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Reiseführer Nordzypern

Ende des Wassernotstands ?

Was im Sommer 1998 an Nordzyperns Küste in Szene gesetzt wurde, hätte nach Meinung einer deutschen Tageszeitung das Zeug dazu gehabt, "die politische und wirtschaftliche Landkarte des östlichen Mittelmeeres und des Nahen Ostens zu verändern". Doch wie so oft in levantinischen Angelegenheiten waren es die Unabwägbarkeiten des Projekts, die das ins Kraut schießende Wunschdenken schon bald auf den Boden der Tatsachen zurückholten. Auslöser euphorischer Zukunftsvorstellungen und nachfolgender Ernüchterung war das kostbare Gut Süßwasser, seine schier unbegrenzte Verfügbarkeit im südtürkischen Taurus-Gebirge und die Bereitstellung vielversprechender, neuer Transporttechnologien. Das Hauptproblem, die Beförderung des Wassers an die Küsten der dürstenden ostmediterranen Länder und Inseln Kreta, Malta und Zypern, Libyen, Israel, Palästina und Syrien, schien gelöst. Was Optimisten schon als wohlfeile Lösung feierten, die dem in der Region weitverbreiteten Wassermangel ein Ende bereiten würde, sollte zunächst - gewissermaßen als Pilot-Projekt - zum Segen Nordzyperns verwirklicht werden. Abgefüllt in riesige schwimmende Plastiksäcke, wollte man das Wasser von der türkischen Südküste zu einer nordzyprischen Umfüllstation schleppen lassen und dort in das bestehende Leitungsnetz einspeisen.

Wasser aus der Türkei - das ist ein seit Jahren hin und her gewendetes Thema. Mal sollten Tankschiffe den Transport übernehmen, dann wieder schlugen Experten eine Unterwasserpipeline vor und natürlich diskutierte man auch das Für und Wider von Meerwasserentsalzungsanlagen - alles Projekte, die wegen des beträchtlichen Umfangs technischer Installationen nicht zum Zuge kamen.
Das 1998 eingeführte Schleppsack-System galt in energetischer und ökonomischer Hinsicht als konkurrenzlos. Es wurde möglich durch die Erfindung der norwegischen Firma Protan AS, die aus einem relativ reißfesten, dabei nur 1,5 mm starken Polyestergewebe einen 118 m langen, 23 m breiten und 5,8 m hohen Plastiksack ("Nordic Water Bag") konstruierte, der 10.000 t Wasser fassen kann. Auftraggeber war das in Oslo beheimatete Unternehmen Norwegian Water Supply (NWS) in Zusammenarbeit mit türkischen Ministerien. Die NWS-Tochter Mediterranean Water Supply (MWS) war für die Abwicklung des Wassergeschäfts mit Nordzypern vorgesehen.

Das türkische Taurus-Gebirge genießt unter Fachleuten als Quellgebiet extrem reinen Wassers einen hervorragenden Ruf. Industrieemissionen oder Rückstände aus der Landwirtschaft gibt es in dieser waldreichen Region nicht. Wo der Oymapinar-Damm hoch in den Bergen das Wasser sammelt und in kontrollierten Mengen an den Manavgat-Stausee abgibt, ist die Natur intakt. Fünfzig cbm Wasser pro Sekunde werden aus dem Stausee einer Aufbereitungsanlage zugeführt. Von hier strömt das Wasser durch eine zehn km lange Pipeline mit einem Durchmesser von 1,6 m zu einer Pumpstation an der Küste (Soguksu bei Anamur). Vier Pipelines sorgen für den Weitertransport zu zwei 2,5 bzw. 3,3 km vor der Küste verankerten schwimmenden Plattformen. Hier gehen schließlich die water bags "vor Anker" und übernehmen die Wasserfracht. Fast vollständig untergetaucht, werden sie von einem Schlepper mit etwas über drei Knoten Geschwindigkeit (ca. 6 km/h) zum nordzyprischen Küstenort Kumköy nahe Güzelyurt gezogen, wo ein Becken das Wasser aufnimmt, um es nach Bedarf in das von Güzelyurt über Lefkosa (Nicosia) bis Gazimagusa (Famagusta) reichende Leitungsnetz einzuspeisen. Der entleerte Plastiksack fährt zusammengefaltet an Deck des Schleppers an den Ausgangspunkt zurück.
Daß schließlich nur ein Bruchteil der laut Vertrag jährlich zu liefernden 10 Mio. t Wasser die Insel erreichte, hat eine Reihe von Gründen: so arbeiteten die Lade- und Löscheinrichtungen häufig ineffektiv, die "water bags" wiesen technische Mängel auf und bei rauher See konnten aus Sicherheitsgründen keine Schleppfahrten vorgenommen werden. Die Folge waren zahllose Unterbrechungen und wachsende Zweifel an der Tauglichkeit des hochgelobten und weltweit einzigartigen Transportsystems.

Dann tauchte unvermutet das schon früher diskutierte Pipeline-Projekt aus der Versenkung auf. Gleichzeitig verstärkte sich die Kritik an der Ineffizienz der Schleppsackfahrten (mit jetzt drei jeweils 30.000 t fassenden Schleppsäcken) und zur Vervollständigung des Durcheinanders wurden auch noch Tankschiffe als Alternative ins Gespräch gebracht.
Unter türkischen und nordzyprischen Regierungsmitgliedern gilt das ursprüngliche Projekt als gescheitert. Es sei ohnehin nur eine Notmaßnahme bis zur Fertigstellung der Pipeline gewesen, heißt es jetzt.
Offensichtlich war die Idee einer Süßwasserpipeline zwischen der türkischen Südküste und Nordzypern in den zurückliegenden Jahren weiter entwickelt worden, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Das bisher beispiellose Projekt wurde als „the first implementation of a floating, highdensity polyethylene pipeline for marine crossing in the world“ der Öffentlichkeit präsentiert. Seine Gesamtlänge soll 101 km betragen, davon 78 km unter Wasser, 250 m unterhalb des Meeresspiegels, gehalten durch am Meeresboden verankerte Stahlseile. Der Bau der landgestützten Einrichtungen werde vier Jahre in Anspruch nehmen, erläutern die Planer, die Pipeline selbst könne in 24 – 27 Monaten fertiggestellt werden. Ihr Durchmesser wird 1.600 mm betragen. 75 Mio. t Süßwasser aus dem Alaköprü-Reservoir nahe Anamur sollen jährlich in den noch umzubauenden nordzyprischen Stausee bei Gecitköy geleitet werden. Eine nahe Lefkosa geplante Anlage dient der Aufbereitung des Trinkwassers, während der Rest für die Bewässerung von Ackerland (7.650 ha) in der Mesarya-Ebene benötigt wird.

2006 gingen die Ausschreibungen raus und im Juli 2008 verkündete der türkische Premier Erdogan anlässlich eines Nordzypernbesuchs etwas voreilig, 2012, spätestens 2013, werde das erste Wasser aus dem Taurusgebirge durch die Pipeline nach Nordzypern fließen .

Im Oktober 2015 war es dann endlich so weit: Präsident Erdoğan flog ein und eröffnete feierlich, assistiert von Nordzyperns Premier Akinci, den Wassertransfer aus dem türkischen Taurus-Gebirge an die Küste Nordzyperns. Die zu Recht zum „Jahrhundertprojekt“ erklärte Wasser-Pipeline soll in Zukunft jährlich 75 Mill. cbm Wasser aus dem Alaköprü-Reservoir (Fassungsvermögen 130,5 Mill. cbm) bei Anamur zum nordzyprischen Staudamm Geҫitköy (26,5 Mio. cbm) transportieren. Das weltweit einmalige Projekt kostete 1,2 Mrd. US-Dollar. Die Pipeline hat eine Gesamtlänge von 106 km, davon 80 km unter Wasser, von denen werden 66,5 km von am Meeresboden verankerten Stahlseilen in 260 m Tiefe „schwebend“ gehalten. Die Meeresstraße zwischen der türkischen Südküste und Nordzypern weist eine maximale Tiefe von 1.430 m auf.


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