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Reiseführer Nordzypern

Mesarya–Ebene

Wer die Mesarya in der heißen Jahreszeit erlebt hat, wird Augenzeugenberichten aus dem März oder April kaum Glauben schenken wollen – so gegensätzlich erscheint das Bild. Von grün-wogenden Getreidefeldern wird dort erzählt, von einer „unendlichen Wiese der Aphrodite, übergossen vom vergänglichen Zauber der Anemonen und des Mohns .... kreuzschraffiert mit seidenweicher Vegetation“. Trug sie nicht gerade noch „ihr sandfarbenes Dürrekleid“, „gelbbraun verbrannt, rissig, versteppt – Asien auf Zypern“ ? Hatte sie sich nicht „zum Sterben niedergelegt“, „sandverflucht, leer und im Mondlicht eine unheimliche Einöde“?

Die weite Mesarya-Ebene

Sie verbinde fürwahr „äußerste Schönheit mit äußerster Hässlichkeit“, stellte der Romancier Lawrende Durrell fest. Ihre beiden Seiten seien so extrem, „dass man sich fragt, ob die Schönheit oder die Hässlichkeit die größere Macht hat“.
Es werden nicht sehr viele sein, die der „hässlichen“ Seite der großen Ebene etwas abgewinnen können, dieser ockerfarbenen Steppe, wo es keinen Schatten gibt, auf der flache Morgennebel lagern und über die wirbelnde Tromben hinwegrasen, die den Sand in die Höhe reißen. Als es noch Mut erforderte, die unwirtliche Mesarya zu durchqueren, klangen alle Erzählungen über das Abenteuer so ähnlich wie diese:

„Wer sich einen Vorgeschmack von den Leiden und Freuden eines Wüstenrittes verschaffen will, der befolge mein Beispiel und durchreite im August oder in den ersten Septembertagen die große Ebene (...) Es kann ihm dann wie mir vorkommen, dass er auf einer Strecke von sieben Stunden kein Haus, keine Quelle und keinen Baum antrifft; dürres Gestrüpp bedeckt den überall geborstenen Boden; die Sonne versendet ihre sengenden Strahlen und vor Durst möchte man schier verschmachten (...) In der durchsichtigen Atmosphäre erscheinen die fernsten Gegenstände nahegerückt (...) aber der Weg entwickelt sich aus sich selber in stets neuer Ausdehnung und enttäuscht sinkt der Mut. Das Maultier selbst verlangsamt keuchend seinen Schritt und schnüffelt ängstlich im Sande herum, um die Spur eines Leidensgefährten zu entdecken“.


(Karl Schneider, Journalist der „Kölnischen Zeitung“, 1878)

Selbst heute, während der Fahrt auf der schnurgeraden Schnellstraße durch die Mesarya gen Famagusta, bleibt noch ein Hauch jenes „Wüstenritts“ lebendig.

Die große Senke zwischen den Bergen

Wirft man bei der Fahrt über die Höhen des Besparmak-Gebirges einen Blick auf die Mesarya zu Füßen, erscheint sie tischeben, konturenlos, monoton. Doch unten angekommen, zeigt sich die Ebene überraschend vielgestaltig: Gebirge umrahmen sie im Südwesten und Norden, sanft an- und absteigende, niedrige Hügel formen mancherorts ihre Oberfläche, wie Klötze stehen hier und da eigentümlich geformte Tafelberge, scharfkantige Ufer mäandernder Winterflüsse durchschneiden das Land zwischen baumbestandenen Siedlungsoasen.


„Mesarká“, woraus auf Umwegen „Mesaoría“ (griech.) und „Mesarya“ (türk.) wurde, hieß ursprünglich nur der östliche Teil der großen Ebene. Verallgemeinernd auf die ganze Niederung übertragen, entwickelte sich die naheliegende, aber irrige Deutung des Namens als „Land zwischen den Bergen“, zwischen Troodos- und Besparmak-Gebirge.
Als sich im erdgeschichtlichen Zeitalter des Miozäns (vor rund 11 Mio. Jahren) die Gipfel der beiden Gebirgssysteme über die Meeresoberfläche schoben, war die heutige Mesarya noch ein Meeresarm. Erst vor etwa 3 Mio. Jahren, während des Jungpliozäns, einer Zeit starker Hebungen, Senkungen und Meeresspiegelschwankungen, wurde die Ebene landfest. Auf ihren mächtigen kalkhaltigen Sedimentschichten lagerte sich über weite Flächen in noch jüngerer Zeit eine stellenweise bis zu 100 m starke, von den Vorbergzonen des Troodos und Besparmak abgetragene Schotterschicht ab. Durch allmähliche Verwitterung bildeten sich aus den nährstoffangereicherten Ablagerungen fruchtbare sandige bis tonige Böden.

Kornkammer des Nordens

Als „relativ fruchtbar“ wird die Mesarya dank ihrer nährstoffreichen Alluvialböden eingestuft. „Relativ“ deshalb, weil die große Senke ein ausgeprägtes Regionalklima kontinentalen Charakters aufweist. Dazu zählen extreme Temperaturgänge und – da im Lee des Besparmak-Gebirges liegend – deutlich geringere Niederschlagsmengen, als sie andere Inselregionen verzeichnen. Trockenfeldbau ist also angesagt mit Ausnahme der bewässerten Zonen im äußersten Osten um Gazimagusa und am westlichen Rand der Niederung um Güzelyurt mit weitläufigen Zitrusplantagen.
Auf rund 83.000 ha (das sind etwa 75 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Nordzyperns) werden Gerste und Weizen im ungefähren Mengenverhältnis 3:1 angebaut – mit freilich stark schwankenden Erträgen bedingt durch Wetteranomalitäten, wenn einmal wieder der Niederschlag viel zu spärlich fällt oder der durch sintflutartige Wolkenbrüche angeschwollene Kanlidere (den man im Sommer vergebens sucht) seine winterlichen Fluten über die Ebene verteilt und die Saaten mit dem Erdreich wegschwemmt.

Mesarya-Ebene Nordzypern
Foto: © Jean Clark

Meinte es das Klima gnädig, wächst das eingangs geschilderte grün-wogende Getreidemeer heran, gesprenkelt von Mohnblumen und an seinen Rändern dicht belagert von Teppichen der gelben Kronen-Wucherblume, der die Engländer den hübschen Namen „crown daisy“ gaben. Ihre Verwandte, die Saat-Wucherblume, Weißer Senf und Ackersenf und früh im Jahr die schöne Tazette, eine Wildnarzisse, leisten ihr üppige Gesellschaft.

Dörfer der Mesarya

Mag sie in ihrem „Dürrekleid“ auch noch so unwirtlich erscheinen, ist die Mesarya doch uraltes Kulturland, das schon Generationen von Bauern unter ihren Pflug genommen haben. Die Relief- und Bodenverhältnisse sind hier so günstig, dass diese Trockenfeldbauregion in neuerer Zeit maschinell bearbeitet werden kann. Neben der relativen Fruchtbarkeit der Böden kommt noch ein weiterer, die Landwirtschaft begünstigender Faktor zum Tragen: wasserundurchlässige Schichten verhindern das rasche Versickern der Niederschläge (sofern sie denn fallen) und erhalten auf diese Weise in den oberen Bodenhorizonten die Feuchtigkeit länger als in Gegenden mit Böden aus Lockermaterialien.

Blick über die dunstverhangene Mesarya-Ebene

Die über die weite Senke verstreuten bäuerlichen Siedlungen zählen zu den für Zypern so charakteristischen, geschlossenen Haufendörfern, die hier einen besonders hohen Verdichtungsgrad erreichen. Was zur Entstehung dieser traditionellen Dorfform führte, ist kaum bekannt. Es könnten Schutzfunktionen eine Rolle gespielt haben, auch lokale Wasservorkommen, sehr wahrscheinlich die agrare Wirtschaftsweise, denn es ist auffallend, dass in landwirtschaftlichen Gunstlagen mit intensiver und weiträumiger Bewässerungskultur Streusiedlungen vorherrschen wie beispielsweise die Dörfer Lapta, Alsancak, Dipkarpaz.


In manchen Dörfern sind noch bis zu drei Viertel der Gebäude in traditioneller Lehmziegelbauweise erhalten. Doch ihre Zahl nimmt rapide ab. Betonbauten treten an ihre Stelle, auch wenn deren Dämmfähigkeit bei weitem nicht an die der Lehmziegelbauten heranreicht. Wie sehen die typischen Lehmziegelhäuser aus, wie sie noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut wurden ? Man errichtete zunächst aus Natursteinen ein stabiles, einen halben Meter hohes, quadratisches Fundament für die Außenwände, das zugleich Schutz gegen Wasser und Bodenfeuchtigkeit garantierte. Auf dieser massiven Unterlage wurden dann die Seitenwände aus Lehmziegeln hochgezogen. Man fertigte sie vor Ort und vermischte dazu Lehm, Strohhäcksel und Wasser, verstrich die zähe Masse in Holzformen im Format 30 mal 45 mal 5 cm zu Ziegeln, die an der Sonne steinhart austrockneten. Die ungewöhnliche Dicke der verputzten Außenwände (50 cm) war aus statischen Gründen notwendig, da mangels unterstützender Pfeiler das ganze Gewicht des Daches auf den Seitenwänden lagerte. Bei 6 m Firsthöhe erhält solch ein Haus ein relativ großes Volumen, was dem Raumklima zugute kommt und im Zusammenwirken mit den hervorragenden Isolierungseigenschaften der Lehmziegel im Sommer wie im Winter angenehme Temperaturen gewährleistet. In die Mitte der Frontseite des Hauses ist der großzügige Eingang eingelassen, der in eine Art Eingangshalle übergeht, an der zu beiden Seiten je ein Raum liegt (Wohnen/Essen + Schlafen). Dann folgt der große Innenhof mit zwei kleineren Räumen an einer Seite (Waschen + Kochen) und an seiner Rückwand über die ganze Breite der Schafstall. Die Tiere trieb man durch Eingang und Eingangshalle in ihren Stall.


In dieser Weise zu bauen, war preiswert, fand man doch alle Baumaterialien in der nahen Umgebung. Auch die jahreszeitlich anfallenden Reparaturen an Dach und Wänden verlangten keinen Aufwand.
Als Dachziegel noch nicht die traditionellen Lehmdächer verdrängt hatten, auf denen sich im Frühjahr eine reichhaltige Flora entwickelte, war der „Dachreiniger“ ein gefragter Mann, der die durchgrünten Dächer wieder funktionsfähig machte. Von ihnen erzählt der schon zitierte Karl Schneider:

„In türkischen Mesarya-Dörfern muss nun der Dachreiniger, ehe er das Dach besteigt, erst mit lauter Stimme drei Mal ausrufen: `Lasse sich niemand sehen, ich steige aufs Dach!` Dieser Ruf gilt den türkischen Weibern. Da sie innerhalb ihrer vier Pfähle und der hoch ummauerten Höfe ohne Schleier, oft nur sehr fraglich bedeckt, umherspazieren, so würde der Dachreiniger ihre unverhüllten Reize schauen, wenn er sie nicht erst durch seinen Ruf verscheuchte. Unterlässt er aber dieses Gebot türkischer Etiquette, so läuft er Gefahr, von dem eifersüchtigen Ehemann gesteinigt zu werden. Die Türken sind in dieser Beziehung sehr streng. So verweigerte mir der Muezzin der Sophien-Moschee das Besteigen des Minaretts, weil ich ja von dort die Hanims (Frauen) in ihren Gehäusen beobachten könne!“

 


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