Reiseführer Nordzypern
Panagia Kanakaria
Die Mosaiken
Wie bei der Kirche Panagia tis Kyras bei Sazliköy und der Kirche Panagia Angeloktistos im südzyprischen Kiti wurde auch bei der Kanakaria die Apsis eines frühbyzantinischen Vorgängerbaus in die mittelalterliche Kirche inkorporiert. Damit konnte das wenige, was die Araberstürme von den kostbaren Mosaiken in frühbyzantinischen Basiliken übrig gelassen hatten, für die Nachwelt bewahrt werden. Die Apsismosaiken der Kanakaria werden in die dritte Dekade des 6. Jahrhunderts datiert, also lange vor dem verheerenden Bilderstreit, der das Byzantinische Reich zwischen 717 und 842 erschütterte, als radikale Bilderstürmer alles kurz und klein schlugen, was nach figürlicher Darstellung aussah. In Zypern verlief der Streit um die Bilderverehrung, ihre Rolle im religiösen Kult, maßvoll. Es kam zu keinen Zerstörungen, die einzigartigen frühchristlichen Mosaiken blieben erhalten.
Doch wie in der Panagia tis Kyras dienten auch in der Kanakaria
einem lokalen Aberglauben zufolge die gläsernen Mosaikwürfel
der Heilung von Hautkrankheiten, wurden also nur zu gerne von den
Gläubigen eingesteckt und so verwundert es nicht, dass der
mit Zyperns Kunstgeschichte bestens vertraute George Jeffery
schon im
Juni 1914 notierte: "The mosaic is now in the very last stage
of ruinous neglect (.) The face and the larger part of the figure
(Maria) are entirely gone, and the only portion of the centre
group
preserved
to some extent is the Infant (Jesus)."
Thema der Kanakaria-Mosaiken ist die Gesegnete Jungfrau mit dem
Jesuskind auf ihren Knien. Sie sitzt auf einem mit Gemmen verzierten
Elfenbeinthron,
der von einer Mandorla (Heiligenschein) umgeben ist. Zur Rechten
Mariens steht Erzengel Michael, zur Linken Erzengel Gabriel.
Eine mit geometrischen Motiven und Blumenmustern ornamentierte
Bordüre
trennt diese zentralen Bildelemente von den ehemals zwölf Apostelmedaillons
in der Apsisleibung. Zerstört waren schon seit langem die Medaillons
von Jesus Christus, Petrus, Paulus und Johannes, erhalten waren noch
bis zum Zugriff der internationalen Kunsthändlermafia die Jüngermedaillons
von Andreas, Philipp, Matthäus, Lukas, Judas Thaddäus,
Jakob, Markus, Bartholomäus und Thomas.
Die Mosaizisten verwendeten für ihre aufwendigen Arbeiten Glastesserae
in verschiedenen Farben, auch Glaswürfel, die mit Gold- oder
Silberplättchen bedeckt waren und in Farbe getauchte Würfel
aus Marmor und Stein, zusammen mehr als vierzig Farbabstufungen.
Die
abgeschieden liegende Kirche von Boltasli (griech. Lythrankomi)
geriet in den 1980er und -90er Jahren in die Schlagzeilen der
Weltpresse, nachdem sie das Opfer eines beispiellosen Kunstraubkrimis
geworden
war. In aller Kürze erzählt, hatte eine skrupellose Bande
im Sommer 1979 einzigartige Mosaiken des 6. Jahrhunderts brutal
aus der Apsis der Panagia Kanakaria herausgerissen, sie nach München
verbracht, wo sie von dem einschlägig vorbelasteten Zyperntürken
Aydin Dikmen übernommen wurden. Einige Jahre verstrichen.
Ab 1985 wurde der internationale Kunstmarkt ob seiner Kaufbereitschaft
getestet. 1988 kam es zum entscheidenden Deal. Beteiligt waren
außer Dikmen ein vorbestrafter niederländischer Kunsthändler
als Vermittler und als Käuferin die amerikanische Kunsthändlerin
Peggy L. Goldberg. Sie zahlte für vier Mosaikfragmente (also
für nur einen Bruchteil des Raubgutes) 1,2 Mio. Dollar und
schaltete ein Genfer Auktionshaus ein, das im Oktober 1988 die
Kunstwerke für 20 Mio. Dollar dem kalifornischen Paul-Getty-Museum
zum Kauf anbot. Jetzt flog die Sache auf. Im Jahr darauf klagte
die orthodoxe Kirche Zyperns auf Herausgabe der Mosaiken. Sie wurden
ihr zugesprochen, doch Goldberg ging in die Berufung, die zurückgewiesen
wurde. Im August 1991 trafen die Mosaiken (Apostelmedaillons) in
Zypern ein. Sie sind heute im Byzantinischen Museum von Nicosia
zu besichtigen. Weitere Mosaikfragmente aus der Panagia Kanakaria
(und aus anderen Kirchen Nordzyperns) wurden 1997 in angemieteten
Wohnungen Dikmens in München gefunden, doch fehlt von anderen
(Teilen der Marienfigur, des Thrones, der Mandorla, der beiden
Erzengel sowie ornamentalen und vegetabilen Motiven) nach wie
vor jede Spur.
Vor Ort, in Boltasli, sind nur noch unbedeutende Fragmente des
Gewölbemosaiks zu sehen.
Zur Baugeschichte
Der erste Vorläuferbau der heutigen Kirche entstand um das Jahr 500, als inselweit Basiliken, Kapellen und Klöster fast schon wie Pilze aus dem Boden schossen. Der frühe Bau war eine dreischiffige, holzgedeckte Säulenbasilika mit drei Apsiden an ihrer Ostseite und einem Narthex (Vorhalle) vor der Westseite. Die Basilika gehörte zu einer spätrömisch-frühbyzantinischen Siedlung. Nach ihrer Zerstörung durch die Araber Mitte des 7. Jahrhunderts blieb sie einige Jahrzehnte ungenutzt. Um 700 wurde sie repariert, erhielt wieder ein Holzdach und statt der Säulen gemauerte Pfeiler. 1160 richtete ein Erdbeben schwere Schäden an, die eine vollständige Neugestaltung notwendig machten.
Es entstand nun (unter Einbeziehung der frühbyzantinischen Apsis)
eine Mehrkuppelkirche: Hauptschiff und Narthex erhielten einen Tambour
und darauf eine Kuppel, während die Kuppel über der Bema,
dem Altarbereich, direkt aufsitzt. Die Kirche war jetzt Bestandteil
eines Klosters, von dem noch ein Trakt erhalten ist. Im 13. Jahrhundert
entstand das südliche Seitenschiff neu. Es erhielt einen grazilen, überkuppelten
Vorbau. 1491 kam es erneut zu Erdbebenschäden. Dabei stürzte
die zentrale Kuppel ein und wurde neu aufgemauert. Zu den schon vorhandenen
Ausmalungen kamen in diesem Zeitraum eine große Zahl neuer
Fresken hinzu, die heute entweder nicht mehr vorhanden sind oder
durch Missbrauch und Vernachlässigung nahezu unkenntlich
geworden sind.
Erst 1888 wurde der Glockenturm errichtet.
Suchen bei schwarzaufweiss