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Reiseführer Nordzypern

Otto Maas (1900)

"Auch ein flüchtiger Reisender wird den Eindruck gewinnen, wie viel auf der Insel gegenüber den türkischen Verhältnissen, die er ja auf dem gegenüberliegenden Festland zum nahen Vergleich hat, und auch gegenüber den griechischen Einrichtungen zum Wohl des Landes geschehen ist, wennschon sich die Wirkung nicht so schnell und stark zeigen kann. Es sind die Engländer in ihrem Werk behindert -handicapped würden sie selbst wohl sagen- zunächst durch die Natur des Landes, seine infolge der früheren schonungslosen Abholzung vermehrte Dürre, dann durch den eigentümlichen Nationalcharakter, das Nationalitäten- und Religionsgemisch und schließlich auch durch die allgemeinen politischen Verhältnisse, die es bei dem heutigen Hervortreten des "fernen Ostens" nicht mehr erlauben, dem "nahen" Orient so viel Interesse und - Geld zuzuwenden, als es die einheimischen Beamten selbst wünschten (...)

Die Bevölkerung ist ein Schlag von geringer Eigenart, vielleicht gerade durch die Rassenmischung; von geringer Eindrucksfähigkeit und Regsamkeit, vielleicht gerade durch das Überalter der Kultur; und von geringer Energie, vielleicht weil die Insulaner schon von Urzeiten her, seit den alten Ägyptern fremde Zwangsherrschaft über sich sahen. Wohl gibt es auf der Karpaz-Halbinsel kräftige und blonde Typen, wie geglaubt wird, Nachkommen der fränkischen Kreuzfahrer; wohl rühmen sich in den Städten viele der Honoratioren einer echt griechischen Abkunft, wohl haben die besseren türkischen Elemente im Auftreten und Äußeren ihre Stammeswürde bewahrt; aber im ganzen ist es eine schattierungslose und dürftige Landbevölkerung, die, ob Christen, ob Mohammedaner (2/3 zu 1/3 etwa), von nichts weiß und wissen will als von ihrer Scholle, und deren Leben sich in der einfachsten Weise abspielt (...)Im ganzen herrscht beinahe Armut, und es macht sich sogar ein gewisser sozialistischer Zug, der aber von westlichen Einflüssen unabhängig entstanden und mehr im Sinn des Urchristentums aufzufassen ist, bemerkbar. Die griechischen Mönche wären in unserem Sinn eher Laienbrüder zu nennen und sind Ökonomen, wenn sie auch kirchliche Funktionen verrichten. Die gewöhnlichen Priesterstellen, zu denen allerdings in der cyprischen unabhängigen Kirche sehr wenig Bildung vorausgesetzt wird, sind mehr als dürftig, und wenn man ihre Vertreter mit ihren schlechten Maultieren in die Landstädtchen zum Einkauf und Verkauf kommen sieht, so kann man sich mitunter des Mitleids nicht erwehren über diesen Zustand, der noch den Zeiten des ersten Christentums entspricht. Bei den Fischern fand ich den sozialistischen oder kommunistischen Trieb am ausgeprägtesten, und sie setzten ihre Tiraden auch mitunter in die Tat um, mit der Begründung, daß es einer nicht besser haben solle als der andere (...)Unter den Einheimischen finden sich sehr gewandte und rechtskundige Advokaten. Ihre Zahl, nicht ihre Qualität, wird bedeutend vermehrt durch eine Anzahl junger Leute, hauptsächlich aus Levantinerfamilien der Hafenorte. Sie haben in Athen "studiert" oder in Paris ein für Exoten zugeschnittenes Diplom erhalten, bemänteln ihr Nichtstun mit einem Titel und tragen oft durch politische Agitation im Sinne einer Unabhängigkeitspartei zur Verstimmung bei.

Von mehreren Seiten ist das Überwiegen des türkischen Elements unter den Verbrechern hervorgehoben worden. Nach Durchsicht mehrerer "schwarzer Bücher" in verschiedenen Bezirken scheint mir aber, dass dieses mehr daher rührt, dass von den Türken leichter hervortretende Untaten geliefert werden, Körperverletzung, Gewalttätigkeiten, während die griechisch Redenden mehr die versteckteren Vergehen, Betrug, Diebstahl, kultivieren. Falsches Mass und Gewicht fand ich in auffallender Menge unter den Ursachen solcher Verurteilungen von Griechen (...)

Es ist fraglos, dass in der Bevölkerung dies Entgegenkommen, überhaupt die Änderungen des englischen Regimes dankbar anerkannt werden, wie sich dies namentlich in einem wachsenden Zutrauen der niederen Schichten zur Verwaltung ausdrückt. Nichtsdestoweniger existiert auf der Insel eine Partei der Unzufriedenen, eine Art intransigenter oder irridentistischer Nationalpartei, die in den Engländern Zwingherren sieht, die ebenso wie die Türken abgeschüttelt werden sollen. Diese Bewegung ist nicht ganz natürlicher, spontaner Art und nicht ganz auf der Insel gewachsen, sondern zu Teil durch Emissäre aus Griechenland veranlaßt. Sie hängt mit der allgemeinen politischen Welle zusammen, durch die auch Kreta halb selbständig geworden ist; aber dessen Verhältnisse treffen für Cypern nicht zu. Unabhängigkeit, Selbstverwaltung und eine Art Anschluss an Griechenland sind hier die Forderungen dieser extremen Partei, die mit ihren Wünschen und Klagen bis vor das englische Parlament gegangen ist. Das Cypriotentum der Hauptanführer ist, wie sich in einigen Fällen gezeigt hat, nicht immer ganz echt, verbildete Elemente, die an Beschäftigungsmangel leiden, suchen sich auf diese Weise zu betätigen, vor allem aber ist der Wunsch des Gedankens Vater: sie wollen selbst in die englischen Verwaltungsstellen einrücken. Dass damit den persönlichen Einflüssen und Ränken Tür und Tor geöffnet würden und die arme Bevölkerung selbst recht übel daran wäre bei der Halbbildung dieser Herren, denen europäische Kleidung noch merkwürdig sitzt, das lehrt das Beispiel mancher Balkanstaaten . . ."

Zwar galt das Hauptinteresse des Münchener Zoologen Dr. phil. Otto Maas (1867-1916) der Erforschung des marinen Tierlebens, aber er war auch ein aufmerksamer Beobachter des politischen und sozialen Wandels in den Ländern, die er bereiste. Seine Anmerkungen zu Zypern veröffentlichte die renommierte "Geographische Zeitschrift" in ihrem Jahrgang1900.

 


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