Ländliche Architektur auf Kreta

Zisterne

Überdachte alte Zisterne auf dem Weg von Palekastro nach Zakros

Wer zum ersten Mal auf dem stadtnahen Flughafen von Iráklion ankommt und in das Häusergewirr der Inselhauptstadt eintaucht, wird wahrscheinlich entsetzt sein über zum Teil nur halbfertige Betonbauten, die kaum einen Ansatz phantasievoller architektonischer Gestaltung erkennen lassen. Doch an mangelnden Fähigkeiten der kretischen Architektenzunft muß das nicht liegen, in der Regel sind schlicht ökonomische Ursachen ausschlaggebend. Das zur Verfügung stehende Geld des Bauherren will rasch angelegt sein, Sparen lohnt sich nämlich bei hoher Inflationsrate nicht und so greift man auf einfache Betonbauten zurück, mit denen rasch und vergleichsweise preiswert reichlich Wohnraum geschaffen wird.

Weniger in der äußeren Gestalt, eher in den ökonomischen Hintergründen ist die einzige Kontinuität kretischer Bauweise bis in jüngste Vergangenheit zu sehen: Schon früher mussten sich die Kreter mit einfachen Bauten begnügen. Denn sieht man einmal von den feudalen Lehnsherren aus venezianischer und osmanischer Zeit sowie einer zahlenmäßig geringen städtischen Bürgerschicht ab, so lebte die kretische Landbevölkerung - und sie bildete immer die Mehrheit der Inselbewohner - jahrundertelang in abhängigen Verhältnissen, bearbeitete oft nur kargen Boden und mußte einen Großteil der Ernte an die Lehnsherren abführen. Auch immer wiederkehrenden Aufstände gegen fremde Herrscher konnten keine Verbesserung dieser Situation herbeiführen. Ganz im Gegenteil. Die bäuerliche Bevölkerung, gewohnt an Flucht, Vertreibung und Zerstörung ihrer Häuser und Dörfer richtete sich auf diese Bedingungen ein.

Pitsidia

Eine Fahrt über die Dörfer Kretas bestätigt rasch diesen kulturhistorischen Hintergrund. Die traditionellen dörflichen Bauten sind von einfacher Gestalt, wirken schlicht, ja teilweise ärmlich und lassen häufig an ein Provisorium denken. Ständige Bedrohung und erzwungene Armut hinterliessen in der dörflichen Bauweise sichtbare Spuren. Unbearbeiteter Naturstein diente aufgrund der nicht gerade üppigen Holzreserven der Insel als wichtigstes Baumaterial. Früher blieben die Bauten außen häufig unverputzt, die Häuser hoben sich so farblich kaum von ihrer Umgebung ab. Dies betonte ihren vorläufigen und ärmlichen Charakter zusätzlich. Heute ist es anders, die Mehrzahl der Häuser ist verputzt und mit einem weißen Kalkanstrich versehen, der, zumindest auf dem Lande, jedes Jahr vor dem Osterfest erneuert wird.

Die traditionellen dörflichen Bauten Kretas sind Einraumhäuser, in denen nicht nur geschlafen und gegessen wurde, hier hielt man auch die wichtigsten Haustiere wie Esel und Ziege, hier hatte ein Webstuhl ebenso seinen Platz wie bisweilen eine Weinpresse. Sollten diese Einraumbauten eine bestimmte Größe überschreiten, so wurden sie teils L- oder U-förmig erweitert bzw. durch Bögen, so genannte kamara, statisch verstärkt. Auf diese Weise entstanden vier Nischen in jeder Ecke des Hauses. Sie dienten unterschiedlichen Funktionen, als Koch- oder Schlafecke oder auch als Aufbewahrungsort für Ernteerzeugnisse. Diese so genannten kamarospita, der verbreitetste ländliche Haustypus auf Kreta, waren normalerweise eingeschossig, 30-50 qm groß und nur innen verputzt. Häufigste Form der Dachkonstruktion ist dabei das Terrassendach, eine uralte Tradition, die sich bis ins minoische Kreta zurückverfolgen läßt. Und aus venezianischer Zeit berichten zeitgenössische Besucher, "die Häuser auf Kreta sind hoch und aus festem Stein errichtet. Und bei allen ist das Dach völlig eben wie ein schönes Parkett, und man kann auf den Dächern spazierengehen wie auf der Straße. Sie sind gestrichen und gekalkt, um das Regenwasser zu sammeln". Die Terrassendächer, ein Konstrukt aus Hölzern und verschiedenen Erdschichten unterschiedlicher Konsistenz, bedürfen der ständigen Pflege, nach einigen Jahren muß die Erde komplett erneuert werden.So ist es auch nicht verwunderlich, daß man auf den Dörfern bei alten, verlassenen Häusern oft ein eingestürztes Dach vorfindet, sie bilden den empfindlichsten Punkt der Konstruktion.

Limnes

Traditionelle Dorfarchitektur läßt sich noch gut in Limnes erleben, einem kleinen Dorf bei Agios Nikolaos

Eine Besonderheit ländlicher Bauten sind die als koumi oder mitata bezeichneten Hütten außerhalb der Dörfer, die von den Bauern und Schäfern nur saisonal genutzt werden. Viele dieser primitiven Steinbauten können Sie auf der Nída-Hochebene finden, wo sie aus mächtigen Schieferplatten errichtet wurden. Nur eine winzige Türöffnung läßt Licht herein, ein Loch in der Decke dient als Rauchabzug.






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