Kantara
Sie ist die östlichste der zyprischen Bergburgen und liegt fernab der touristischen Zentren. Es macht daher Sinn, einen Besuch der Burg, zumal bei Anreise aus dem Raum Girne, als Ganztagstour zu planen. Wählt man die reizvolle Strecke von Girne entlang der Küste bis zum Dorf Kaplica und folgt dann dem steilen Aufstieg zur bescheidenen Sommerfrische Kantara in 550 m Höhe, sind etwa 65 km absolviert. Eine andere Route führt über den Besparmakpass hinunter in die Mesarya-Ebene und dann weiter auf der Schnellstraße Richtung Famagusta bis zur Abzweigung vor Mutluyaka. Diese Strecke stößt in Höhe des antiken Salamis auf die wichtige Route, die Famagusta mit der Karpaz-Halbinsel verbindet. Ihr folgt man bis Bogaz, biegt dort nach links ab und fährt die 13 km lange Steilstrecke über die Dörfer Yarköy und Turnalar nach Kantara. Wer aus Lefkosa anreist, hat 87 km zurückzulegen, von Famagusta sind es etwa 40 km.
Je mehr das Auto an Höhe gewinnt, desto grandioser die Ausblicke, desto intensiver der würziger Duft, den der Kantara Forest verströmt. Seine Pinien und Zypressen ziehen sich rund 20 km über die Bergrücken östlich des Geçitkale-Passes bis hinaus auf die Karpaz-Halbinsel, wo der Bergzug an Höhe verliert und in einzelne Hügel und Plateaus zerfällt. 1904 fielen große Zypressenbestände den Flammen zum Opfer und 1912 wurde praktisch der gesamte Forst mit einer bewachsenen Fläche von 6.500 ha durch einen Brand vernichtet. Auslöser waren wie bei vielen anderen Waldbränden jener Zeit fahrlässig hantierende Schäfer, die mit ihren großen Schafherden die damals noch erlaubte Waldweide betrieben. Seinerzeit waren es die englischen Kolonialbehörden, die eine Neubepflanzung der verkohlten Berghänge in die Wege leiteten. Auch heute sind immer wieder Aufforstungsmaßnahmen vonnöten, wie man unschwer an den akkurat ausgerichteten Baumreihen im sauber terrassierten Gelände erkennt.
Wie in jedem anderen Winkel der Insel stößt man auch hier im Boden auf die Zeugnisse einer langen Geschichte. Gehöfte, ganze Siedlungen und die dazugehörigen Nekropolen, aus geometrisch-archaischer Epoche bis in die frühbyzantinische Zeit reichend, hat man in diesem Landstrich entdeckt. Allein im Umfeld des Dorfes Ardahan, im südlichen Kantara-Forest, westlich von Turnalar, liegen nicht weniger als neun antike Stätten.
Das winzige Dorf Kantara mit Restaurant und einladendem Picknickplatz ist Ausgangspunkt der Schlussetappe mit überwältigenden Ausblicken auf die grenzenlos erscheinende Mesarya-Ebene. Ein zumeist unbefestigter schmaler Fahrweg kurvt um Felsenecken und entlang Steilhängen, um nach dreieinhalb Kilometern am Fuß der Burg zu enden.
Im Eingangsbereich
Vom
Parkplatz steigt ein Fußpfad in Kehren zur äußeren
Pforte hinauf. Der mächtige Steinwürfel zur Rechten, der
gestützt von Strebepfeilern aus dem Hang herauszuwachsen scheint,
ist eine der Zisternen der Burg. Winterregen, wenn er denn fiel,
ergoss sich durch Tonrohre und Kanäle in das Becken.
Beeindruckt sind Besucher von dem äußeren Teil der Anlage
anfänglich kaum (allenfalls von den Mühen des Aufstiegs).
Das ändert sich schlagartig nach einem Blick auf die Grundrisszeichnung der Burg, wird doch jetzt das raffinierte Design dieser hochwirksamen
Verteidigungsanlage erkennbar. Die starke Hauptmauer mit dem inneren
Eingang und eine unten am Hang verlaufende äußere Mauer
riegeln die östliche Bergflanke - hier war geländebedingt
der einzig mögliche Zugang zur Burg - hermetisch ab. Die hufeisenförmigen
abgestuften Ecktürme der Hauptmauer stoßen auf die äußere
Mauer und formen auf diese Weise eine großflächige, geschlossene
Vorwehr, eine sog. Barbakane. Sie zu durchqueren, um in das Herz
der Burg vorzudringen, war für Angreifer eine schier unlösbare
Aufgabe. Sie wären gleich von vier Seiten unter Beschuss von
Bogen- und Armbrustschützen geraten.
Ü
ber Stufen erreicht man den inneren Eingang. Ein Abstecher zu einer
der vorgeschobenen Miniatur-Bastionen, macht deutlich, wie eng die
Stellung ausgebaut war. Sie bietet nur e i n e m Bogenschützen
Platz, der auch noch ohne eine sichere räumliche Verbindung
zum zentralen Teil der Burg seinen Kampfauftrag erfüllen musste.
Der nördliche Abschluss der Barbakane, ein Turm mit langgezogener
Abstufung, endet in einer winzigen, halbrunden Bastion, die nicht
zufällig auf die erwähnte Zisterne ausgerichtet ist.
Nur von dieser vorgeschobenen Stellung aus war sie wirkungsvoll
zu verteidigen.
Auch wer auf dem Plateau seinem kriegerischen Handwerk nachging,
stand vor nicht geringen Problemen.
Auf dem Plateau
Das
unebene, felsige Gelände ließ den Ausbau brauchbarer
Verbindungswege zwischen Gebäuden, Mauerabschnitten und Türmen
nicht zu. So musste sich die Besatzung mit den engen Wehrgängen
entlang der Mauer begnügen und sie nutzte in kritischen Situationen
auch die Flachdächer zum schnelleren Fortkommen.
Nach Passieren des inneren Eingangs liegt linker Hand der Südostturm.
Unter dem Kreuzgewölbe dieses mächtigen Flankenschutzes
war die Torwache untergebracht. Die Wächter sollen ihre Gefangenen
in den düsteren Kellergewölben unter dem Wachlokal
eingesperrt haben - oder war es doch nur ein Vorratsraum oder
eine Zisterne?
Das zinnenbewehrte Dach des Turms diente der Besatzung als Verteidigungsplattform.
Es folgt ein weiteres Gebäude, ehe man über Stufen im Fels
zum südöstlichen Gebäudekomplex herabsteigt. Vermutlich
waren hier Soldaten einquartiert. Doch Bogenscharten deuten darauf
hin: Die Räumlichkeiten waren mehr als nur Unterkünfte.
Und ganz besonderen Zwecken diente der vierte Raum. Gerade zwei Meter
breit und an seinem Ende nur noch einen Meter, soll dieses sonderbare
Trapez die Burglatrine gewesen sein. Sogar ein quadratischer Schacht
als "Fallrohr" lässt sich noch am Hang ausmachen. Die Latrine
wurde wahrscheinlich durch ein Leitungsrohr bespült.
Eine offene Zisterne liegt am Weg, der sich vielleicht ein Dutzend Meter den Abhang entlangschlängelt und dann zu einem Komplex eingewölbter Räume in der Südwestecke des Plateaus absteigt. Es sind die Ruinen von Wohn- und Verteidigungsanlagen. Auch ein Vorratsraum und eine Zisterne wurden hier errichtet. Vom ersten Raum mit schönem Kreuzgewölbe führte ein halsbrecherischer Fluchtweg den fast senkrecht abfallenden Fels hinab. Der Außenseite dieses Gebäudeteils ist ein starker zylindrischer Turm vorgesetzt mit einer tief hinunter reichenden gemauerten Böschung. So richtig erfassen lässt sich dieser Verteidigungsabschnitt in seinen Ausmaßen und seiner Wirkungsweise nur von außen bei der An- oder Abfahrt. Es folgen ein weiterer Raum und dann die Zisterne.
Wer
den Weg durch zugewachsenes Gelände nicht scheut, kann
von hier aus den nordwestlichen und nördlichen Plateaurand erkunden,
dabei im Gestrüpp Steinfragmente entdecken und über Mauern
rätseln, deren Grundriss und Daseinszweck niemand mehr kennt.
Eine pittoreske Ruine, die als "Zimmer der Königin" den höchsten
Punkt des gewaltigen Burgpodests krönt, war allem Anschein nach
ein hochherrschaftliches Gebäude, auf dessen erhaltenem Gewölbe
ein Obergeschoß aufsaß. Nach alten Berichten wurde
von seinem Flachdach aus die Sicht- und Signalverbindung zur
48 km entfernten
Burg Buffavento aufrechterhalten.
Beim Abstieg zurück zum inneren Eingang öffnet sich die
Rückseite des komplexen Nordostturms. Auf seiner ungefährdeten
Westseite lässt sich durch zwei große Fenster das Küstenpanorama
genießen. Im nicht mehr vorhandenen Obergeschoß lagen
Kampfplätze der Bogen- und Armbrustschützen. Eine quadratische
Galerie stellt die Verbindung zum hufeisenförmigen Verteidigungstrakt
her. Mit der halbrund auslaufenden Turmverlängerung wurde im
14. Jahrhundert dieser Turm dem weit über den Hang ausgreifenden
Südostturm angeglichen. Noch später verlängerten die
zwei schon erwähnten Miniaturbastionen, beide Ein-Mann-Kampfplätze,
die Turmanlagen so weit den Hang hinab, dass sie sich mit der äußeren
Mauer zu einem geschlossenen Innenhof, der Barbakane, vereinigten.
Die Burg in der Geschichte
Mit
den Bergburgen Kantara, Buffavento, St. Hilarion sowie der Burg
von Kyrenia (heute: Girne) erhielt das byzantinische Zypern
ein wirkungsvolles Verteidigungssystem, das den nördlichen
Küstenstreifen und die zentrale Mesarya-Ebene südlich
der Bergkette gegen äußere Feinde und innere Opponenten
sichern sollte. Unter der Herrschaft der Lusignan-Könige wurden
die Burgen nach dem Vorbild der traditionellen Kreuzfahrerarchitektur
der Levante des 13. Jahrhunderts umgestaltet, die offenbar den
Sicherheitsvorstellungen der Lusignans eher entsprach als damals
kursierende moderne Festungspläne.
Als die Serenissima vom Lido 1489 die Macht auf Zypern an sich
riss, zählten bereits weitreichende Pulvergeschütze zur
militärischen Standardausrüstung. Eine neue Militärdoktrin
machte die fragilen Bergburgen überflüssig. Sie hatten
ausgedient, waren eher eine Belastung, da zu befürchten war,
die unterdrückten Zyprer könnten rebellieren und sich
der Burgen bemächtigen. Also erging der Befehl, die alten
Burgen zu schleifen und so geschah es um das Jahr 1525.
In den folgenden Jahrhunderten gerieten sie mehr und mehr in Vergessenheit.
Kantaras Geburtsstunde ist wohl in die Jahre nach 965 zu datieren. Auf dem 630 m hohen Felsplateau entstand zunächst ein Beobachtungsposten, um die Wende zum 12. Jahrhundert die eigentliche Burg. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts spielte die Burg eine bedeutende Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen den zyprischen kaiserfeindlichen Baronen und den Anhängern des Stauferkaisers als Oberlehnsherr der Insel. Während der genuesischen Okkupation großer Teile Zyperns im ausgehenden 14. Jahrhundert konnte Kantara von den Lusignans gehalten und zu einem wichtigen Stützpunkt bei der Einkreisung der aggressiven Genuesen in Famagusta umgestaltet werden. Die Bauten, die man heute in Kantara besichtigen kann, stammen aus jener Zeit. Sie gehen auf Anweisungen des Königs Jacques I. de Lusignan zurück, der zeitgleich auch die antigenuesische Festung Sigouri in der Mesarya-Ebene um 1391 neu erbauen ließ.
Anfangs hatten die neuen Machthaber aus Venedig die Burg sogar noch mit Truppen bemannt. Doch schon bald setzte sich die neue Militärdoktrin durch. Sie favorisierte artilleriegerechte Bastionärsfestungen im Flachland, für die Bergburgen waren jetzt die Sprengmeister zuständig.
Mersinlik
Zurück an die Küste nehmen wir einen anderen Weg, eine kurvenreiche, schmale Waldstraße, die sich von Kantara den Beşparmak-Nordhang hinabwindet, das kleine Bauerndorf Mersinlik durchquert (Phlamoudhi nennen es die Griechen, eine große Kirche erinnert an ihre Anwesenheit bis 1974), die rechter Hand liegende bronzezeitliche Stätte Vounari passiert und wenig später auf die Küstenstraße stößt. Ihr folgt man nun nach Westen. Sechs, vielleicht auch sieben Kilometer weiter weist ein Schild auf die alte Kirche Panagia Pergaminiotissa links der Straße hin und nach weiteren fünf Kilometern liegt etwas abseits und nahe dem Ufer (Einheimische nach dem Weg fragen!) die fast unscheinbare, aber archäologisch außerordentlich wichtige Ausgrabungsstätte Tatlisu-Çiftlikdüzü, die seit 1996 erforscht wird.
Über Küçükerenköy und vorbei an Bahçeli und Esentepe nähern wir uns wieder Girne.