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Reiseführer Nordzypern

Frühe Spuren der Geschichte

Als im Oktober 1980 ein Fossiliensammler in den küstennahen Felsen der Akrotiri-Halbinsel unter den Trümmern einer eingestürzten Höhle auf kalkverkrustete Knochenreste stieß, schien nichts darauf hinzudeuten, dass sich in diesem zufälligen Fund eine ergiebige Quelle für die Frühgeschichte der Insel erschließen würde. Prähistorische Knochenfunde sind für Zypern nichts Ungewöhnliches. 46 Fundorte an der nördlichen und südlichen Küste sowie den Südhängen des Beşparmak-Gebirges sind bekannt, davon einige schon seit vielen Jahrhunderten. Für die Herkunft der auffallend großen Knochen hatten frühere Generationen eine plausible Erklärung: es konnte sich nur um die versteinerten Überreste von Riesen oder einäugigen Kyklopen handeln. Auch der griechische Schriftsteller Pausanias (ca. 120 – 180) erzählt in seinem Reisebericht von Knochenfunden, „deren Form an menschliche Knochen erinnern, deren Abmessungen dies aber undenkbar erscheinen lässt“. Und der heilige Augustinus meinte nach dem Fund eines kolossalen Backenzahns lapidar: „Ich muß annehmen, dass er zu einem Riesen gehörte.“

Ein französischer Geologe namens Georges Cuvier machte den phantastischen Deutungen 1801 ein Ende, als er die fossilen Fragmente aus Zyperns Vorzeit als Überreste prähistorischer Zwergflußpferde identifizierte. Schließlich war es die britische Paläontologin Dorothy Bate, die 1901/02 die pleistozäne Fauna der Insel systematisch erforschte. Man wußte nun zuverlässig von der Existenz eigentümlicher Tierarten wie Zwergflußpferd, Zwergelefant, Riesenmaus, Zwerghirsch u.a. – ausgestorben lange bevor die ersten Menschen die Insel betraten, wie man damals annahm.

Zwergformen des Flusspferdes von der Größe eines Schweins, des Elefanten, der kaum größer als ein Pony wurde, entwickelten sich während des Pleistozäns (ca. 1.6 Mio. bis etwa 12.500 v. Chr.) auch auf anderen Mittelmeerinseln (z. B. Samos und Malta). Noch in ihrer ursprünglichen Körpergröße ereichte ihre „Gründergeneration“ schwimmend und nicht etwa über später versunkene Landbrücken (wie man lange Zeit vermutete) die vorgelagerten Inseln. Diese erstaunliche Leistung wurde durch das eiszeitliche Sinken des mediterranen Meeresspiegels um 120 m unter sein gegenwärtiges Niveau zwar erleichtert, aber es blieben (im Falle Zyperns) immer noch annähernd 30 km offenes Wasser, die es zu überwinden galt. Erste, kleine Populationen sollen zwischen 250.000 und 100.000, während des späteren Pleistozäns, als in Nordafrika ein feuchtwarmes Klima herrschte, von der weit nach Norden reichenden nordostafrikanischen Küste nach Zypern gelangt sein.

Der eigentümliche Zwergwuchs war das Ergebnis einer „intelligenten“ Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten. Da natürliche Feinde fehlten, verlor Größe an Bedeutung. Zwergwuchs dagegen erhöhte die Mobilität im zumeist bergigen Gelände und erleichterte den Zugang zu entfernten Nahrungsquellen. Außerdem verhinderte er ein zu starkes Aufheizen des Körpers und ermöglichte eine größere Population.

Ein sensationeller Fund

Zurück zu den Felsklippen an der Küste von Akrotiri. Völlig unerwartet kamen während der ersten Grabungskampagne (1987) steinzeitliche Werkzeuge, Halsketten und andere kulturelle Hinterlassenschaften wie Abfall und Spuren von Feuerstellen zutage – und das alles inmitten einer riesigen Ansammlung prähistorischer Knochen von Zwergflußpferden und Zwergelefanten sowie Überresten von Muscheln, Schnecken, Eiern, Schlangen, Vögeln und Fischen. Dieser Fundzusammenhang war deshalb so spektakulär, weil die Fachwelt bislang übereinstimmend der Meinung gewesen war, die endemische Inselfauna sei an den Folgen dramatischer Klimaveränderungen zugrunde gegangen, noch ehe der erste Mensch seinen Fuß auf den Boden Zyperns gesetzt hatte. Statt des bisher vermuteten Nacheinanders dokumentierten die Funde im Fels die gleichzeitige Anwesenheit von Menschen und einer urtümlichen Tierwelt noch im ausgehenden Proto-Neolithikum.

Siedlungen des vorkeramischen Neolithikums
Siedlungen des vorkeramischen Neolithikums

Nach allem, was sich an Spuren enträtseln und durch Vergleiche und moderne Analysen ergänzend hinzufügen lässt, entsteht das Bild einer Horde aus einigen Dutzend Mitgliedern, die (oder deren Vorfahren) sich auf Schilfflößen von der levantinischen Küste nach Zypern treiben ließen und auf einer Felsterrasse ein Jäger-Camp errichteten. Ackerbau und Tierhaltung waren in dieser frühen Gemeinschaft noch unbekannt. So lebten sie fast ausschließlich von Fleisch und das war in Zypern (noch) im Überfluß vorhanden. Möglicherweise waren aber die Tierpopulationen als Folge eines zunehmenden Nahrungsmangels schon destabilisiert, ausgelöst durch die sich ungehemmt vermehrenden Pflanzenfresser, die auf der Insel keine natürlichen Feinde zu fürchten hatten. Die Beutepraktiken der Horde werden den Niedergang der Tierwelt beschleunigt haben und möglicherweise hat auch ein Klimawandel dazu beigetragen. Heute weiß man, dass schon ein oder zwei Jahre ohne Regen ausreichen, um eine insulare „pygmy fauna“ aussterben zu lassen. Als die bequemen Fleischlieferanten ausgerottet waren, standen die Jäger vor dem Nichts. Entweder verließen sie die Insel oder wurden selbst ein Opfer der dramatisch verschlechterten Lebensgrundlagen. Jedenfalls fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Leute von Akrotiri zur Keimzelle einer dauerhaften Besiedlung Zyperns wurden.

Neue Entdeckungen – die Lücke wird kleiner

Was sich im späten 10. Jahrtausend v. Chr. an der Akrotiri-Küste abspielte, war der offensichtlich gescheiterte Versuch einer technologisch kaum entwickelten und ihre eigenen Ressourcen vernichtenden Gruppe von Menschen, auf Zypern Fuß zu fassen. Zwischen ihren Spuren und denen des bislang als älteste menschliche Siedlung auf Zypern geltenden Fundorts Chirokitia (auf halbem Weg zwischen Limassol und Larnaca) tat sich eine Lücke von etwa 2.000 Jahren auf, über die Zyperns Erde nichts preisgab. Mit den ungewöhnlich ertragreichen Grabungskampagnen seit dem Ende der achtziger Jahre änderte sich das Bild. Neue Namen tauchten auf, die Einblicke in die „Lücke“ gewährten und der zyprischen Frühgeschichte neue aufregende Facetten hinzufügten. Zu nennen sind hier Parekklisia-Shillourokambos, eine Fundstätte nahe der Südküste, wenige Kilometer östlich von Limassol, dann Kalavasos-Tenta, zwei Dutzend Kilometer weiter Richtung Larnaca sowie Kissonerga-Mylouthkia, ein küstennaher Ort nördlich von Paphos. Vielversprechend sind auch die Funde in Agía Varvara-Asprokremnos (im Binnenland, südlich von Nicosia) und vor allem im nordzyprischen Tatlisu-Çiftlikdüzü, das von der Fachwelt mit seinem früheren griechischen Namen Akanthou-Arkosyko tituliert wird.

Die Ausgrabungsstätte von Vouni ganz im Westen der Insel: Stele an einer Zisterne

In der Burg von Girne: Funde aus der Steinzeit

Die Anfänge dieser Siedlungen lassen sich in das ausgehende 9. Jahrtausend datieren (8.300 / 8.200 v. Chr. ??). Eine zeitliche Verbindung mit der Chirokitia-Kultur (ab 7.000 v. Chr.) gilt als sicher, sodass man in ihren Bewohnern die direkten Vorfahren der Leute von Chirokitia sehen kann. Die neuen Erkenntnisse werden in einer ergänzenden Periodisierung unter dem Kürzel „Cypro-PPNB“ berücksichtigt. Sie wird der akeramisch-neolithischen Periode (zu der Chirokitia zählt) vorangestellt und bedeutet Cypro-Pre-Pottery Neolithic B mit den Unterscheidungen „E“ (early), „M“ (middle) und „L“ (late). In Jahreszahlen ausgedrückt, lässt sich Zyperns Frühgeschichte etwa so aufschlüsseln:

Akrotiri-Aetokremnos um 9.500 v. Chr.
(proto-neolithisch)
Cypro- EPPNB 8.300 (?) – 8.000
Cypro- MPPNB 8.000 – 7.500
Cypro- LPPNP 7.500 – 7.000
Chirokitia-Kultur 7.000 – 5.800
(akeramisch-neolithisch)

„The Neolithic Package“

So bezeichnen Archäologen das Mitbringsel der zyprischen PPNB-Siedler, eine umsichtig zusammengestellte Auswahl an Pflanzen und Tieren. Über ihre Herkunft ist man sich ziemlich sicher. Alle Spuren deuten auf den syrischen Raum hin, genauer: auf den sog. „Levantinischen Korridor“, ca. 200 km landeinwärts. Die fehlende Küstennähe mag etwas irritieren, doch die Forschung identifizierte dort „the closest material culture and economic parallels for the Cyprus-PPNB“. Übereinstimmungen oder große Ähnlichkeiten konnten in der bildlichen Darstellung, bei den Bestattungsriten, den Techniken der Steinbearbeitung, in der Anlage der Siedlungen etc. festgestellt werden. Allein das „neolithische Paket“, diese intelligente „Erstausstattung“ der Kolonisten, war ein deutlicher Hinweis auf die syrischen Wurzeln. Sie barg eine weitere Überraschung, denn sie scheint die Grundlage für bäuerliche Wirtschaftsformen geliefert zu haben, für einen neolithischen „agro-pastoralism“ schon zu einer Zeit, die man in der Regel mit Jägern und Sammlern in Verbindung bringt.

Was war der Inhalt des „Pakets“? Verschiedene Sorten Getreide waren darunter, an Tieren das Damwild, Schwein, Schaf, Ziege und zur Überraschung der Ausgräber auch das Rind, dessen Ankunft auf der Insel bisher in die frühe Bronzezeit datiert worden war. Das ist auch insofern richtig, als es in jenem Zeitraum tatsächlich eingeführt wurde – aber zum zweiten Mal, wie man jetzt weiß. Die erste Ankunft blieb aus unbekannten Gründen nur eine Episode. Die Insel erreichten mit den syrischen Neusiedlern auch Hund, Katze und Fuchs. Das ist durch Knochenfunde gesichert, nur kann man sich nicht erklären, wofür man sie brauchte.Rind, Schwein, Schaf, Ziege waren domestiziert, Damwild wurde gejagt.

Einige Funde an den oben genannten Orten haben besonderes Aufsehen erregt, wie die fünf Brunnen mit Ein- und Ausstiegshilfen, die gegraben wurden, um unterirdische Wasserläufe anzuzapfen (K.-Mylouthkia). Sie zählen zu den ältesten Brunnen der Welt. Oder die Fragmente von Lehmziegeln, menschliche Skelette (“the earliest anthropological evidence to have been found in Cyprus to the present day“) und daneben das Skelett einer Katze (der früheste Hinweis weltweit auf Katzen als Haustiere) in P.-Shillourokambos. Und immer wieder stieß man auf Obsidian in großen Mengen, den wohl wichtigsten Werkstoff des Neolithikums aus vulkanischem Glas, das nicht in Zypern vorkommt und aus Anatolien eingeführt wurde. Besonders im nordzyprischen Tatlisu-Çiftlikdüzü (Akanthou-Arkosyko) wurden viele zu Schneid- und Schabwerkzeugen (zwischen 70 und 10 mm lang) verarbeitete Obsidianfragmente zutage gefördert, die „schärfer als stählernes Chirurgenbesteck“ seien, wie ein britischer Ausgräber vor Ort feststellte. Unter der Leitung der engagierten Archäologin Dr. Müge Şevketoğlu wird seit 1996 das Gelände von Çiftlikdüzü untersucht.

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