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Reiseführer Nordzypern

Degirmenlik

Mitten in einer Zone fast vegetationslosen, graubraunen Sandsteins, den Auswaschungen in eine Vielzahl einförmiger Hügel und mauerartiger Wälle zerteilt haben, liegt das große Dorf Degirmenlik (griech.: Kythréa). Frühere Reisende atmeten erleichtert auf, wenn sie aus "dieser monotonen Landschaft, wo selbst das verbreitetste der heimischen Dürrkräuter, Poterium spinosum, nur spärlich gedeiht, einen Flecken tiefsten Grüns erspähten, über dem die Spitzen eines Kirchturms und eines Minaretts aufragten und Olivenhaine gediehen, unter denen das Gras wuchs, grüner und dichter als es je in Jersey anzutreffen ist. Träge Rinder standen bis zu den Knien darin und glitzernde, schmale Wasserläufe begleiteten allenthalben den Wanderer". Seit ewigen Zeiten lag hier, einer Oase gleich, ein fruchtbarer Streifen inmitten der öden Sandsteinzone, bis Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts die starke Quelle versiegte, die das vielbesungene "üppige Paradies, ein fast ununterbrochenes Laubdach von Fruchtbäumen" hervorgebracht hatte. Gleiches passierte mit der großen Quelle in Lapta an der Nordküste. Hier konnte man durch das Anbohren einer neuen Wasserader Abhilfe schaffen. Dass Quellen versiegen, ist gar nicht so selten. Meistens, wie wohl auch in diesen Fällen, sind Gesteinsverschiebungen im Berg die Ursache.

Degirmenlik

"Kephalovrýsi", wie man die Quelle von Kythréa nannte, sprudelte oberhalb des Dorfes in 264 m Meereshöhe aus einer Kalkbreccie hervor und verteilte sich mit vielfachen Verzweigungen und künstlichen Kanälen "über die ganze Gartenlandschaft". Sie war die einzige, ganzjährig fließende Quelle am Südhang des Besparmak-Gebirges (griech.: Pentadaktylos) und sie war die stärkste Quelle ganz Zyperns: je nach Jahreszeit brachte sie zwischen zehn und zwanzig Millionen Liter Wasser täglich hervor. Manchmal, nach einem besonders regenreichen Winter, scheint sie sich zu besinnen und an frühere Zeiten des Überflusses anknüpfen zu wollen, doch es bleibt nur ein kurzes Intermezzo. Für Maulbeer- und Zitronenbäume, Platanen und Ölbaumhaine sind schlechte Zeiten angebrochen.


15 km nordöstlich von Lefkosa (Nicosia) und gut 20 km südöstlich von Girne nahe der Hauptstraße nach Gazi Magisa (Famagusta) gelegen, zieht sich das große Dorf über vier Kilometer ein enges Tal hinunter. Seine große Zeit ist unwiederbringlich vorbei, die Spuren einer reichen Vergangenheit verblassen.

Rückblick

Schon im Neolithikum lockte der Wasserreichtum dieser Gegend Siedler an. Eine bronzezeitliche Nekropole und die spärlichen Überreste einer antiken Stadt - der Legende zufolge im 12. Jahrh. v. Chr. von Griechen unter Chýtros, dem Enkel des Atheners Akámas, gegründet - bezeugen die ununterbrochene Besiedlung des Tals. Chýtroi, wie der Ort nach dem Anführer der griechischen Kolonisten genannt wurde, soll um 700 v. Chr. ein eigenständiges Stadtkönigreich gewesen sein. Nachdem die Römer auf der Insel die Macht ergriffen hatten, erlebte die wasserreiche Siedlung eine Blütezeit. In der byzantinischen Epoche, als sich das Städtchen bereits "Kýthroi" nannte und Bischofssitz war oder noch unter der Herrschaft Roms (hier gehen die Meinungen auseinander) entstand ein erstaunliches technisches Meisterwerk, eine als überdeckter Kanal und Aquädukt konstruierte Wasserleitung, die ihre kostbare Fracht aus der "Kephalovrýsi"-Quelle in das rund 50 km östlich gelegene Salamis (später: Constantia) transportierte.


Arabische Eindringlinge überfielen und zerstörten im Jahre 911 den Ort und deportierten viele Einwohner nach Syrien. Kýthrois Bischof Dimitrianós kümmerte sich eigenhändig in Bagdad um das Schicksal der Verschleppten und erreichte in Verhandlungen mit dem Kalifen ihre Freilassung.

Blühende Wirtschaft

Seit dem frühen Mittelalter nutzte man die Kraft der starken Quelle für den Betrieb zahlloser Getreidemühlen. Nicht nur aus dem nahen Nicosia, selbst aus Larnaca und noch weiter entfernten Gegenden kamen Getreidetransporte an den Ort, der zeitweise eine Monopolstellung für die Mehlproduktion auf der Insel innehielt. Noch 1879 arbeiteten 32 Mühlen, 1957 waren zehn noch in Betrieb. Die einzige heute noch existierende Mühle lässt ihre Mahlwerke längst von Motoren antreiben. "Degirmenlik" übrigens, der türkische Ortsname, heißt etwa "Ort, wo sich viele Mühlen befinden". Baumwollanbau, der viel Wasser benötigt, war ein anderer, gute Wachstumsbedingungen vorfindender Wirtschaftszweig in Degirmenlik. 1769 notierte ein italienischer Konsul in Larnaca:

"Der größte Teil dieser (zyprischen) Baumwolle wird nach Venedig versendet, wo man damit nach Deutschland handelt. Der Gewinn, den man daselbst an dieser Ware hat, macht, dass viel engländische und holländische Häuser mit Vorteil in Cypern Auftrag geben, Baumwolle nach Venedig zu schicken und da zu verkaufen. Auch von Konstantinopel und Aleppo kommen viel Aufträge, sie eben dahin zu versenden. Gleichergestalt geht jährlich eine Quantität nach Frankreich und Toscana, auch gerade zu nach Engelland und Holland..."

Die heute noch anzutreffenden Maulbeerbäume deuten auf eine weitere, früher verbreitete Heimindustrie hin: die Produktion von feiner Seide. Doch, wie 1879 ein Reisender bemängelte, habe "durch den Mangel an Voraussicht seitens der Producenten die Seidencultur hier wie in anderen Theilen von Cypern bedeutend gelitten. Diese Leute haben in den letzten Jahren die Eier (der Seidenraupe) in solchen unglaublichen Mengen an die Händler von Beirut verkauft, um baares Geld zu gewinnen, dass dem Lande nur ein geringer Vorrath verblieben ist..."


Immer wieder ist zu lesen, dass an diesem Ort die Kultivierung des Blumenkohls ihren Ursprung habe. Von hier sei im Jahre 1604 erstmals das exotische Gemüse nach Europa ausgeführt worden - eine nicht unumstrittene These. Umstritten und seit Jahrhunderten mit kuriosen Deutungen versehen ist auch die Herkunft des Wassers der "Kephalovrýsi". Da gab es die Vermutung, das Wasser käme unterirdisch aus Griechenland herbeigeflossen. Andere meinten, seine Ursprünge lägen im südtürkischen Taurus-Gebirge. Tief unter dem Meeresarm habe es sich von dort seinen Weg nach Zypern gebahnt, was auch die folgende Anekdote belege: ein türkischer Derwisch habe einmal drüben an der karamanischen Küste seinen Trinkbecher in eine Felsspalte fallen lassen. Als er später die zyprische Quelle besuchte, sei der Becher gerade von dem Wasserstrahl aus dem Schoß der Erde ans Tageslicht befördert worden....

Ein Jahrhundertfund

1928 geriet Degirmenlik in die Schlagzeilen, als Bauern bei Feldarbeiten auf eine Bronzestatue stießen. Sie stellt den nackten römischen Kaiser Septimius Severus (reg. 193-211) in der Pose eines Redners dar. Das überlebensgroße Standbild (2,08 m), ein Meisterwerk unbekannter römischer Künstler, gilt unter Kennern als eine der schönsten Statuen ihrer Art. Sie fand Aufnahme im Zypern-Museum von Nicosia, nachdem man ihre Fragmente in mühevoller Arbeit wieder zusammengefügt hatte.
Über die grotesken Umstände ihrer Entdeckung und Bergung erzählt Colin Thubron in Journey into Cyprus (1975). Er war mit einem Mann zusammengetroffen, der behauptete, sein Schwiegervater habe nichtsahnend beim Pflügen einen Bronzearm abgebrochen und mit nach Hause genommen, da er nicht wusste, was es war. Er habe in Cafés darüber geredet

"und zwei gerissenere Burschen -einer von ihnen war mein Onkel- haben die Figur ausgegraben und den Unterleib aufgeschlagen, weil sie einen Schatz darin vermuteten, aber sie sagen, es war keiner drin. Ich habe als Kind die Statue selbst noch gesehen. Sie war noch ganz mit Erde überkrustet. Ich fand sie wunderschön. Das Ministerium für Altertümer bezahlte den beiden Männern 25 Pfund dafür, und das war für damalige Zeiten gar nicht schlecht. Aber wohin der Arm gekommen ist, hat nur mein Schwiegervater gewusst. Der an der Statue ist eine Kopie. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich glaube, er hat sie einem Süßigkeiten-Trödler verkauft - diese Burschen haben früher auch mit Altmetall gehandelt. Unsere Leute waren damals noch unwissend...".

Ausblick

Während der osmanischen Epoche war Degirmenlik das Zentrum des gleichnamigen Verwaltungsdistrikts ("kaza"), einem von den 17 zyprischen "kaziliks". Eine Anzahl Bauten aus jener Zeit sind noch erhalten, wenn auch in schlechtem Zustand. Ein "Degirmenlik Conservation Project" des Amts für Altertümer hat es sich zur Aufgabe gemacht, erhaltenswerte Bestände zu erfassen und ihre Restaurierung vorzunehmen. Das dauert hierzulande seine Zeit, da immer wieder Finanznöte die Arbeit unterbrechen. Als Beispiel einer bemerkenswerten Instandsetzung muss der ehemalige Verwaltungssitz an erster Stelle genannt werden. Er liegt, leicht zu finden, an der Hauptstraße. Als lokales Kulturzentrum hat er eine neue Aufgabe gefunden. Natürlich will man auch Touristen heranführen, denen man hier und in anderen Ortsteilen schöne Beispiele traditioneller türkisch-zyprischer Architektur und Innenausstattung zeigen kann, dazu die steinernen Relikte alter Getreidemühlen und man lässt sie das melancholische Flair eines stillen Dorfes mit großer Vergangenheit aufnehmen, das noch seinen Platz sucht irgendwo zwischen Nebenerwerbslandwirtschaft, Pendlerdorf und vielleicht gar Touristenattraktion.

 


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