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Reiseführer Münsterland

 

Sendenhorst –
ein Bildhauer und verschwundene Brennereien

Wie wäre es denn mit einer Radtour vom Drostenhof in Münster-Wolbeck nach Sendenhorst? Oder soll vielleicht die alte Hansestadt Warendorf Ausgangspunkt einer Tour über Freckenhorst und Hoetmar nach Sendenhorst sein? Sendenhorst – warum denn gerade Sendenhorst als Ausflugsziel? Auf der Hand liegt die Antwort nicht, aber wer dann vor Ort ist und sich auf die Spuren der Geschichte der ortsansässigen Brennereien aufmacht, der wird auch hier und da im Stadtbild auf Skulpturen des aus Sendenhorst stammenden Bildhauers Bernhard Kleinhans stoßen. Kleinhans – nie gehört! Na dann wird es Zeit, sich beim Rundgang durch Sendenhorst umzuschauen. Manchmal muss man auch an Fassaden emporschauen oder auf einen Dachfirst, um Kleinhans' Werke zu entdecken.

Als Ausgangspunkt der nachstehenden Tour wurde von uns Warendorf gewählt. Am Torschreiberhaus, das schon längst nicht mehr als Zollstation dient, geht es vorbei Richtung Freckenhorst. Dabei kann man der entsprechenden Radwegausschilderung (rotes Rad und roter Pfeil) "blind" folgen, um Freckenhorst zu erreichen. Nach etwa vier Kilometern auf dem Rad kommen wir in Freckenhorst, einem Ortsteil von Warendorf, an und umfahren das Schloss Westerholt, um zur mächtigen Stiftskirche zu gelangen. Das Schloss ist ein eher unscheinbarer zweigeschossiger klassizistischer Putzbau, der einst als Abtei diente und von Clara Franziska von Westerholt-Lembeck in Auftrag gegeben wurde. Aufgrund der privaten Nutzung des Schlosses ist es nur von außen zu besichtigen.

Die Stiftskirche von Freckenhorst

Überaus imposant ist die Stiftskirche, ein romanischer Sakralbau mit dreischiffiger Krypta. Etwas abseits von dem Sakralbau steht eine Skulptur des Schweinehirten Freycko, der in Diensten des Edelmanns Everword stand und eines Nachts eine Lichterscheinung hatte, die sich in den nachfolgenden Nächten wiederholte. Diese Erscheinungen teilte der Hirte seinem Herren mit. Dieser hatte gleichfalls eine Vision und hörte die Stimme des Apostels Petrus mit der Aufforderung, in Freckenhorst ein Gotteshaus zu stiften. Soweit die Legende. Die wahre Geschichte des Klosters und der Stiftskirche beginnt im Jahre 856 mit der Gründung eines Klosters, das im Laufe der Zeit in ein Damenstift umgewandelt und schließlich am 13. August 1811 aufgelöst wurde. Der mächtige Sakralbau mit seinem imponierenden Westwerk ist dem hl. Bonifatius geweiht und gilt unter Kennern neben der Patrokli-Kirche in Soest als der wohl wichtigste romanische Sakralbau Westfalens. Dabei handelt es sich weder um den Ursprungsbau noch um den im 11. Jahrhundert geweihten Kirchenneubau. Eine Feuersbrunst hatte verheerende Folgen, sodass noch im frühen 12. Jahrhundert in zwölfjähriger Bautätigkeit die bestehende Stiftskirche erbaut werden musste. Fünftürmig ist das Gotteshaus – und das ist unter den romanischen Gotteshäusern einzigartig. Lang gestreckt ist die dreischiffige Kirche, deren abgebrochene Bauelemente in der Pflasterung vor dem Westwerk und vor dem südlichen Seitenschiff auszumachen sind. Dass es einen Niveauunterschied des ursprünglichen Kirchenareals gegenüber der heutigen Situation gegeben haben muss, zeigt der Kreuzgang mit seinen Würfelknaufsäulen. Dessen Zugänge sind teilweise unter dem Bodenniveau von heute verborgen. Das mehrgeschossige Westwerk besitzt zwei runde Treppentürme, die an den viereckigen Mittelturm angeschlossen sind. Stilunpassend ist die barocke Turmhaube über dem steilen, mit roten Ziegeln bedeckten Pyramidendach des Mittelturms. Dieser Turm ragt 56 Meter in den Himmel und weist drei Etagen mit rundbogigen Schalllöchern auf. Äußerlich fehlt der aus Bruchsandstein errichteten Kirche jeder Bauzier. Schlicht ist sie die „feste Burg Gottes“.

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Kreuzgang der Stiftskirche

Im Inneren setzt sich die Schlichtheit fort: Chor, Vierung und Querschiff weisen recht flache Kreuzgratgewölbe auf. Spätgotisch ist das Kreuzrippengewölbe des dreijochigen Langhauses. Reste des Fräulein-Chors und des Zugangs vom Dormitorium des Konvents finden sich in der Thiatildis-Kapelle im südlichen Querhausarm. Hier findet sich auch der Thiatildis-Schrein aus Silber, in dem die Gebeine der hl. Thiatildis, der Nichte des Stifters der Kirche, ruhen. Zur Kirchenausstattung gehört zudem der aus Marmor, Alabaster und Sandstein gefertigte Aufsatz des ehemaligen Hochaltars.

In einem Flachrelief in der Mitte des Aufsatzes ist die Geburt Christi dargestellt. Über der Szene schwebt ein Engelchen. Eine besondere Kostbarkeit ist das Heilige Kreuz, das hinter einem Schrankgitter im Tabernakelturm (um 1500) aufbewahrt wird. Die Verehrung dieses Kreuzes geht bis ins 11. Jahrhundert zurück. Unbedingt sollte der Kirchenbesucher einen Blick auf den Freckenhorster Taufstein werfen, insbesondere auf die szenische Gestaltung der steinernen Trommel. In der unteren Zone der Trommel erkennt der Betrachter sechs Löwen, in der oberen einen sogenannten Blattfries. Der Mittelteil ist der christlichen Heilsgeschichte vorbehalten, darunter die Verkündigung der Geburt Christi, die Geburt Jesu, die Taufe im Jordan, der Tod am Kreuz und Christus im Weltgericht. Moderne Sakralkunst findet sich an den Kirchenportalen, die Heinz Gerhard Bücker gestaltete. In dessen Kunst wird die Apokalypse des Johannes ebenso aufgegriffen wie die Geschichte des Klosters und der Sündenfall.

Auf nach Hoetmar

Weiter geht unsere Radtour gen Hoetmar, teilweise durch eine wellige landwirtschaftlich genutzte Landschaft, in der sich aber auch riesige Windräder drehen. Gerste, Roggen und Mais stehen auf den Feldern. Die roten Dächer größerer Bauernhöfe ragen aus dem Wellental von gelben Ähren hervor. Hier und da findet sich auch ein Pferdehof mit weiß umzäunten Koppeln. Sobald wir Hoetmar erreicht haben, durchfahren wir den Ort und folgen dabei teilweise einem „Landwirtschaftlichen Lehrpfad“. Erreichen wir Infopunkt 3 dieses Pfades, biegen wir links ab und setzen unsere Tour nach Sendenhorst fort. Sobald wir an eine Bahntrasse stoßen, wenden wir uns nach rechts und gelangen dann auf einem schmalen Pfad und an der Erlebnisbrennerei vorbei radelnd in die Stadt Sendenhorst. Wer sich gefreut haben sollte, einen Besuch in einer Brennerei machen zu können, der wird enttäuscht sein. Diese Erlebnisbrennerei steht nur für Gruppenbesuche offen. Ja dann und nur dann kann man nicht nur am Selbstgebrannten schnuppern, sondern ihn auch verkosten.

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Es gibt keinen Schnaps mehr in Sendenhorst

Im Ortszentrum zwischen Rathaus und Pfarrkirche St. Martin stellen wir unseren Drahtesel ab und erkunden die Stadt zu Fuß. Auch wenn heute in Sendenhorst keine Brennereien mehr existieren, die einstigen historischen Bauten durch moderne Bauten ersetzt wurden, kann man dank der vorhandenen Infotafeln erahnen, wie wichtig das Kornbrennen einst in Sendenhorst war. Allein in der Weststraße gab es sechs Brennereien, ob die Brennerei Graute-Hesse oder die Brennerei Neuhaus/Suermann.

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Auch hinter dieser historistischen Fassade
wurde einst Branntwein hergestellt

Vor der Pfarrkirche St. Martin steht auf dem Kirchplatz eine Figurengruppe aus Bronze des Sendenhorster Künstlers Bernhard Kleinhans. Dargestellt ist die Martinslegende, in deren Mittelpunkt ein berittener jugendlicher Lanzenträger steht. Vor dem vorwärts trabenden Ross steht ein Mann, der den geteilten Mantel über die Schulter geworfen hat. Auch die Gestaltung des Chores der Kirche ist ein Werk Kleinhans'. Unweit des „Labyrinths von Chartres“ an der Westseite des Gotteshauses befindet sich eine bronzene, auf drei Beinen stehende Bronzetafel mit der Inschrift „Den Opfern aller Kriege und jeglicher Gewaltherrschaft zum Gedenken. Den Lebenden zur Mahnung“. Wenden wir uns nach rechts, dabei vorbei am Pastorat laufen, in die Weststraße, so stand einst rechter Hand die Brennerei Arens-Sommersell, die 1878 errichtet wurde. Der Gründer der Brennerei verdingte sich auch als erfolgreicher Auktionator und Makler. Im Zuge der Stadtsanierung verschwand die Brennerei.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen drei ansehnliche Fachwerkbauten mit weißer Verfachung. Unter dem Dachfirst ragt in jedem Haus ein Lastbalken hervor, der die Form eines fantasievoll gestalteten Pferdekopfes hat. Auch hier links und rechts der Liebesgasse verstand man sich auf das Kornbrennen, so auch in der Brennerei Graute-Hesse, zu der auch eine große Viehhaltung gehörte. Warum hielt man denn Vieh? Die bei der Branntweinherstellung anfallende Schlempe wurde an das Vieh verfüttert, was gut für die Mast war. Dass der Viehtrieb auf die außerhalb gelegenen Weiden quer durch die Stadt und auch die Geruchsbelästigungen nicht nur durch die Wiederkäuer, sondern auch durch die Brennerei den Bürgern der Stadt mächtig stank, ist nachvollziehbar. Kein Wunder also, dass zwischen 1970 und 1980 auch diese Brennerei ihre Pforten schließen musste. Nebenan war die Brennerei H. Brüning & Schulze Roetering tätig, die aber auch nicht mehr existiert.

Nicht zu übersehen ist in der Weststraße eine Gruppe von Männern, die riesige Kübel transportieren. Es handelt sich um eine Bronzegruppe von Bernhard Kleinhans (siehe oben), der mit dieser Arbeit an die Männer und Frauen erinnert, die zu einer Zeit, als es noch keine Kanalisation gab,

Güllefässer durch die Straßen schoben. Doch weiter geht es auf den Spuren der Brennereien von Sendenhorst. An der West-/Ecke Südstraße war die Brennerei Topp-Ridder zuhause und die Weststraße hinunter gab es nochmals zwei Brennereien, unter anderem die Brennerei Panning zwischen Kirchstraße und Schlabberpohl. Sie grenzte mit der Rückseite an die Synagoge der jüdischen Gemeinde an. 1888 produzierte man hier immerhin fast 6% der Branntweinproduktion der Stadt. Während der Zeit von 1933 bis 1945 diente die Brennerei als Versammlungsort der NS-Ortsgruppe und wurde daher auch als „braunes Haus“ bezeichnet. Das Ende der Brennerei ging mit der Stadtsanierung einher, und das gilt auch für die anderen Betriebe, ob die Brennerei Everke oder die Brennerei Laink-Vissing, deren Geschichte man auf Infotafeln an den ehemaligen historischen Orten nachlesen kann.

Die Skulpturen von Bernhard Kleinhans

Neben religiösen und biblischen Themen hat sich der Künstler Bernhard Kleinhans, der seine Skulpturen vor allem im Wachsausschmelzverfahren schuf, auch mit Themen der Antike und mit Mahnmalen beschäftigt. Um es an dieser Stelle gleich anzumerken, Arbeiten von Kleinhans findet man nicht allein in Sendenhorst, sondern auch in Münster („Die Taten des Herkules“), in Hameln („Die Neugierige“) und Brilon („Kreuzigungsgruppe“. Propsteikirche) sowie vor dem Kreishaus Warendorf.

Kleinhans' Arbeiten an der Pfarrkirche St. Martin wurden bereits oben ebenso vorgestellt wie die Skulpturengruppe der Güllefässerfahrer. Auch eine Gedenkstele für die Synagoge der Stadt stammt von dem Sendenhorster Künstler und steht am Parkplatz „Schlabberpohl“. Davidsstern und ein siebenarmiger Leuchter zieren dieses Mahnmal, das an den Standort der Synagoge (1809-1904) ebenso erinnert wie an die jüdischen Familien, die seit dem 17. Jahrhundert in Sendenhorst lebten, die Stadt jedoch 1914 verließen. Vorangegangen waren antijüdische und antisemitische Veranstaltungen, die das eh schon angespannte Verhältnis zwischen den jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern verschärft hatten. Und wovon lebten die Juden der Stadt: „Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Sendenhorst eine kleine jüdische Gemeinde mit Synagoge, eigener Schule und eigenem Friedhof. Die Zahl der Juden betrug bis zu 71 Personen (1840). Die Grundlage ihrer Existenz war vor allem der Viehhandel. In diesem Zusammenhang war auch der „Sendenhorster Viehmarkt“ von Bedeutung, der jedoch nur kurzzeitig stattfand und ohne regionale Wirkung blieb.“ So heißt es in einem Beitrag der Bezirksregierung Münster zur Geschichte Sendenhorsts.

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Bronze von Kardinal von Galen

Gehen wir in Richtung Krankenhaus St.-Josef-Stift durch die Weststraße, dann sollten wir in die Liebesgasse einbiegen und dabei auch nach oben schauen, da dort an einer backsteinernen Fassade die von Kleinhans skulptierte hl. Katharina von Alexandrien auf einem Sockel steht. In der Hand hält die Märtyrerin ein zerbrochenes Rad. Gleich um die Ecke steht in einem Vorgarten vor einem prächtigen Fachwerkbau die Bronzefigur von Kardinal von Galen, der nach der Zerstörung des bischöflichen Palais in Münster in Sendenhorst lebte und das Bistum vom St.-Josef-Stift aus leitete. Zu sehen ist nicht ein streitbarer Kirchenmann, der auch als „Löwe von Münster“ bezeichnet wird und sich der kirchenfeindlichen Politik des Nazi-Regimes entgegenstellte, sondern ein demütiger Mann, eher bedrückt und in der Entfaltung gehindert, das Gesicht von dem breitkrempigen Hut beschattet. Hoch oben auf dem Dachgiebel des Fachwerkhauses steht das „Liebespaar“. Es handelt sich um eine Aktdarstellung in starker Reduktion. In diesem Akt bündeln sich Achtung, Zuneigung und gegenseitige Akzeptanz.

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Die hl. Katharina in der Sendenhorster Liebesgasse

Auf der Weststraße gen Westtor unterwegs, kommen wir zum Krankenhaus St.-Josef-Stift. Hier sehen wir hoch zu Ross den Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen, ausgestattet mit seinen Bischofsinsignien. Zudem entdecken wir vor dem Krankenhaus auch eine Kopfbüste, die Kleinhans vom Stifter der Krankenanstalt Josef Spithöver geschaffen hat. In der Darstellung beschränkt sich der Künstler auf weich fließende Gesichtszüge, ohne in allzu starken Naturalismus abzugleiten.

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Ein Jungbrunnen im Hallenbad

Schließlich sei noch auf eine Arbeit im Kassenbereich des Hallenbades hingewiesen, das unweit des Krankenhauses steht: „Jungbrunnen“ nannte der Künstler seine Figurengruppe, die zeigt wie die Alten und Gebrechlichen ins Bad steigen – angedeutet durch drei Wellenlinien – und aufrecht und jung dem Bad entsteigen.

Wir kehren nun zum Kirchplatz zurück und werfen dabei noch ein Blick auf das Haus Siekmann, heute das Kulturzentrum der Stadt, das unter anderem für Konzerte genutzt wird. Bei Haus Siekmann (siehe unten) handelt es sich um die ehemalige Hofstelle Schöckinghoff, deren Geschichte bis ins 14. Jahrhundert reicht. Nach umfangreicher Sanierung sehen wir heute einen lang gestreckten Fachwerkbau mit vorgesetzter „Prunkfassade“.

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Heute das Sendenhorster Kulturzentrum

Über die Landesstraße radeln wir gen Hoetmar, kommen an der dortigen Kirche und der alten Stellmacherei vorbei, ehe wir weiter die Landesstraße nutzend bis zum Hof Lohmann (siehe unten) radeln, eine Einrichtung der Freckenhorster Werkstätten mit Café/Restaurant und Hofladen. Wie wäre es also mit einer kleinen Kaffeepause bei Kaffee und Kuchen?

Weiter geht es von der Landesstraße weg in Richtung Hof Schulze-Schleppinhoff, ein Demeter-Biobetrieb mit eigenem Hofladen, und dann auf den für das Münsterland so typischen Pättkes, ehemaligen Kirch- und Schulwegen, nach Freckenhorst, ehe wir auf der Landesstraße weiter nach Warendorf radeln und unsere Halbtagestour nach etwa 60 Kilometern beenden.


Hof Lohmann der Freckenhorster Werkstätten:
Hofladen, Café-Restaurant und Werkstätten

Touristische Informationen

Stadt Sendenhorst
http://www.sendenhorst.de/
Haus Siekmann
http://www.haussiekmann.de/events
Hof Lohmann
http://www.freckenhorster-werkstaetten.de/

 

 

 

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