Fußballstadion die Pufferzone markiert. An dieser Stelle sei auf die besondere Situation in unmittelbarer Grenznähe hingewiesen. Empfindlichkeiten türkischer Militärangehöriger sollten ernst genommen werden. Auf unübersichtliches Gelände vorzudringen oder zu photographieren, wo es ausdrücklich untersagt ist, könnte unangenehme Konsequenzen haben.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Volkskundemuseum im Dervis Pascha Haus

Volkskundemuseum im Dervis Pascha Haus

Jenseits erkennt man den griechisch-zyprischen "checkpoint" vor dem Ledra Palace Hotel.
Der Name "Ledra" knüpft an das älteste schriftliche Zeugnis an, das mit der Stadt in Verbindung gebracht werden kann. In einer Tributliste der assyrischen Könige des 7. vorchristlichen Jahrhunderts wird unter den dort aufgeführten zehn zyprischen Stadtkönigen auch ein König von Lidir (Ledroi/Ledrai) genannt. Wie begehrt die an unterirdischen Wasserreserven reiche und fruchtbare Böden aufweisende Ebene von Nicosia seit frühester Zeit war, bezeugen in die Bronzezeit und selbst in das Neolithikum zurück reichende Siedlungsspuren. Der Name "Ledra" hielt sich bis in das vierte Jahrhundert unserer Zeitrechnung, hart bedrängt von "Levkosía", das sich von Levkos herleitete, Sohn eines hellenistischen Königs. Nach der Legende soll jener das verfallene Ledra 280 v. Chr. wieder aufgebaut haben. Offenbar blieb Ledra/Levkosía bis in die Römische Epoche ein unbedeutender Ort, während die Küstenstädte aufblühten.

Südlich der Zahra Straße schiebt sich die Roccas-Bastion (türk.: Kaytazaga Burcu) aus dem Stadtwall. Auf ihr wurde ein Spiel- und Picknickplatz eingerichtet, zugleich Aussichtspunkt in den griechischen Sektor, der am Fuß ihrer senkrecht abfallenden Böschung beginnt. Auf dem Weg in das Zentrum Alt-Nicosias fällt in Höhe des Dervis Pascha Hauses der Blick auf eine Kirchenruine. Es sind die Relikte der Armenischen Kirche.

Rund um die Selimiye

Weiter in östlicher Richtung, dem Zentrum entgegen, liegt rechter Hand die gerade restaurierte Turunclu Moschee. Ähnlich einfach in ihrer Grundform ist die Iplik Pazari Moschee im gleichnamigen Viertel ("Baumwollbasar") in der nahen Musa Irfan Bey Straße. Von hier sind es nur wenige Meter zum Büyük Hamam, dem großen Dampfbad, das im Erdboden zu versinken scheint. Die schmalen Straßen und Sackgassen ringsum zählten früher zum weitläufigen Basar der Stadt und auch heute ist ihre kommerzielle Bedeutung als Einkaufszentrum und "Freßgasse" ungebrochen.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa): Die Selimiye Moschee

Die Selimiye Moschee

Noch im Basarviertel, am südwestlichen Rande das Asmaalti Platzes, liegt mit dem mächtigen Büyük Han, eine faszinierende Karawanserei. Auf eine weitere Herberge aus osmanischer Zeit, den Kumarcilar Hani, stößt man am anderen Ende des Platzes. Nicht zu verfehlen dank ihrer alles überragenden Minarette, erhebt sich in der Nachbarschaft die Selimiye Moschee, ursprünglich Krönungskathedrale der Lusignans, seit 1570 Hauptmoschee der Muslime Nicosias. An ihre Südseite grenzt der sogenannte Bedesten, eine spätmittelalterliche Kirchenruine. Nahebei erhebt sich das aus dem 14. Jahrhundert stammende Haus des Domkapitels, in "fränkischer" Zeit Versammlungsort der Kleriker der Sophienkathedrale. Eine moderne Markthalle (Belediye Pazari) mit viel Lokalkolorit lädt auf der anderen Straßenseite zu einem anregenden Bummel ein.

In der Hauptstadt Nicosia (Lefkosa) - Einkaufen neben der Selimiye  Moschee

Einkaufen neben der Selimiye Moschee

Ein kleiner osmanischer Kuppelbau am östlichen Ende der Selimiye beherbergt die Sultan Mahmut II. Bibliothek. Schräg gegenüber lohnt ein im klassischen osmanischen Stil erbautes Palais, das Sacakli Ev, einen Besuch. Nur wenige Schritte von hier beherbergt das Lapidary Museum eine interessante Sammlung steinerner Relikte des Mittelalters. Geht man vom Platz an der Selimiye Moschee in die Yenicami Straße hinein, kommt man zum sogenannten Lusignan-Haus, einem exzellent restaurierten spätmittelalterlichen Stadtpalais. In dieser Straße liegt ein weiterer Sakralbau im gotischen Stil des südlichen Frankreich. Die ehemalige Kirche der hl. Katharina (14. Jahrhundert) wurde von den osmanischen Eroberern zur Haydar Paşa Moschee umgewandelt. Durch unterirdische Gänge mit eben dieser Katharinenkirche und der Sophienkathedrale, der heutigen Selimiye Moschee, verbunden war der 1329 errichtete Sitz des katholischen Erzbischofs, später Domizil des osmanischen Gouverneurs. Küçük Mehmet Binalari heißt das reizvolle gotisch-osmanische Architekturdenkmal. Es liegt in einer Nebenstraße, die von der Nordseite der Selimiye abgeht. Noch einmal zurück in die Yenicami Straße: An ihrem Ende weitet sich der dicht bebaute Straßenzug und die prächtig restaurierte Yeni Cami, die „Neue Moschee“, die der Straße und dem ganzen Viertel den Namen gab, gerät ins Blickfeld.

Unser Gang durch das historische Zentrum der Stadt endet hier. Der schnellste Weg zurück zu unserem Ausgangspunkt führt entlang der Selimiye, vorbei an Büyük Han und Kumarcilar Hani zum Atatürk Platz mit der venezianischen Säule und dem Saray Hotel und von dort die Girne Straße hinunter zum Girne Tor.

 


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