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Nicht nur Fachwerk und Drachenköpfe

Ein Besuch in Warendorf

Die Stadt überstand die Wirren des Dreißigjährigen Krieges ebenso wie den Stadtbrand von 1745, der zu einer Abwanderung vieler Handwerker führte. Heute ist Warendorf, bekannt durch das NRW-Landgestüt und den Ehrenbürger der Stadt, den mehrfachen Olympiagoldmedaillengewinner Hans Günter Winkler, eine lebendige Kreisstadt, die sich ihrer historischen Baudenkmäler bewusst ist. Gotik, Renaissance, Barock, Klassizismus und Historismus prägen die Stadtarchitektur auf Schritt und Tritt. Schmuckes Fachwerk steht neben tiefroten Klinkerbauten, Schaufassaden am Markt geraten in das Blickfeld der Besucher, die durch die Sträßchen und Gässchen flanieren – auch wenn nicht gerade die Hengstparade nach Warendorf lockt.

Warendorf - Halsgiebel, ein Drachenkopf und die Pfarrkirche St. Laurentius
Halsgiebel, ein Drachenkopf und die
Pfarrkirche St. Laurentius am Marktplatz

Auch wenn die Stadt überschaubar ist und ein Spaziergang auf der Promenade der ehemaligen Stadtbefestigung herumführt und Informationstafeln dem Besucher Wissenswertes zur Stadtgeschichte vermitteln, so sollte man nicht zögern, auf die angebotenen Stadtrundgänge des Verkehrsvereins Warendorf  zurückzukommen. Kompetente Gästeführer wie der pensionierte Schuldirektor Arnold Schubert führen die Stadtbesucher zu dem einen oder anderen verborgenen Winkel und öffnen das eine oder andere historische Architekturjuwel, das verborgen hinter Putz- und Klinkerfassaden schlummert. Von Arnold Schubert erfuhr ich auch, dass Warendorf 1823 noch 53 Brauereien besaß. Jede Gaststätte braute ihr eigenes Bier und schenkte es an Grambrinusfreunde aus, so wie heute das Gasthaus Warintharpa süffiges Kellerbier ausschenkt. Doch dieses Bier wird nicht vor Ort, sondern bei der Privat-Brauerei Strate in Detmold gebraut. Zum bernsteinfarbenen Bier kommt im Gasthaus Warintharpa deftige Kost auf den Tisch: Dicke Bohnen und das im Korb gebackene Warintharpa-Brot. Aber auch ein Salatbuffet oder gebratener Ziegenkäse findet Zuspruch bei den Gästen, die teilweise rund um einen kupfernen Braukessel Platz finden.

Treffpunkt Markplatz

Doch bevor wir die Gaumenfreuden genießen, bummeln wir ein wenig durch die Stadt. Der Marktplatz mit seiner historischen Bebauung ist ein guter Ausgangspunkt. Über der imposanten Kulisse erhebt sich das Westwerk und der Turm der St.-Laurentius-Kirche. Diese Kirche ist eine dreischiffige gotische Hallenkirche, die nach dem Stadtbrand von 1404 an den erhaltenen romanischen Turm angefügt wurde. Wer sich für mittelalterliche Tafelmalerei begeistern kann, der sollte die Kirche besuchen und einen Blick auf den Passionsaltar werfen. Seit einem Brandanschlag im Juni 2002 nennt die Kirche auch eine „Schwarze Madonna“ ihr Eigen, die seither ein Anziehungspunkt für Wallfahrer geworden ist.

Warendorf - Fassade des Saalhauses Zum Schwan
Vorgeblendete Fassade des Hauses „Zum Schwan“ (1661)

Ehe wir die Kirche in Augenschein nehmen, verbleiben wir am Markt, wo die Redaktionsräume der Warendorfer Zeitung „Die Glocke“ liegen – unschwer an dem entsprechenden Hauszeichen zu erkennen. Bestaunt man auf der Westseite des Marktes den Giebel des Saalhauses „Zum Schwan“ , meint man Lübecker Baumeister der Hansezeit hätten in Warendorf Hand angelegt. Der abgerundete Treppengiebel und das schmucke Verbundmauerwerk sind charakteristisch für dieses Haus, in dem einst der Fürstbischof Franz von Waldeck nächtigte, nachdem 1534 in seinem Beisein auf dem Marktplatz unter großer Anteilnahme der Bevölkerung einige Wiedertäufer als Ketzer hingerichtet worden waren. Damals waren Hinrichtungen öffentliche Volksbelustigungen, die sich kein Warendorfer entgehen ließ.

Warendorf - Ein „Drachenkopf“ - ein mittelalterlicher Lastenaufzug – ragt aus dem Giebel eines Hauses am Marktplatz
Ein „Drachenkopf“ - ein mittelalterlicher Lastenaufzug – ragt
aus dem Giebel eines Hauses am Marktplatz

Schaut man sich auf dem Marktplatz um, so entdeckt man weiß geschlemmte Treppengiebel im spätgotischen Stil, aber auch eine fünfachsige Backsteinfassade. Aus einem der Häusergiebel ragt ein „Drachenkopf“ heraus. Dank dieses in Form eines Drachenkopfes geschnitzten „Kranarms“ konnten Waren in die verschiedenen Etagen des Hauses gebracht werden. Im Kern gotischer Natur ist das massiv wirkende, weiß geschlemmte Rathaus, in dem bis heute der Rat der Stadt im Ratssaal tagt.

Warendorf - Das Zentrum der Stadtpolitik: das Rathaus mit gotischer Raumfolge
Das Zentrum der Stadtpolitik: das Rathaus mit gotischer Raumfolge

Zu den wohl prächtigsten Fassaden der Stadt zählt der Schaugiebel des Hauses Temme in der Emsstraße 1. Dreifach springt der Giebel von Etage zu Etage hervor. Abgeschlossen wird die Fassade mit kunstvoll ausgemauertem Fachwerk. Über der ersten und zweiten Etage entdeckt man Bogenmauerungen über den Fenstern. In der Emsstraße – die „Fressgass'“ von Warendorf – finden wir Halsgiebel ebenso wie Glockengiebel, Putzbauten wie Fachwerkarchitektur. Ein beschwingter barocker Schaugiebel wurde vor das Fachwerk des Hauses Emsstraße 10 gesetzt. Blickt man in die Mühlenstraße, so schaut man auf die ehemalige Wassermühle von 1907, in der heute das Restaurant „Kottrups Mühle“ untergebracht ist. In Kottrups Mühle genießt man westfälisch, zum Beispiel Westfälisches Rinderfilet mit Pfifferlingen, Speck und Zwiebeln, dazu Bratkartoffeln und Salat oder Speckbohnen.

Warendorf - Prächtig ist der Schaugiebel des Hauses Temme in der Emsstraße 1
Prächtig ist der Schaugiebel des Hauses Temme in der Emsstraße 1

Jenseits der Ems dehnt sich das Landgestüt mit seinen Stallungen, dem Paradeplatz, dem Kantinengebäude und dem Landstallmeisterhaus aus. Abertausende strömen in jedem Herbst hierher, um an der Hengstparade teilzunehmen. Dass man sich in Warendorf auf Pferdeäppel spezialisiert hat, hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Landgestüt zu tun. Die Pferdeäppel von Warendorf sind nämlich unwiderstehliche Schokoladentrüffel, die im Café Hülsmann am Krickmarkt 4 zu einem Kaffee probiert werden können.

Warendorfs grüne Lunge

Wer ein wenig Erholung im Grünen sucht, der macht einen Spaziergang durch den Park am Emssee und auf der Promenade. In der Parkanlage findet man nicht nur ein Fleckchen Heidelandschaft mit Wacholder und Erika, sondern auch Kunst im öffentlichen Raum, ob nun eine sandsteinerne Putte oder eine Hansekogge, die Bezug auf die Hansestadt Warendorf nimmt und im Rahmen des Bildhauersymposiums 2000 entstanden ist. Nicht etwa Richard Serra, sondern Mahmoud Torabi entwarf aus Cortenstahl „Visionen zum Frieden“.

Warendorf - Heidelandschaft im Park an der Ems
Heidelandschaft im Park an der Ems

Auf der Promenade entdecken wir mit dem Bentheimer Turm einen erhaltenen Teil der Stadtbefestigung, die 1817 bis auf diesen Turm geschleift wurde. An zwanzig Stationen kann man mehr über die historischen Bauten der Stadt erfahren. Verschwunden sind der Biergarten des Gasthofs Cordes und ein Bootssteg. Anstelle des Gasthofes entstand das Kino „Skala“ – und ein Kino gibt es trotz des Kinosterbens immer noch in der Stadt. Dort, wo sich heute das Schulhaus von 1907 befindet, existierte ursprünglich eine Lohgerberei direkt an der Ems. Schließlich liegt auch das Kloster der Franziskaner, das 1628 gegründet und unterdessen aufgelöst wurde, an der Warendorfer Promenade. Dass man auf einem Privatgrundstück am Bentheimer Turm einen Friedhof, in diesem Falle einen Friedhof für Verstorbene mosaischen Glaubens findet, gehört ebenso zur Warendorfer Stadtgeschichte wie der Gedenkobelisk in der Freckenhorster Straße 7, der an die jüdischen Warendorfer erinnert, die während der NS-Diktatur verschleppt und ermordet wurden. Kaum einer weiß wohl, dass der 2006 verstorbene Unternehmer und Journalist Paul Spiegel, der bis zu seinem Tod Vorsitzender des Zentralrats der Juden war, ein Warendorfer war.

Warendorf - Gedenken an die jüdischen Mitbürger von Warendorf
Gedenken an die jüdischen Mitbürger von Warendorf

Eine Warendorfer Besonderheit: Dezentrales Stadtmuseum

Nein, keine Vitrinenpräsentation und informative Saaltexte, sondern Erkundungen in der Stadt machen das dezentrale Stadtmuseum aus. Überraschendes tritt zutage, wenn man hinter die eine oder andere Fassade schaut. In der in Altrosa gehaltenen Stadtvilla Klosterstraße 7 tut sich eine andere Welt auf. Nicht nur die Biedermeierzeit wird hier lebendig, sondern auch die Welt der Inkas und der griechischen Antike – allerdings nur auf kostbaren Bildtapeten, die in der Manufaktur Dufour & Leroy in Paris gedruckt wurden. Die Besucher sehen im Salon „Telemach auf der Insel Kalypso“ und im Gartensalon „Die Inkas oder die Zerstörung des Königreichs Peru“. Aus 25 Bahnen bestehen die Bilderzyklen, für deren Herstellung mehr als 2000 Druckmodel nötig waren. Geschildert wird auf den Tapeten des Salons die Suche Telemachs nach Odysseus, seinem Vater, das Stranden auf der Insel der Kalypso, das Auftreten von Venus und Amor und die Liebe Telemachs zur Nymphe Euchans, die Gegenspielerin von Kalypso wird, da auch Kalypsos Herz für Telemach entflammt ist. Vorlage für die „Inka-Bildtapete“ war ein Roman aus der Feder Jean François Marmontels. Nicht nur der Sonnenkult der Inkas ist auf der Tapete verewigt worden, sondern auch die Begegnung der Inkas mit den spanischen Eroberern. Zudem wird auch das Wirken des Missionars Las Casas dargestellt, der sich für die Rechte der Indigenen gegenüber den Kolonisatoren einsetzte.

Warendorf - Detail einer prächtigen Bildtapete „Telemach auf der Insel der Kalypso“ aus dem Haus Klosterstraße 7, Teil des Warendorfer Stadtmuseums
Detail einer prächtigen Bildtapete „Telemach auf der Insel der Kalypso“
aus dem Haus Klosterstraße 7, Teil des Warendorfer Stadtmuseums

Mit dem Gadem Zuckertimpe 4 kann der Besucher Einblicke in eine Kleinhausbebauung der Warendorfer Altstadt nehmen. Was wir allerdings heute sehen, ist nicht das Original aus dem 17. Jahrhundert. Durch Um- und Anbauten in folgenden Jahrhunderten änderte sich der Charakter des Hauses. Kaum vorzustellen ist, dass 1925 nicht nur der damalige Eigentümer mit Frau und drei Kindern, sondern auch der Lokomotivputzer August Droste unter einem Dach wohnte.

Warendorf - Blick in das Gadem Zuckertimpe 4
Blick in das Gadem Zuckertimpe 4

Blicken wir noch in das erhaltene Torhaus (Oststraße 59), wo der Torschreiber zuhause war. Das kleine Backsteinhaus – mit zartgelbem Anstrich besehen – wurde 1822 erbaut und diente dazu Zoll einzuziehen. Dazu wurde ein Torschreiber beschäftigt, der auch im Haus wohnte. Allerdings gab es keine direkte Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, sodass der Torschreiber bei jedem Wetter einen kurzen Weg über die Straße nehmen musste, um von der Wohnung aus sein Büro zu erreichen. Eine Ausstellung befasst sich mit der Geschichte des Hauses und Warendorf, streift das Thema Zollwesen und stellt dem Besucher das Warendorf des Jahres 1817 vor. Sieben Branntweinbrenner, fünf Ärzte, ein Bücherverleiher, ein Lohngerber, zwei Pelzer und 16 Schuster waren damals unter den Einwohnern der Stadt. Weitere Themen der Ausstellung sind „Die Chaussee und das Zollwesen“ sowie „Von der Stadtmauer zur Promenade“. Die Stube und die Schlafkammer kann der Besucher ebenso in Augenschein nehmen wie die Dienststube und die Küche.

Dort, wo heute die Sparkasse ihre Niederlassung hat, in der Münsterstraße 19, lebte einst die Familie Diepenbrock nebst eingeheirateten Verwandten wie dem Textilfabrikanten Christoph Bispinck. Besonders sehenswert ist die Innenarchitektur der Räumlichkeiten, ob nun die floralen Buntglasfenster im Treppenhaus oder die prachtvollen floralen Stuckaturen.

Warendorf - Fachwerkhaus in der Gasse Pumperie: das älteste bewohnte Gadem der Stadt aus dem Jahr 1608 stammend
Fachwerkhaus in der Gasse Pumperie: das älteste
bewohnte Gadem der Stadt aus dem Jahr 1608 stammend

Zum Schluss: Wer durch die Stadt bummelt, wird noch weitere architektonische Schmuckstücke entdecken, ob das klassizistische Bürgerhaus Krickmarkt 12 oder das älteste bewohnte Gadem in der Gasse Pumperie unweit des Schweinemarkts und das Haus Schnell mit dem geschweiften Barockgiebel. Man muss nur die Augen in die Höhe richten und schauen! 

Weitere Informationen

Warendorf Marketing GmbH
Emsstr. 4
www.marketing-warendorf.de

Stadt Warendorf
www.warendorf.de/

Museen

Dezentrales Stadtmuseum
Gadem
Zuckertimpe 4

Fabrikantenwohnhaus
Münsterstr. 19

Torschreiberhaus
Oststr. 59

Bürgerhaus
Klosterstr.7

Stadtmuseum Warendorf
Rathaus

Unterkunft

Hotel Johann
www.hotel-johann.de

Speis und Trank

Historisches Brauhaus Warintharpa
www.warintharpa.de/

Café Hülsmann
http://www.warendorfer-pferdeaeppel.de

Kottrups Mühle
www.kottrups-muehle.de/

Café Bar Hinz&Kunz
http://www.hinzundkunz-waf.de/

Reiseveranstalter Deutschland

Reiseveranstalter Singlereisen


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