Reiseführer Nordzypern
Die Karpaz-Halbinsel
Es sind nicht viele, die den bequemen Hotelstrand gegen das Abenteuer
Karpaz eintauschen. Doch wer einmal die entlegene Halbinsel besucht
hat - zumeist leider mit viel zu wenig Zeit im Gepäck - wird sich
zu den Glücklichen zählen. Das freundliche Hügelland
ist eine kleine Welt für sich, still, malerisch, alle Sinne berührend.
Es scheint, als verharre hier die Zeit, pausiere der rasende Puls
der Gegenwart.
Nirgendwo sonst in Zypern erlebt man so grandiose Sonnenuntergänge,
sind die Sandstrände so weitläufig und menschenleer, birgt
die Erde mehr verborgene Schätze und wo sonst gibt es im Frühjahr
so üppige Blumenwiesen? Wem der Sinn nach Ruhe steht, wer die
Natur erfahren will, das Wandern liebt und gerne den Spuren der Geschichte
folgt, dabei auf den gewohnten Hotelkomfort verzichten kann, dem sei
der Karpaz als eines der letzten urwüchsigen Refugien am Mittelmeer
empfohlen.
Unterwegs auf dem Karpaz:
Reste des Klosters Eleoussa zwischen Dipkarpaz und Yeni Erenköy
Die letzten Ausläufer der grandiosen Gebirgskette, die das nördliche Ufer Zyperns so ausdauernd begleitet, lösen sich am Eingang zur Karpaz-Halbinsel auf. Nur mäßig hohe, oft dicht bewaldete Buckel, kleine begrünte Hochflächen und steilwandige Felsplateaus prägen nun das Landschaftsbild. Darin eingebettet finden sich vereinzelt weite Ebenen im Wechsel mit kleinen Senken oder engen Tälern, die sich zum Meer hin öffnen. Wo die fruchtbare, rotbraune Karpazerde fehlt, tritt blendend weißer Kalkstein oder brauner Sandstein an die Oberfläche. Und das Meer ist ohnehin immer in Sicht - welcher andere Inselteil könnte dem Auge mehr Abwechslung bieten?
Ausgrabungsstätte mit Gräbern und einer Ölmühle zwischen Büyükkonuk und Sazliköy
Von Ort zu Ort
Wer
aus dem Raum Girne der Küstenstraße nach Osten folgt,
passiert nach vielen kurvenreichen Kilometern beim Dorfe Kaplica die
Auffahrt zur Burg Kantara und biegt wenig später ins Landesinnere
ein. Büyükkonuk ist der nächste Ort, Zentrum eines bedeutenden
Olivenanbaugebiets mit eigener, mehr als fünfzig Jahre alter Olivenpresse.
Im Ort führen Lois und Ismail Cemal ihr Geschäft "Delcraft",
wo traditionelle zyprische Handwerksarbeiten ausgestellt und verkauft
werden: Schöne Stickerei-, Web-, Flecht-, Knüpf- und Holzarbeiten,
auch landwirtschaftliche Produkte wie Honig und Olivenöl. Auf
Nebenstraßen geht es nach Sazliköy, einem kleinen Dorf,
in dessen Nähe sich die Kapelle Panagía tis Kyrás an den Fuß eines langgestreckten Hügels schmiegt.
Eine leidlich befahrbare Piste verkürzt den Weg von hier nach Mehmetcik, um wenige Kilometer östlich auf die Hauptschlagader
des Karpaz zu stoßen.
Traditionelle zyprische Handwerksarbeiten im Delcraft
Besucher
aus dem Raum Famagusta und aus Lefkosa (Nicosia-Nord) werden über Bogaz die Halbinsel erreichen und vielleicht in Çayirova ihre
Fahrt unterbrechen. Hier wurde vor einigen Jahren in einem restaurierten
Schulhaus ein Zentrum für das Studium und die Herstellung der
traditionsreichen Lefkara-Spitze eingerichtet. Aufsehen erregte im
Herbst 2002 der Fund einer Statue männlichen Geschlechts, eines
sog. "kouros" von fast 2 m Größe, den man der kypro-archaischen
Zeit zuordnet. Im Mai 2004 kam erneut eine antike Figur ans Tageslicht,
diesmal war es der steinerne Torso eines noblen Römers.
Aber Çayirova ist nur ein Fall von vielen.
Zwei überlebensgroße Statuen südlich von Agios Thyrsos
Exkurs: Verborgene Schätze
Nach Nitovikla und Kaleburnu
Einige Kilometer folgen wir nun der Hauptstraße, passieren Kumyali mit seinem kleinen Fischerhafen sowie Bade- und Campingmöglichkeiten am Sandstrand. Schon im Tabakdorf Ziyamet verlassen wir die Karpazmagistrale wieder und fahren auf einer Nebenstraße zur Kirche der Panagia Kanakaria in Boltasli. Weizenfelder, Oliven- und Johannesbrotbäume bedecken das sanfte Hügelland ringsum. Man weiß von bronzezeitlichen Siedlungen Richtung Südküste.
Auf dem Karpaz unterwegs: Typische Karpaz - Landschaft
Das Dorf Avtepe trägt
seinen Namen schon seit dem 18. Jahrhundert, als es von Türken
besiedelt wurde, denen man nachsagte, sie seien in Wirklichkeit sog.
"Linovamvaki" gewesen, Anhänger eines eigenartigen Mischglaubens
aus christlichen und muslimischen Elementen. Das 200 m hoch liegende
Dorf kann etwa einen Kilometer abseits mit einer spektakulären
Sehenswürdigkeit aufwarten, die nichts für Untrainierte
oder Nervenbündel ist. Am klügsten wäre es, sich mit
der Information zufrieden zu geben, dass hoch im Fels eine bemerkenswerte
Grabkammer liegt, die nur unter nicht vertretbaren Risiken zu erreichen
ist. Kuruova, ein kleines Nest mit vielen unidentifizierten antiken
Ruinen in der Nachbarschaft, ist Ausgangspunkt für einen Besuch
der bronzezeitlichen Überreste von Nitovikla, einer Fluchtburg
vermutlich. Um ihr überwuchertes Gelände in unmittelbarer
Meeresnähe überhaupt auffinden zu können, empfiehlt
sich die Mitnahme eines Ortskundigen aus Kuruova und der fahrbare
Untersatz sollte schon Allradantrieb haben.
Am Ende der südlichen Karpazstraße, auf dem Ostabhang
eines Bergrückens, liegt das große, seit Jahrhunderten
zyperntürkische Dorf Kaleburnu.
An die Nordküste
Für die Weiterfahrt nach Norden ist die Piste von Kaleburnu nach Yenierenköy eine reizvolle Alternative.
Sie führt als befestigte Schotterstraße kurvenreich durch herrliche Landschaft, durchquert
dabei das zentrale Bergland mit dem Pamboulos (383 m) und Zygos (357
m) zur Linken, den höchsten Erhebungen der Karpaz-Halbinsel.
Wem eine Teerstraße mehr liegt, dem bleibt nichts
anderes übrig, als die Strecke nach Ziyamet wieder zurückzufahren
und von dort die Fahrt auf der Hauptstraße in nördlicher
Richtung fortzusetzen.
Einige Landkarten gaukeln eine schnelle direkte Verbindung zwischen
Kaleburnu und Dipkarpaz vor. Und tatsächlich folgt diese einer
noch aus osmanischer Zeit stammenden Route von Famagusta nach Dipkarpaz.
Dass sie heute eine zumeist nur im 1. Gang zu bewältigende,
ziemlich unangenehme Steinpiste ist, hat seine Ursprünge noch
in der Kolonialzeit. Die Engländer eröffneten nämlich
1888 eine neue Straße, die nordöstlich von Yenierenköy
die Küste erreicht und sich bis Dipkarpaz im Landesinnern fortsetzt.
Mit der Existenz dieser immer wieder neu gestalteten Straße
setzte die Vernachlässigung der alten Piste ein.
Auf Ziyamet folgt Yesilköy, ein großes Gartendorf mit
einem guten Ruf als Produzent von Bananen, Kolokaz, Tomaten. Auch
Tabak und Zitrusfrüchte gedeihen hier gut. In der Nähe
sieht man Oliven- und Johannesbrotbäume, umringt von Getreidefeldern.
Der felsige Boden ist mit einer dünnen Schicht der typisch karpassischen
rotbraunen Erde bedeckt und die so entstandenen Kulturflächen
sind gut bewässert dank einiger Quellen.
Am Strand von Yeni Erenköy
Nach weiteren sechs Kilometern ist das fast kleinstädtisch anmutende Yenierenköy erreicht. Der Ort liegt auf einem Plateau oberhalb der hier sehr breiten und fruchtbaren Küstenebene. Waren früher Tabak und Kolokaz, Johannesbrot und Oliven die Stützen der Wirtschaft, sind es heute die gute Infrastruktur und etwas Kleingewerbe, auch noch die Landwirtschaft, die Yenierenköy zu einem wenn auch bescheidenen wirtschaftlichen Zentrum der Region machen.
Der Hafen von Yeni Erenköy
Yenierenköy`s kommunaler Strand ("Halk Plaji") mit Restaurant
und allen notwendigen Einrichtungen ist erfreulich gepflegt und auch
der 3 km entfernte "Malibou-Strand" mit angrenzendem Fischerhafen,
in dem ein Dutzend Fischerboote dümpeln, ist schön
gelegen, sauber und wird professionell bewirtschaftet.
Exkurs: Strände, Hotels und Tourismusträume
Auf dem Weg nach Dipkarpaz
Von den Stränden Yenierenköys ist es nur ein Katzensprung nach Sipahi südlich der Küstenstraße. Das kleine Dorf liegt auf einem Plateau 150 m über dem Meer. Man baut Gemüse und Tabak an. Weinreben hier und da und Haine von Oliven-, Mandel- und Johannesbrotbäumen formen eine geradezu bukolische Landschaft, in der sich ein frühbyzantinisches Kleinod verbirgt, die spärlichen Reste der Basilika Agía Triás mit ihren phantastischen Mosaiken.
Reste der Basilika Agias Trias mit ihren phantastischen Mosaiken in Sipahi
Zurück auf der Küstenstraße, die nun meist in Meereshöhe
verläuft, liegt am Wege die Kirche Agios Thyrsos. Seit Öffnung
der Grenze wird sie wieder von griechischen Besuchern eifrig mit
Kerzen und Votivgaben bestückt. Bedeutsamer als die noch recht
neue Kirche war für die Gläubigen aber das gegenüber
am Meer gelegene in eine Kapelle verwandelte Grab des hl. Thyrsos,
das eine Felsspalte mit einer Quelle birgt. Ihr werden magische Kräfte
nachgesagt. Kinderbegehrende Frauen wallfahrten früher häufig
hierher. Auf den nächsten Kilometern folgen schöne Strandabschnitte,
dann eine unscheinbare Abzweigung zum ehemaligen Kloster Panagia
Eleousa in den nahen Bergen. Ein Besuch dort lohnt eigentlich nicht.
Die Gebäude sind in schlechtem Zustand. Interessant ist, dass
die nach Agios Tyrsos wallfahrenden Frauen, die sich dort nach altem
Brauch auf den linken Oberschenkel schlugen, auch die Panagia Eleousa
besuchten und sich bei ihrem Anblick auf den rechten Schenkel schlugen,
angeblich deshalb, weil die Panagia ihr Kind in dieser Kirche auf
dem rechten Arm trage.
Reste des Klosters Eleoussa zwischen Dipkarpaz und Yeni Erenköy
Nördlich der nun landeinwärts biegenden Straße könnte
man an einem weiteren schönen Sandstrand pausieren. Doch die
weit gestreuten Häuser von Dipkarpaz schieben sich schon ins
Blickfeld. Wo sich Kirche und Moschee gegenüberstehen, ist sein
Ortszentrum.
Es sind nur ein paar Minuten Fahrt zum schönen Flecken Agios
Philon unterhalb von Dipkarpaz an der Nordküste. Hier und einige
Kilometer östlich, an einem Ort, der Aphendrika genannt wird,
träumen pittoreske Kirchenruinen von ihrer großen Zeit.
Exkurs: Historisches Entscheidungsfeld
Zum Andreas-Kloster und ans Ende der Welt
Wenn die letzten Häuser von Dipkarpaz zurückbleiben, wird es einsam. Zwischen dem Großdorf und der östlichen Spitze Zyperns gibt es keinen Ort mehr. 25 km auf leidlich befahrbarer Straße und 5 km unbefestigte Schlussetappe führen zum Zafer Burnu, einem felsigen Kap, das im Altertum unter dem Namen Dinaretum bekannt war. Die abgegriffene Wendung "Natur pur" hat in dieser Landschaft noch ihre Berechtigung. Idyllische Strandbuchten und Dünenlandschaften wechseln sich ab mit rundbuckligen, dicht bewachsenen Hügeln, dazwischen liegen Senken mit Getreidefeldern. Pinienhaine und Zwergzypressen, Johannesbrot- und Ölbäume, Myrtenbüsche und die roten Stämme des Erdbeerbaums begleiten den Weg hinaus an die Spitze. Millionen von Zugvögeln rasten hier und gar nicht so selten sind unverhoffte Begegnungen mit verwilderten Eseln.
Nach etwa 24 km liegt zur Rechten das weite Gelände des Andreas-Klosters. Aus der schmalen Teerstraße wird nun eine ganz passable Sand- und Schotterpiste. Voraus erhebt sich der Fels, den in der Antike ein Tempel der Aphrodite Akraia gekrönt haben soll und auf einer seiner Felsterrassen, einem Platz, den die Archäologen Kap Andreas-Kastros nennen, liegen die spärlichen Überreste einer neolithischen Siedlung. In der Verlängerung der Landspitze schließlich, reihen sich die unbewohnten Felseilande, die Kleides ("Schlüssel"), auf.
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