Famagusta Geschichte - das goldene Jahrhundert
Der Aufstieg Famagustas zu einer bedeutenden Handelsmetropole setzte sich unter der „fränkischen“ Herrschaft der Dynastie Lusignan fort, deren Machtergreifung 1191 die Insel für immer dem Einfluss byzantinischer Herrscher entzog.
Wappen des Hauses Lusignan
Dass sich politische Erschütterungen in den Kreuzfahrerstaaten
bis nach Zypern auswirkten, nahm man auf der Insel mit einer abwartenden
Gelassenheit hin, denn es geschah nicht immer zum Nachteil Zyperns. So
riefen auch die Ereignisse der Jahre 1265 bis 1289 keine Besorgnis hervor.
In dieser Zeit waren mit Jaffa, Antiochia, Caesarea, Tripolis, Margat
die bedeutendsten Städte der fränkischen Kreuzfahrerbaronien
im Heiligen Land in die Hände der Mamluken-Sultane Baybars und Qalawun
gefallen. Ein großer Teil ihrer Bewohner floh nach Famagusta, wo
sie ihre gewohnten Beschäftigungen als international tätige
Kaufleute fortsetzen konnten.
Eine nicht unbedingt vorhersehbare, ungleich größere Fluchtwelle,
die sich 1291 nach der Erstürmung von Akkon durch Qawaluns Sohn al-Ashraf
Halil nach Zypern ergoss, stellte dagegen die politische Führung
und die Wirtschaft anfangs vor erhebliche Probleme.
Famagusta profitierte am stärksten von dem Zustrom unternehmerisch
gesinnter Flüchtlinge und neuer kommerzieller Projekte. Mit ihrer
großen Kolonie arabisch sprechender Melkiten, Maroniten, Nestorianer,
Jakobiten, zumeist im internationalen Zwischenhandel erfolgreich tätigen
Kaufleuten, mit Agenten, Reedern, Anwälten spanischer, italienischer,
armenischer und französischer Zunge, stellte Famagusta andere zyprische
Hafenstädte weit in den Schatten. Die über Nacht zum Zentrum
des Ost-West-Handels aufgeblühte Stadt an Zyperns Ostküste zog
wie ein Magnet das Interesse der europäischen Geschäftswelt
auf sich. Führende Handelsstädte suchten am zyprischen Hof um
Privilegien nach oder drängten auf Bestätigung früher erworbener.
So kamen Venedig und Genua, Marseilles und Montpellier, Pisa, Barcelona
und viele andere in den Genuss außergewöhnlicher Zollerleichterungen
und weitreichender Sicherheitsgarantien des Königreichs. Freier Immobilienerwerb
wurde ihnen ermöglicht und sogar die (eingeschränkte) Gerichtsbarkeit
über eigene Staatsangehörige.
Genuesische
Galeere
Im kosmopolitischen
Famagusta wechselten die über Karawanenrouten und uralte Handelswege
herangeschafften Schätze des Orients den Besitzer. Großhändler
aus Ancona oder Piacenza, aus dem spanischen Aragon, aus Messina oder
Venedig, aus Katalonien oder der Provence übernahmen die Säcke
mit Pfeffer oder andere Spezereien, die begehrte Aloe, den seltenen Ingwer,
das Alaun, den Stoff aus Kamelhaaren („Camelot“), Porzellan,
Elfenbein, die beschlagenen Holzkisten mit Geschmeiden und Gold und verfrachteten
das exotische Gut mit hohen Gewinnen in die Zentren Europas.
Auch für landeseigene Produkte war Famagusta der führende zyprische
Ausfuhrhafen. Dazu zählten Rohrzucker und Salz, Baumwolle und Johannisbrotschoten,
Weizen und Gerste, Wein und Seide, Hanf und Felle. Doch der ungeniert
von Unternehmern und Adel zur Schau gestellte Reichtum gründete sich
fast ausschließlich auf den Profiten, Zöllen und Steuern aus
dem internationalen Handel. Das Geschäft mit Landesprodukten warf
deutlich weniger Gewinn ab.
„. . . unglaublich und unerhört“
Reinstes französisches Rittertum, gewürzt mit fremdartigen orientalischen Lebensformen, brachte eine eigentümliche Mischkultur hervor, die in ihrer Fremdheit und ihren anachronistischen Zügen Zypernreisende in Erstaunen versetzte. Ihre zuweilen schwärmerischen Schilderungen des verwirrenden Treibens auf der Insel sind fesselnde Dokumente wie etwa das Famagusta-Kapitel des aus Osnabrück gebürtigen Geistlichen Ludolf von Sudheim in seinem „Liber de itinere terrae sanctae“ (1336/41):
„Famagusta ist die allerreichste von allen Städten, die es in Zypern gibt. Und die Bürger, die dort wohnen, sind alle reich. Da gab es einen Bürger in der Stadt, der zu einer Zeit seine Tochter verheiratete. Und ihr Kleinod, das sie auf dem Haupte trug, ward gepriesen von den Rittern aus Frankreich, die mit uns zogen, und höher geschätzt als alle Kleinodien der Königinnen von Frankreich ( . . .) Von edler Spezerei Gewürze, die in genannter Stadt so gemein ist als hierzulande das Brot und auch so wohlfeil verkauft wird, da schweige ich ganz still. Von edlen Steinen und edlen Goldtüchern und anderem Reichtum will ich nicht mehr sprechen, denn es wäre hierzulande unglaublich und unerhört. Und in dieser Stadt gibt es gar reiche Frauen, die Mätressen sind, unter welchen etliche mehr denn hunderttausend Gulden vermögen. Von deren Reichtum will ich denn lieber schweigen.“
In seinem Essay „En Chypre avec d`Annunzio“ (1917) befasst sich Charles Diehl mit einem im Famagusta des frühen 14. Jahrhunderts angesiedelten Melodram des exzentrischen Dichters. Sein Resumee: d`Annunzio habe ein unbedingt zutreffendes Bild der Gesellschaft Famagustas gezeichnet, „seiner komplexen und verführerischen Zivilisation, abwechselnd mystisch und verdorben, gierig nach Vergnügungen und Verzicht, leidenschaftlich eingenommen für Feste, Abenteuer und fromme Ergüsse; ungeheuer reich durch seinen Handel, voller Luxus, Skandalen, Wollust und Tod; alles zusammengenommen: christlich, orientalisch und zutiefst heidnisch.“
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