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Reiseführer Nordzypern

Tatlisu-Çiftlikdüzü

Das Dorf Tatlisu (griech.: Akanthou), Namensgeber der Ausgrabungsstätte, liegt ca. 4 km landeinwärts in 200 m Höhe am Hang des Kantara Forest. Zwischen Bergzug und Meer breitet sich die fruchtbare Küstenebene aus, seit Menschengedenken Anziehungspunkt für Siedler aus Übersee. Davon zeugen zahllose Spuren neolithischer und bronzezeitlicher Örtlichkeiten und eine dichte Abfolge antiker Ortslagen wie Koroniais, Makaria/Moulos, Liastrika/Aphrodision, Epsilon wie auch die überlieferte Benennung des Küstenstreifens als „Gestade der Achäer“, wo Teukros, der sagenhafte Gründer von Salamis gelandet sein soll.

Ein deutscher Forschungsreisender notierte 1873, der Boden sei „mit riesigen Quadersteinen, Säulenschäften und Sarkophagdeckeln wie besäet“. Für die Bewohner der Gegend waren die Relikte aus früher Zeit hochwillkommenes Baumaterial, das massenhaft in die Dörfer abtransportiert wurde.

Tatlisu
Foto: Cyprus Today 2005

Fundort und Funde

Sogenannte „surveys“ d. h. Geländeerkundungen vor den eigentlichen Grabungen waren an der Stätte, die man Akanthou-Arkosyko und später türkisch Tatlisu-Çiftlikdüzü nannte, schon 1931 und erneut 1945 und 1946 sowie 1972/73 vorgenommen worden. Dabei wurden vielversprechende Oberflächenfunde mit deutlichem Bezug zum Neolithikum gemacht. Steinerne Gefäße waren darunter, eine Steinaxt, eine bearbeitete Muschel, Obsidianklingen, Knochenfragmente von Schwein, Schaf, Zwergflußpferd, Damhirsch. Besonders die Obsidianfunde erregten das Interesse der angehenden Archäologin Müge Şevketoğlu, die (das war 1996) gerade für ihre „PhD“-Arbeit Hinweisen auf neolithische Siedlungen nachging. Noch im gleichen Jahr initiierte sie eine „rescue operation“, weil die hier vermutete neolithische Fundstätte durch Arbeiten einer benachbarten Farm gefährdet war.

Auch wenn damals nur Siebarbeiten möglich waren, überraschten die Ergebnisse. Steinerne Gerätschaften wurden entdeckt, Obsidianklingen, Äxte, Tierknochen, bearbeitete Knochen, Steinperlen und selbst ein Steinanhänger. In gleicher Weise wurden auch 1999 Aufschüttungen durchsiebt und wieder mit großem Erfolg. Zu den nun schon ortstypischen Funden gesellten sich Objekte aus Picrolit, einem türkisfarbenen Stein aus dem Troodos-Gebirge, sowie Fischknochen und das Fragment eines Meißels.

Derweil konnte mit Hilfe geophysikalischer Methoden die Ausdehnung der Siedlung zuverlässig ermittelt werden. Die gemessenen 400 X 70 m sind für jene Epoche ein außergewöhnlich großes Areal.

Die erste reguläre Grabung ging in den heißesten Wochen des Jahres 2000 über die Bühne. Wie auch alle folgenden Kampagnen wurde sie in die Semesterferien gelegt, weil nur dann studentische Hilfskräfte in ausreichender Zahl verfügbar waren.

Auch der Vorstoß in die Tiefe wurde zur Erfolgsstory. Fundamente von steinernen Rundhäusern kamen zum Vorschein, ein Schutzgraben und ein Verteidigungswall konnten freigelegt werden und die Zahl der Obsidianklingen aus schwarzem bis grauem durchscheinendem Vulkanglas stieg und stieg. 2005 schließlich stieß man erstmals auf menschliche Überreste, auf einen Kiefernknochen und Schädelfragmente eines etwa 25jährigen Mannes.

Ein neolithisches Handelszentrum?

Nach etlichen Kampagnen mit immer neuen Überraschungen, bleiben begreiflicherweise viele Fragen noch unbeantwortet. Eins aber ist sicher: Ein archäologischer Glanzpunkt ist die Çiftlikdüzü-Story allemal und das nicht allein wegen der Vielfalt und schieren Menge der ans Licht beförderten Fundstücke. Die eigentliche Sensation ist die Einordnung dieses Siedlungsplatzes in die Chronologie der zyprischen Frühzeit. Das um 8200 v. Chr. entstandene Çiftlikdüzü füllt (gemeinsam mit den südzyprischen Fundorten Pareklisha-Shillourokambos, Kalavassos-Tenta, Kissonerga-Mylouthkia) die lange Zeit offene (Zeit)-Lücke zwischen den ältesten zyprischen Siedlungsspuren in Akrotiri-Aetokremnos (9500/9000 v. Chr.) und dem Beginn der Chirokitia-Kultur (um 7000 v. Chr.).

Woher kamen die Leute von Çiftlikdüzü? Ihr Ausgangspunkt wird die kleinasiatische Südküste gewesen sein. Dank günstiger Strömungen erreichten sie die nördlichen Strände Zyperns in einfachen Booten aus dicht geflochtenen Zweigen und Fasern, die mit eingefetteten Tierhäuten bespannt waren. Und sie gingen gut ausgerüstet an Land! Wie die Funde belegen, führten sie Ziegen, Schafe, Schweine und selbst Rinder mit sich, dazu Damwild, Hunde und merkwürdigerweise auch Füchse. Aber sie hatten auch Weizen, Gerste, Linsen, wahrscheinlich auch Erbsen „im Gepäck“, betrieben also Ackerbau und Viehwirtschaft, die Jagd und auch Fischerei, wie die kalkverkrusteten Überreste von Seehechten, Thunfischen und kleinen Haien bezeugen.

Steinerne Rundhütten (7 wurden bislang entdeckt), aufgemauert mit Lehmziegeln und überdeckt von einem Dach aus Ästen, Rohr, Seetang und Lehm, boten Schutz gegen dieWitterung und gegen äußere Feinde hatte man einen Graben ausgehoben, der später, nachdem eine Mauer errichtet worden war, als Abfallgrube diente – ein Glücksfall für Archäologen, denn hier boten sich aufregende Einblicke in die Alltagskultur der Bewohner. Wände und Böden der Häuser wurden verputzt, die Außenwände überdies rot angemalt und die Dörfler entwickelten schon einen bemerkenswerten Sinn für Schmuck. Sie legten sich Halsketten aus Muscheln um und trugen Steinanhänger und Steinperlen.

Die ungewöhnliche Menge an Obsidianklingen und –fragmenten – mehr als 8000 (!) wurden gefunden – könnte auf eine besondere Funktion der Siedlung hindeuten, auf „one of the world´s earliest trading communities“ , die mit den kostbaren, importierten Schneidwerkzeugen aus anatolischen Vulkanglaslagerstätten Handel trieb, in Zypern und darüber hinaus auch im levantinischen Raum. Und auch das nur im Troodos-Gebirge vorkommende Picrolit-Gestein könnte ein Handelsartikel gewesen sein.

Übrigens: Wer dem Archäologenteam bei der Arbeit zuschauen und vielleicht sogar selbst Hand anlegen möchte, achte auf das orangefarbene Hinweisschild „Çiftlikdüzü Excavation Project“.

 


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