Historisches Entscheidungsfeld
Die Fühler des karpassischen Landzipfels ragten ihnen wohl zu einladend entgegen, als dass die Mächtigen und Landhungrigen Kleinasiens und der Levante ihnen hätten widerstehen können. Schon im Neolithikum setzten sich hier Siedler fest, gefolgt von immer neuen Einwanderungswellen ostmediterraner Stämme. Achaier vom griechischen Festland gründeten später hier erste Stützpunkte und Phöniker gesellten sich dazu. Nach ihnen kamen die persischen Heere aus Kilikien gleich zweimal verwüstend ins Land und in den Wirren der Diadochenkriege nach Alexanders Tod gingen viele Städte unter. Während der "Pax Romana" und in frühbyzantinischer Epoche erlebte der Karpaz seine große Zeit. Landwirtschaft, Handel, Handwerk und Kunst florierten, das Land war dicht besiedelt. Das jähe Ende dieser Glanzzeit kam mit den arabischen Überfällen, die ab Mitte des 7. Jahrhunderts Unsicherheit und Stagnation verbreiteten.
Mit der Etablierung der neuen "fränkischen" Machthaber Ende des 12. Jahrhunderts zeichnete sich für den Karpaz der Beginn einer neuen Blütezeit ab. Dank ihrer landwirtschaftlichen Ressourcen stieg die Halbinsel zu einer der bedeutendsten Baronien im Königreich der Lusignans auf. Führende Familien wie die de la Roche, de Fabrice, de Verney und vor allem der venezianische Giustiniani-Clan kontrollierten den Karpaz. Unter osmanischer Herrschaft wurden viele Türken angesiedelt, dafür wechselten zahllose griechische Familien hinüber nach Kleinasien, wo sie in griechisch dominierten Gegenden Unterschlupf fanden. Die Wirtschaft stagnierte, die Zeiten waren unsicher, Piraten tyrannisierten die Küstenorte.
Richard Pococke notierte 1738 auf seiner Karpazreise: "Der betrübliche
Zustand dieses Theiles der Insel entsteht von den beständigen
Plünderungen der maltesischen Kaper, die hier häufiger
als anderswo anlanden." Obendrein kamen, wie Samuel White Baker 1879
erfuhr, während der türkischen Verwaltung jährlich
Hunderte von Schiffen aus Kleinasien und Ägypten, "einzig
und allein, um Feuerholz nach dem Gewicht für ihre Häfen zu
holen." Kokonzucht und Seidenherstellung waren für eine gewisse
Zeit ein sicheres Standbein. Nach Abebben des Seidenbooms trat Tabakanbau
an seine Stelle. Besonders den Frauen, deren Männer aus purer
Not emigriert waren (und das waren nicht wenige), bot er eine zusätzliche
Einkommensquelle. Die Abgeschiedenheit des karpassischen Sporns vom
Rest der Insel und fehlende Verkehrsanbindungen haben die dortige
Entwicklung noch bis in das 20. Jahrhundert hinein massiv beeinträchtigt.
Bis in unsere Zeit sind es die Oliven und das Gemüse, Getreide
und Viehwirtschaft, auch noch ein wenig Tabakanbau, die das Landvolk
ausharren lassen. Doch der Abwanderungsdruck bleibt.