Der Aufstieg des Hauses Lusignan
Als Machthaber von Richard Löwenherz` Gnaden, ausgestattet mit dem Titel "Seigneur de Chypre", ergriff Guy de Lusignan gegen Zahlung von 40.000 Dinaren an die Templer (bei einer Restschuld von 60.000 Dinaren) im Mai 1192 von der Insel Besitz. Er war ein Abkömmling des im westfranzösischen Poitou beheimateten Geschlechts der Grafen von Lusignan, "deren einziger Vorzug darin bestand, dass sich ihre Ahnenreihe mühelos bis auf die Wassernymphe Melusine zurückverfolgen ließ", stichelt eine populäre Kreuzzugschronik aus unseren Tagen. Guys älterer Bruder Amaury, der es ihm gleichgetan hatte und in "Outre-mer" (Übersee) einer ruhmreichen Karriere nachjagte, spottete über seinen ehrgeizigen Bruder: "Wenn Guy König wird, dann kann er es auch noch zum Herrgott bringen." Und tatsächlich konnte der jüngere Poitevin schon 1183 das Tor zu einer vielversprechenden Laufbahn weit aufstoßen, als er in die Rolle des Regenten von Jerusalem schlüpfte und drei Jahre später die Königswürde mit freilich umstrittenen Methoden an sich brachte.
1187 war alles wieder verspielt, nachdem er das christliche Heer
in die Katastrophe von Hattin geführt hatte, er selbst in Gefangenschaft
geriet und Jerusalem den Christen verloren ging. Spätestens
seit dieser vernichtenden Niederlage gegen Sultan Saladin galt er
als unfähig und überfordert. Er sei "eitel vor Stolz, ob
seiner Würde aufgeblasen, ein Narr, jedenfalls ein Mann von
geringen geistigen Gaben, naiv und ohne jede Spur von List . . .",
urteilten Zeitgenossen über ihn.
Eigenes Verschulden und die für Outre-mer typischen brutalen Intrigen verhinderten eine erneute Thronbesteigung. Das drohende Karriereende seines Gefolgsmannes rief Richard Löwenherz auf den Plan, der dem jungen Lusignan Zypern zu Lehen gab und zufrieden beobachten konnte, mit welcher Energie sich der Vielgescholtene daran machte, der byzantinisch-orthodox geprägten Inselbevölkerung eine fränkisch-feudalistische Fremdherrschaft aufzuzwingen.
"Er warb in allen Ländern ringsum Ritter und Bürger an, die Lehen oder Land brauchten und so kamen sie aus dem Königreich Jerusalem, aus Tripoli, Antiochia und Armenien", erzählt eine zeitgenössische Chronik. Rund dreihundert Lehen vergab er an adlige Ritter und zweihundert an andere bewaffnete Gefolgsleute. Dazu kamen Ämter und andere Privilegien, die der dünnen fränkischen Herrscherschicht politische Einflussnahme und ein sicheres Auskommen verschafften.
Amaury
Guy
starb 1194. Sein älterer Bruder Amaury (in manchen Geschichtswerken
auch Aimery, Amalrich, Aimerich genannt) trat die Nachfolge an und
mühte sich zuallererst um eine dauerhafte Absicherung der Lusignanherrschaft
auf Zypern. Das krisengeschüttelte und die westlichen ("lateinischen")
Aktivitäten an seiner Peripherie ohnehin mit Argwohn verfolgende
byzantinische Großreich erschien den Lusignans als Schutzmacht
ungeeignet. So richteten sich die Hoffnungen auf den deutschen Kaiser
Heinrich VI., den seinerzeit mächtigsten abendländischen
Fürsten. Ende 1195 trat eine Abordnung aus Zypern unter der
Führung von Renier de Gibelet vor die Reichstage zu Gelnhausen
und Worms, um dem Kaiser die Huldigung durch Amaury zu überbringen,
ihn um die Belehnung mit dem zyprischen Königreich zu ersuchen
und aus seiner Hand die Königskrone zu empfangen. Der Kaiser
kündigte an, auf seinem unmittelbar bevorstehenden Kreuzzug
in Zypern Station zu machen und die Krönung selbst vorzunehmen.
Einstweilen schickte er die Erzbischöfe von Brindisi und Trani
mit dem Zepter als Zeichen der Belehnung voraus.
Für den deutschen Kaiser bedeutete die Lehnsvergabe eine Stärkung
seines Einflusses in den levantinischen Angelegenheiten. Sollte der
Kreuzzug erfolgreich sein, würde die politische Ordnung in diesem
Raum vom Heiligen Römischen Reich entscheidend bestimmt werden
- so seine Überzeugung. Doch aus seiner Teilnahme wurde nichts
und auch die hochfliegenden strategischen Überlegungen blieben
Stückwerk. Der kranke Kaiser blieb daheim. An seiner Stelle
führte Kanzler Konrad von Querfurt, Bischof von Hildesheim,
den Kreuzzug an, der zunächst Zypern ansteuerte, wo Konrad als
Vertreter des Kaisers in der Kathedrale von Nicosia die Krönung
Amaurys zum Rex Cypri zelebrierte.
Noch in Zypern erfuhr Bischof Konrad von Hildesheim vom Tode des
Grafen von Champagne, der als König Henri von Jerusalem 1192
als Kompromisskandidat zu königlichen Ehren gelangt war. Da
seine Schwester mit Amaury verheiratet war, fiel das Königreich
Jerusalem an den Lusignan, dessen Lehnsherr, der deutsche Kaiser,
auf diese Weise die Oberhoheit über die heilige Stadt der Christen
und Muslime erwarb. Die Personalunion beider Kronen erlosch 1205,
wurde aber später erneuert, um ab 1291 als leerer Titel im Hause
Lusignan zu verbleiben. Auch Armenien blieb ab 1393 als Titularkönigtum
mit der Krone Zyperns dauerhaft verbunden.
Nach der geglückten Anbindung an das deutsche Stauferreich widmete
sich Amaury der Konsolidierung im Innern. So konnte er seine Lehnsmänner
dazu bewegen, Teile ihrer Einkünfte und ihres großzügig
bemessenen Grundbesitzes an die Krone abzutreten und damit die königlichen
Domänen stärken. Danach kümmerte er sich um die Verbesserung
der Landesverteidigung und er führte mit dem römisch-katholischen
Glauben zum Verdruss der Einheimischen eine neue Staatsreligion
ein.
Partikulärinteressen vs. Zentralmacht
Die Reichslehenschaft über Zypern war für die Mehrheit der frankophonen Inselbarone eine harte Nuss. Nicht ohne Grund fürchteten sie um Einfluss und profitable Ländereien, drohte doch die Umwandlung Zyperns in einen kaiserlichen Beamtenstaat nach dem Vorbild des staufischen Sizilien.
Als 1225 von den oppositionellen Adligen ein achtjähriger Prinz
zum König gekrönt wurde, intervenierte unverzüglich
Kaiser Friedrich II., der Sohn Heinrich VI., und erhob Anspruch auf
die Vormundschaft. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und
die ins Wanken geratene Reichslehenschaft wieder durchzusetzen, lenkte
der Stauferkaiser ein starkes Kontingent der Streitkräfte des
5. Kreuzzugs nach Zypern um, ging in Limassol im Juli 1228 an Land,
ließ Schlüsselpositionen mit Gefolgsleuten besetzen und
in den Garnisonen deutsche, flämische und apulische Söldner
stationieren. Die für den Moment neutralisierte Opposition ging,
kaum hatte der Kaiser die Insel verlassen, gegen die Kaisertreuen
vor. Doch der Staufer war nicht gewillt, Zypern aufzugeben. Neue
Truppen wurden 1231 nach Zypern entsandt. Sie sollten unter dem Kommando
des kaiserlichen Befehlshabers im östlichen Mittelmeer, Reichsmarschall
Ricardo Filangieri, die Kontrolle über die Insel zurückgewinnen.
Doch die zyprische Bastion der Staufer war nicht zu halten. In der
Reichsführung setzte sich die Einsicht durch, dass an eine Fortsetzung
der staufischen Orientpolitik nicht zu denken war. Von dem Rückschlag
auf Zypern wurde auch der mit den Staufern eng verbundene Deutsche
Orden (über ihn an anderer Stelle mehr) erfasst. Das Desaster
auf der Insel dürfte einer der Gründe für die Umorientierung
des Ordens auf Aufgaben im östlichen Mitteleuropa gewesen sein,
wie der schon im folgenden Jahr begonnenen Kolonisierung Preußens.
1232 übernahm der schon erwähnte "Kinderkönig" Henri I. als jetzt fünfzehnjähriger die Staatsgeschäfte. Während seiner Regierungszeit löste Papst Innozenz IV. die Lehnsverpflichtung Zyperns gegenüber dem Kaiser. Nunmehr unabhängig vom Sacrum Romanum Imperium, dem Heiligen Römischen Reich, blieb Zypern das sichere Hinterland des zusammenschrumpfenden Kreuzfahrerreiches an der gegenüber liegenden Küste.
Als Akkon, der letzte Brückenkopf der Kreuzfahrer 1291 fiel, begann für Zypern eine neue Epoche. Von Kriegen weitgehend verschont und wirtschaftlich prosperierend, fand sich das Inselkönigreich nach dem Erfolg der muslimischen Reconquista in der neuen Rolle einer vorgeschobenen Bastion gegen die nach Westen drängenden muslimischen Völkerscharen wieder - als terra Christianorum ultima, als "letztes Land der Christen", wie der westfälische Jerusalemreisende Ludolf von Sudheim um 1340 treffend bemerkte.