Famagusta, Rundgang durch die Altstadt

Famagusta

Der venezianische Löwe: Symbol einstiger Macht


Der Kontrast könnte nicht stärker sein. Bestimmten noch eben grellweiße glatte Fassaden jüngst gebauter Wohn- und Geschäftsviertel das Bild, fühlt sich der Betrachter um Jahrhunderte zurückversetzt, wenn unvermittelt der äußere Verteidigungsring Alt-Famagustas mit seiner wallartigen Böschung und verwitterten Mauersegmenten ins Blickfeld gerät. Dahinter lässt sich ein tiefer Wallgraben erahnen, in dem sich langstämmige Pinien und eine Handvoll Palmen angesiedelt haben, deren Wipfel hier und da über die Mauerkrone der Böschung ragen. Auf der gegenüberliegenden Seite dieses kolossalen von Menschenhand geschaffenen Felseinschnitts erheben sich wuchtig die Festungswälle, die nach dem Willen ihrer Erbauer Famagusta uneinnehmbar machen sollten.

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Straßenverkauf in der Altstadt

Drei Wege führen durch die Mauern in die Altstadt. Zwei von ihnen aus neuerer Zeit bedienen den Hafen. Der dritte, das Landtor, ist der traditionelle Zugang zu den Vierteln hinter den venezianischen Wällen. Er überbrückt den Graben und taucht in die Stadtbefestigung ein, wo er eine alte Waffenkammer durchquert und in ein Geflecht enger Straßen übergeht. Die autofreie Istiklal Çaddesi und in ihrer Verlängerung die Sinan Paşa Sokaği, beide belebte Einkaufsstraßen, bringen die Besucher ins Zentrum der Altstadt.

Rund um den Platz des Namik Kemal

Wo immer man auch in Famagusta seinen Fuß hinsetzt, überall lassen mittelalterliche Fassaden, geborstene Kuppeln, Mauerfragmente, Fenster und Tore, durch die der Himmel scheint, Bilder einer Zeit lebendig werden, da die Stadt von Kirchen und Palästen schier übersät war. So auch hier am zentralen Platz „Namik Kemal Meydani“, der den Namen eines großen türkischen Dichters trägt, einst verbannt in diese Stadt, nachdem ihn sein reformerischer Geist bei den Mächtigen in Istanbul in Ungnade fallen ließ.

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Reste vor dem Namik Kemal Museum

Schon unter den Lusignans und den Venezianern war dieser Platz zwischen Palast und Kathedrale das Zentrum der Stadt. Hier führte eine teilüberdachte Ladenstraße vorbei, die das Landtor mit dem Seetor verband. Diese innerstädtische Magistrale galt auch als unsichtbare Trennlinie zwischen der nordwestlichen Stadthälfte, in der die Lateiner und Angehörigen orientalischer Kirchen lebten, und dem überwiegend orthodoxen Osten und Süden der Stadt. Eine andere wichtige Achse, gesäumt von den Palästen reicher Kaufleute und Konsuln, nahm hier ihren Anfang und endete im Nordwesten der Stadt.

Der nach Vorschlägen von William Dreghorn in den neunziger Jahren neugestaltete Platz vor der Kathedrale ist nun autofrei. Er erhielt eine schöne Bepflasterung, auch Bänke und unauffällige, aber wirkungsvolle Abgrenzungen zu den seitlich vorbeiführenden Straßen. An seiner Ostseite liegen einige interessante kleinere Bauwerke wie die Medrese, einst eine theologische Hochschule. Der quadratische Bau ist von einer Kuppel überwölbt und an seiner West- und Südseite von vielbögigen Galerien umgeben. Unmittelbar davor stehen zwei graue Granitsäulen aus Salamis. Als man sie um 1500 aufrichtete, waren sie wohl von Venedigs geflügeltem Löwen gekrönt, sollten sie doch die Vormacht der Serenissima demonstrativ zur Schau stellen. Nahebei blickt von einem Steinsockel der türkische Nationaldichter Namik Kemal (1840-1888) erwartungsvoll nach Westen. In den Schatten der Sykomore vor der Kathedrale duckt sich ein zierlicher überkuppelter Bau mit schmiedeeisernem Gitterwerk in seinen offenen Seiten. Es ist die Gedenkstätte für Mustafa Zühtü Efendi, frommer Mann, Redner und Richter.

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Mitbringsel für zuhause

Dass auffallend wenige Profanbauten aus der Blütezeit Famagustas die Zeiten überdauerten, hat einen einfachen Grund: „stone digging“. Für die Einheimischen war es nämlich ein einträgliches Geschäft, Tausende sauber bearbeiteter Steine abzutragen oder auszugraben und die Engländer, die den Auftrag dazu gaben, waren zufrieden, auf so einfache Weise an hochwertiges Baumaterial für die Verschönerung der Städte ihrer neuen Kolonie Ägypten zu gelangen. Wen wundert`s, dass die „Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik“ in Band 22 (1900) sich mächtig über „Englischen Vandalismus auf Cypern“ empörte:

„Die berühmte alte Stadt Famagusta verschwindet allmählich zu Gunsten von Port Said. Die Steine der an Althertümern reichen Stadt werden zum Preise von 2 Mark für 100 feilgeboten und nach Aegypten eingeschifft, gleichviel ob sie Sculpturen tragen oder nicht.“

Und Basil Stewart schrieb 1908 in „My Experiences of Cyprus“:

„Famagusta war der Steinbruch, der Alexandria mit Steinen passender Form und Größe versorgte. Der Wellenbrecher, der Alexandrias Hafen schützt, wurde fast vollständig daraus gebaut.“

Ein schon 1891 verabschiedetes „Famagusta Stones Law“, das diesen Handel eigentlich unterbinden sollte, zeigte offensichtlich wenig Wirkung.

Die Kathedrale des heiligen Nikolaus, eines der großartigsten Werke gotischer Baukunst auf Zypern, beherrscht souverän den Platz des Namik Kemal. Unter osmanischer Herrschaft mit einem zierlichen Minarett versehen und in eine Moschee umgewandelt, trägt sie heute den Namen des „Kibris Fatihi“, des Eroberers von Zypern, Lala Mustafa Paşa-Moschee. schmiedeeisernem Gitterwerk in seinen offenen Seiten. Es ist die Gedenkstätte für Mustafa Zühtü Efendi, frommer Mann, Redner und Richter.

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Die Lala Mustafa Pascha-Moschee

Vis-à-vis liegt das Renaissance-Portal des früheren Palazzo delProvveditore. Von den Lusignans als königlicher Palast, von Venedigs Statthaltern als Gouverneurssitz genutzt, blieb von der großen Anlage nur wenig mehr als die von vier Säulen aus Salamis getragene Portalzone. Flankiert wird die Säulenreihe von einem osmanischen Brunnen, den der rührige türkische Gouverneur Cafer Paşa 1597 errichten ließ. Davor steht ein römischer Sarkophag als „Waschbecken“. Auf dem Gelände des Palastes entstand während der osmanischen Zeit ein kleines Staatsgefängnis, in dem Namik Kemal seine Verbannungsjahre verbrachte. Zunächst musste er das düstere Untergeschoss beziehen, durfte aber dann auf Intervention des osmanischen Gouverneurs Veysi Paşa in das obere, viel komfortablere Stockwerk mit Marmorfußboden und Holzdecke umziehen. Hier ist heute ein kleines Museum untergebracht, das an die Haft erinnert, die zu einer seiner ergiebigsten Schaffensperioden wurde.

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Kuppelbau an der Lala Mustafa Pascha-Moschee: Schrein des Mustafa Zühtü Efendi

Gegenüber ragen Mauerreste empor, Ruinen der Franziskaner-Kirche, und in unmittelbarer Nachbarschaft wölben sich die Kuppeln des Cafer Paşa-Hamams. Vor einigen Jahren hatte man dieses osmanische Badehaus erst zu einer Bar, dann zu einem Shop zweckentfremdet. Nun ist es verschlossen. Bei der anstehenden Entscheidung über die zukünftige Nutzung (und Renovierung!) eines der wenigen osmanischen Baudenkmäler der Stadt ist dem „Department of Antiquities“ eine glückliche Hand zu wünschen. Eine weitere Kirche, unzerstört und von auffallend starken Strebepfeilern gestützt, liegt nahebei auf einer niedrigen Anhöhe. „St. Peter und Paul“ wurde wie viele andere Kirchen Famagustas unter den Osmanen zu einem Versammlungsort gläubiger Muslime, zur Sinan Paşa-Moschee.

Zur Martinengo-Bastion

Nördlich des Zentrums, in der Kisla Sokaği, stößt man auf ein Kuriosum, die Zwillingskirchen der Templer und Johanniter, die so eng aneinander lehnen, wie es ihre verfeindeten Orden nie getan haben. Auf unserem Weg in den Nordwesten Alt-Famagustas liegt an der Necip Tözün Sokaği die heute noch genutzte Kirche derNestorianer. Folgt man von hier der Sever Somuncuoğlu Sokak (Straße) am Festungswall entlang Richtung Norden, errreicht man die frühere militärische Sperrzone, die einen Besuch dieses Viertels lange Zeit unmöglich machte. Auf dem Weg zur Martinengo-Bastion passiert man drei mittelalterliche Kirchen, zunächst St. Anna aus dem 14. Jahrhundert, dann die Ruine der Klosterkirche der Karmeliten und gleich daneben die Armenische Kirche. Gegenüber breitet sich die gewaltige bauhistorische bedeutsame Martinengo-Bastion aus. Nahebei, auf der rechten Straßenseite, fällt ein weiterer alter Bau ins Auge: die Kirche Agía Aikateríni, aus der in osmanischer Zeit die Tabakhane Camisi wurde.

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Martinengo-Bastion

Auf dem Rückweg biegen wir in die Cafer Paşa Sokaği ein, an der St. Georg der Lateiner, Famagustas älteste gotische Kirche liegt oder besser gesagt das, was osmanische Kanonenkugeln 1571 von ihr übrig ließen.

Zu einem erfrischenden „coffee-break“ lädt die nahegelegene Patisserie „Petek“ ein – kein Allerweltscafé, ein wahres Baklava-Paradies !

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Süße Verführung in der Patisserie Petek

In den Südosten der Stadt

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Das Seetor, Teil der alten Stadtbefestigung

Nur einen Katzensprung vom „Petek“ entfernt, erhebt sich die Zitadelle, vermeintlicher Schauplatz von Shakespears „Othello“-Drama. Von ihrer obersten Plattform lässt sich der Hafen überblicken und mit etwas Phantasie wird das geschäftige Treiben dieses bedeutenden mittelalterlichen Handelsplatzes wieder lebendig. Das Seetor, die einstige Verbindung zwischen Hafen und Stadt, liegt an unserem Weg entlang der Hafenmauer in den südöstlichen Teil Famagustas. Rechter Hand steht die Kirche Agios Georgios der Griechen, die frühere orthodoxe Kathedrale der Stadt, selbst ohne Dach und Seitenwand noch eine monumentale Ruine. In diesem „leeren Viertel“ liegen versteckt hinter wuchernden Opuntien und Olivenbäumen zwei kleine orthodoxe Kreuzkuppelkirchen, Agios Nikólaos, mit aufgerissener Flanke schon arg lädiert und die noch gut erhaltene Kirche Agía Zoní aus dem 14. Jahrhundert.

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Portal der St. Symeon Kirche

Unser Rundgang durch das alte Famagusta endet an der Canbulat-Bastion mit dem markanten schneeweißen Leuchtturm auf ihrer Plattform. Zurück zu unserem Ausgangspunkt am Landtor spazieren wir über die „Kontereskarpe“, d. i. die äußere Grabenböschung, mit freier Sicht auf Mauern, Bastionen, Turmspitzen und den Wallgraben der Altstadt und das Häusermeer des neuen Famagusta.

Besuch in der Neustadt





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