Reiseführer Nordzypern
Famagusta
Varosha
Jenseits
der Sonnenschirme beginnt Niemandsland
Fassungslos betrachten unvorbereitete Besucher die leblose Skyline bröckelnder Hotelfassaden. Selbst wer sich an die Merkwürdigkeiten des Zypernkonflikts schon halbwegs gewöhnt hatte, gerät angesichts solcher monströsen Folgewirkungen ins Grübeln. Die gesperrte Hotelstadt als Pfand und potentielles Tauschobjekt – das habe Gewicht, meinte man nach 1974 auf türkischer Seite. Doch auf eine separate Lösung für das Problem Varosha wollte sich die andere Seite nicht einlassen. Sie bestand auf ihrer hellenisch eingefärbten Gesamtlösung. So gingen die Jahre dahin und heute sind die Hotelanlagen dem Verfall näher als einer erneuten Nutzung.
Abgesehen von der fehlenden politischen Einigung, spricht schon die ruinierte
Bausubstanz gegen eine Wiedereröffnung. Außerdem vereinen sich
hier alle Bausünden des Massentourismus, reiht sich eine Betonburg
an die andere - ein Albtraum, wie man ihn sonst nur noch von spanischen
Küsten kennt, die Sonne verdeckend, den Sand wegwaschend, das Meer
verschmutzend. Der damaligen Entscheidung für den Ausbau des Küstenstreifens
lagen simple Überlegungen zugrunde. Es gab einen passablen Sandstrand,
die Erschließungskosten waren relativ niedrig und viele lokale Investoren,
durchweg griechische Zyprer ohne nennenswertes Know-how, wollten in das
Projekt einsteigen. Sie waren durch den Orangenanbau zu Geld gekommen,
hatten sich im „Import/Export“ eine goldene Nase verdient
oder als Geldverleiher verpfändete Küstenparzellen an sich gebracht.
Sofort stiegen die Bodenpreise ins Uferlose.
Ein „Paradies“ entsteht
Strandgrundstücke wurden nicht pro qm sondern nach laufenden Metern gehandelt, was Hotel- und Appartement-Hochhäuser hervorbrachte, die gerade fünf oder sechs Meter breit waren, aber eine Länge von 25-30 m aufwiesen. Nach dieser ersten Phase rein privater Investitionen stiegen auch der zyprische Staat, die orthodoxe Kirche, „Cyprus Airways“, „British Airways“ u.a. in das Geschäft ein.
Binnen weniger Jahre wurde die Strandmeile Famagustas zu einem begehrten
Urlaubsziel im östlichen Mittelmeer. 1973 verbrachten allein 53,5
% aller Zyperntouristen hier ihren Urlaub. Was heute nach den Erfahrungen
mit hemmungslos expandierenden Urlaubszentren oft nur Kopfschütteln
auslöst, wurde damals noch in vollen Zügen genossen. So schwärmte
Allan Ryalls in „Your Guide to Cyprus“ (1969): „Die
See ist sauber und klar und der große Strandbogen scheint wie geschaffen
für Urlauber. Die meisten von ihnen sind Engländer, doch zunehmend
kommen auch Skandinavier und dazu stößt noch dann und wann
die kosmopolitische Besucherschar von den Kreuzfahrtschiffen“. Für
Philip Ward („Touring Cyprus“, 1972) garantierte Varosha seinen
Feriengästen „den wohl erholsamsten Urlaub ihres Lebens in
einem der Beach-Hotels“. Es sei „in einem Atemzug mit Rimini
oder Torremolinos“ zu nennen. Und das wurde geboten: 45 Hotels mit
10.000 Betten, 60 Appartement-Hotels, 99 „recreation-centers“,
21 Banken, 24 Theater und Kinos, rund 3.000 kleinere und größere
Läden und als im August 1974 die bequeme Geldvermehrung ein abruptes
Ende fand, harrten noch weitere 380 Gebäude ihrer Fertigstellung.
Die Entwicklung von Varosha fand nicht nur naiven Beifall. Es gab fundierte
Kritik, wie Anfang 1974 im „International Tourism Quarterly“,
das in dem Urlaubsort („the grey concrete paradise“) eine
Überentwicklung feststellte, was sich u.a. in einem Missverhältnis
von „bedspace density“ zu „beach facilities“ ausdrückte.
Viel zu hohe Häuser seien viel zu nahe am Strand errichtet, die Stadt
von Strand und Meer abgeschnitten worden. Kommunale Aufgaben würden
vernachlässigt und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung
missachtet....
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