Zuchero di Cipro - Als Zypern Europa mit Zucker versorgte
"Der Überfluß an Zuckerrohr und dessen Herrlichkeit in Zypern ist gar nicht zu beschreiben. Der Patrizier Frederico Cornaro aus Venedig hat bei Limassol ein großartiges Besitztum, Episkopi, wo man so viel Zucker macht, daß ich glaube, die ganze Welt müßte daran genug haben. Der beste geht nach Venedig und man verkauft davon alle Jahre mehr. In dieser Gegend, sollte man glauben, könne niemand sterben, so reizend ist es zu sehen, wie man den feinen und den weniger feinen Zucker macht, und wie die Leute, fast 400 sind es, an der Arbeit sind. Geräte haben sie so vielerlei, daß ich in einer anderen Welt zu sein glaubte, und Kochkessel von einer Größe, daß es niemand für wahr halten wird, wenn ich sie beschreibe."
Aus der Feder des italienischen Jerusalem-Pilgers Pietro Casola stammt diese überschwengliche Schilderung eines Besuches im Zentrum der zyprischen Zuckerindustrie Ende des 15. Jahrhunderts. Nahezu jeder Reisende, der sich zwischen dem ausgehenden 13. und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf der Insel umsah, äußerte sich ähnlich bewundernd über Ausmaß und Qualität der dortigen Zuckerproduktion. Arabische Kolonisten machten das Zuckerrohr schon um 700 auf Zypern heimisch, nachdem die kostbare Pflanze aus ihrer Heimat im Melanesischen Archipel über das untere Indus-Tal, den Persischen Golf und das Zweistromland bis an die syrische Mittelmeerküste vorgedrungen war. Jahrhundertelang nur von lokaler Bedeutung, nahm die zyprische Zuckerproduktion einen stürmischen Aufschwung, als in der Kunst der Zuckerherstellung bewanderte "fränkische" Flüchtlinge nach dem Verlust ihrer Güter im Heiligen Land 1291 nach Zypern hineinströmten und hier erfolgreich ihr altes Gewerbe fortsetzten. Auch der kämpferische Johanniter-Orden war vor der Wucht der muslimischen Offensive auf die Insel ausgewichen und baute sich in seiner Großkommende Kolossi nahe Limassol ein Zuckerimperium auf, das zur technologisch führenden und ertragreichsten Zuckerproduktionsstätte Zyperns wurde. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von Episkopi, besaßen die venezianischen Cornaros, eine einflußreiche Familie international tätiger Bankiers und Kaufleute, ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Eine weitere bedeutende Anbauzone für das süße Rohr war die Küstenebene nördlich und südöstlich von Paphos, wo sich die Plantagen und Raffinerien der königlichen Lusignan-Familie konzentrierten - so in Lemba, Achelia und Kouklia. Andere Anbaugebiete der Lusignans lagen bei Lefke, Morphou (türk. Güzelyurt) und Akanthou (türk. Tatlisu) nahe der Nordküste. Auch die Johanniter besaßen im Norden Plantagen, so in Lapithos (türk. Lapta) wie auch in Morphou.
"Zucker. Mit welcher Kunst der Zucker zubereitet wird, wird
Dich das Bild, das Du siehst, auf sehr vielfältige Weise lehren."
Die von dem flämischen Maler Jan van der Straet, genannt Stradanus, gezeichnete und von
Philipp Galle um 1570 in Kupfer gestochene Szene aus einer sizilianischen Zuckersiederei
veranschaulicht in ihrer ungemein lebendigen Darstellung die Kunst der Zuckergewinnung wie
sie ähnlich auf Cypern praktiziert wurde.
Das Zuckerrohr konnte als Sommerfrucht gezogen werden, da sein hoher Wasserbedarf zu Füßen des Troodos-Gebirges und der Pentadaktylos/Besparmak-Bergkette gesichert war - beste Voraussetzungen also, um eine blühende, exportorientierte Zuckerindustrie entstehen zu lassen. Das von den Plantagen herbeigeschaffte Zuckerrohr wurde zunächst in Stücke geschnitten und dann einem zweistufigen Mahlprozeß zugeführt: ein gewaltiger Mühlstein, der -so in Kouklia- einen Durchmesser von 2,60 m und eine Dicke von 0,53 m erreichen konnte, wurde von Tieren bewegt und zermalmte das Rohr. Dann preßte man in einem zweiten Arbeitsgang unter Einsatz einer feiner regulierbaren Wassermühle den im Rohr verbliebenen Saft aus. Ein großvolumiger Bottich fing den Saft auf, der darauf durch Stoff gefiltert und in großen Kupferkesseln gekocht wurde, was bis zu drei Mal zu wiederholen war, um Zucker bester Qualität zu erhalten. Der nach jedem Umkochen heller werdende und eindickende Sirup wurde schließlich in konisch zulaufende Keramikformen mit einem Loch im Boden abgefüllt. Sie saßen auf Auffangbehältern, in die Reste des Sirups tropften, während sich im oberen Gefäß die Zuckerkristalle absetzten, durchtrockneten und härteten und durch die konische Form ihres Gefäßes in die typische Zuckerhutform gebracht wurden. 1445 übernahm das venezianische Handelshaus Martini die Vermarktung des Zuckers der königlichen Domänen Kouklia und Achelia und im gleichen Jahr kaufte es auch erstmals die Produktion der Johanniter-Kommende zu Kolossi auf. Das strenge Preisdiktat und festgelegte Abnahmequoten seitens des Aufkäufers bereiteten den Produzenten zwar gelegentlich Ungemach, auf der anderen Seite waren sie das Problem der Vermarktung in Europa los. Der Historiker Etienne de Lusignan berichtete 1573 in seinem in Bologna erschienenen Werk "Chorograffia et breve historia universale dell`isola di Cipro..." von alarmierenden Entwicklungen: "Die Insel erzeugt ziemlich viel Zucker auf den Gütern zu Lapithos, Achelia, Ktima, Chrysochou, Episkopi und Kolossi; an anderen Orten war dies auch der Fall, aber weil man mehr Gewinn mit weniger Auslagen bei der Baumwolle findet, wird jetzt nur mehr wenig Zucker erzeugt (...) Die Baumwolle gibt den besten Ertrag auf Cypern, weshalb sie viele die Goldpflanze nennen." Was der Historiker Lusignan hier nüchtern konstatiert, waren die unübersehbaren Vorboten des dramatischen Niedergangs der zyprischen Zuckerrohrkultur. In den wenigen Jahrzehnten zwischen 1570 und 1600 kollabierte dieser einst blühende Wirtschaftszweig. Entscheidend für den Zusammenbruch war die wachsende Konkurrenz der klimatisch begünstigten und effizienter bewirtschafteten Plantagen der neuen europäischen Kolonien auf den westafrikanischen Inseln und in Lateinamerika. Um 1540 importierte Venedig nur noch einen kleinen Teil seines Bedarfs aus den ostmediterranen Erzeugergebieten. Eine weitaus größere Menge bezog es aus Madeira via Lissabon als zucchero di Medera. 1420 hatten die Portugiesen erstmals aus Sizilien eingeführte Zuckerrohrschößlinge (auch Weinstöcke aus Zypern!) auf Madeira angepflanzt und, durch den Erfolg ermutigt, auch auf den Kapverdischen Inseln, den Azoren und Sao Tome. Billigzucker aus Madeira war schon um 1500 in Westeuropa ein fester Begriff. Sebastian Münster notierte nach älteren Quellen in seiner "Cosmographey oder Beschreibung aller Länder Herrschaften..." (hier in der Ausgabe Basel, 1592) : "Es hat auch der König von Portugal lassen Zucker Rohr pflantzen in diese Insel / und das wechßt mit Hauffen / und bringt järlichen groß Gut. Solcher Zucker ist auch so geschmackt / daß er obertrifft den so in Sicilia und Cypro wechßt." Als schließlich brasilianischer Zucker weit unter dem Preis der Erzeuger am Mittelmeer ab 1530/40 auf den europäischen Markt drängte, beschleunigte dies den Niedergang der Zuckerindustrien von Zypern über Sizilien bis Andalusien.