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Reiseführer Nordzypern

Belagerung und Verteidigung

Mit ihren zinnengekrönten, zerbrechlich wirkenden Mauern und schlanken Türmen bietet eine mittelalterliche Burg einen weit weniger martialischen Anblick als die artilleriebestückte massige Bastionärsfestung der frühen Neuzeit. Der augenfällige Wandel in der Konstruktionsweise von Verteidigungsanlagen war die Antwort auf die rasante wehrtechnische Entwicklung am Ausgang des Mittelalters. Äußerst wirksame Distanzwaffen wie das Pulvergeschütz oder der Vorläufer des modernen Gewehrs, die Arkebuse, hatten die herkömmlichen Distanzwaffen Bogen, Armbrust, Steinschleuder in wenigen Jahrzehnten verdrängt.

Burg von Girne (Rekonstruktion)

Rekonstruktion der Burg von Girne von William Dreghorn

Besonders das expansive Osmanische Reich, Venedigs ewiger Widersacher im östlichen Mittelmeer, zeigte sich in der Entwicklung und Handhabung moderner Feuerwaffen lange Zeit allen Gegnern überlegen. Italienische Festungsbaumeister in Diensten der bedrängten Venezianer und Johanniter parierten die anhaltende Bedrohung mit architektonischen Lösungen, die Schutz und wirkungsvolle Verteidigung gegen die neuen Waffensysteme versprachen. Drei Zeugnisse dieser neuartigen Festungsarchitektur lassen sich in Nordzypern studieren: neben der Burg von Girne, die aber, wie die harschen Kritiken und Mängelberichte zeitgenössischer italienischer Wehrarchitekten belegen, nicht dem Idealentwurf nahekam, sind dies vor allem die vortrefflichen Stadtbefestigungen von Gazi Magusa (Famagusta) und Lefkosa (Nicosia).

Stadtmauern von Famagusta

Die mächtigen Stadtmauern von Famagusta

Die Verteidiger einer mittelalterlichen Burg setzten alles daran, unter Ausnutzung ihres großen taktischen Vorteils -der hohen Verteidigungsstellung- die Angreifer mit einem Pfeilhagel, Armbrustgeschossen und sogar Steinschleudern auf Distanz zu halten, wie etwa 1374, als die Genuesen erfolglos gegen die Burg in Girne anrannten. Konnte der Gegner dennoch bis an die Mauer vordringen, gingen die Verteidiger mit Steinen, Feuer und kochendheißem Pech gegen den Feind vor. Hatte dieser unterdessen seine Steinschleudern (ein einfacher Nachbau steht im Innenhof der Burg von Girne) gegen die Mauern in Stellung gebracht und erste Breschen geschlagen, an denen sich schon Enterkommandos mit Sturmleitern zu schaffen machten, bewegte sich gar noch ein Ungetüm von Belagerungsturm schwankend auf seinen plumpen Holzrädern auf die Burgmauer zu, wurde es für die Eingeschlossenen kritisch: alles lief auf einen Nahkampf hinaus, auf ein blutiges Gemetzel entlang dem Wehrgang hinter der Mauerkrone. Mittels Vorrichtungen zur Unterminierung der Befestigungen und starker Stoßbalken von Mauerbrechern (sogenannten Ramm- oder Sturmböcken) setzten an anderen Mauerabschnitten Spezialtrupps das Zerstörungswerk fort.

Mit dem Aufkommen der Pulvergeschütze zu Beginn des 15. Jahrhunderts gehörten diese traditionellen Techniken der Verteidigung und Belagerung rasch der Vergangenheit an. Die gewaltige horizontale Schlagkraft der neuen Waffe gefährdete besonders die schwachen Kurtinen, die Mauersegmente zwischen den Türmen. Erdaufschüttungen auf ihren Innenseiten brachten die erforderliche Verstärkung und zugleich Stellplätze für die eigene Artillerie. Die Gräben rund um die Burg wurden verbreitert, die Burgtürme gekappt und mit Geschützen bestückt. Weit vorgeschobene Außenwerke kontrollierten das Gelände im Vorfeld. Die Silhouette der Burg wurde deutlich niedriger, ihre Grundfläche größer. Die zunehmende Reichweite der Kanonen ließ Belagerer und Verteidiger auseinander rücken.

 


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