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Reiseführer Nordzypern

Venezianisches Intermezzo

Es war der uneingeschränkte Zugriff auf die Ressourcen Zyperns, um den es der venezianischen Führung ging. Das Wohlergehen der zyprischen Gesellschaft war dabei nur insofern von Belang, als es der Gewinnsteigerung diente und von einer Wiederbelebung der noch in manchen abendländischen Köpfen herumspukenden Kreuzzugspläne war schon gar nicht die Rede. Venedigs Handelssyndikate vertrieben die internationale Konkurrenz aus den zyprischen Häfen, verschafften sich die Kontrolle über die gesamte Warenproduktion, errichteten Preisdiktate. Der kleine, geplünderte Kontinent wurde zur Schatzkammer der Profiteure vom Lido, zur lukrativsten Kolonie ihres Überseeimperiums, zu dem auch Ägäis-Inseln, peloponnesische Stützpunkte, die Hafenstädte der dalmatinischen und albanischen Küste, Kythera, Korfu, Kreta und andere Eroberungen zählten.

Gebremstes Revirement

Um das Regime zu stabilisieren und den Profit dauerhaft zu sichern, führte man gleich nach der Machtübernahme einige Neuerungen ein. Dabei achtete man darauf, Kräfte des alten Regimes nicht zu verprellen, auf deren Mitarbeit die Kolonialbehörden spekulierten. Das Rechtssystem und die sozialen Einrichtungen blieben daher unverändert. Anders die politische Verwaltung: Monarch und „Haute Cour“ (Kronrat) waren abgeschafft. An ihre Stelle wählte der „Große Rat“ bzw. der „Rat der Zehn“ in Venedig einen Gouverneur/Statthalter (luogotenente) nebst zwei Senatoren (governadori), die dem obersten Verwaltungsorgan (regimento) in Nicosia vorstanden. Alle zwei Jahre erfolgte die Neuwahl und staatlich bestellte Kontrolleure (sindici) hielten das politische Geschehen im Auge. Die militärische Führung lag bei dem Kommandanten (capitano del Regno di Cipro) von Famagusta. In Krisenzeiten wurde ein Oberbefehlshaber (provveditore) mit unbegrenzten Vollmachten in militärischen und zivilen Angelegenheiten eingesetzt.

Famagusta (Gazimagusa): Ein steinerner Löwe bewacht das Seetor

Symbol venezianischer Macht auf Zypern: der Markuslöwe

Die einst glanzvolle Dynastie der Lusignans, seit dem Putsch der Genuesen im Oktober 1372 schon politisch entmündigt, zeigt unter dem harten Zugriff Venedigs kaum noch Lebenszeichen. Auch das politische Mitspracherecht des Adels wird beschnitten, doch behält er seinen sozialen Status, seine Besitztümer ohnehin und hier und da kann er im Dienste der Kolonialbehörden seine Verwaltungskünste unter Beweis stellen. Im übrigen ist er vollauf mit sich selbst beschäftigt: in mehrere verfeindete Fraktionen zerfallen, intrigieren und konspirieren diese an der Seite ihrer jeweiligen „Schutzmächte“ (Genua, Venedig, Katalanische Partei) um ihr politisches Überleben.

Am Ende der venezianischen Okkupation (1570) zählte der fränkische Adel (wenn man so will: der „Kreuzfahreruradel“) gerade noch 24 Familien – vielleicht zehn Prozent des gesamten Adels. Auszehrung und Auswanderung hatten den Niedergang bewirkt und dazu beigetragen hatten auch junge, ehrgeizige Familien italienischer, spanischer und selbst griechisch-zyprischer Herkunft, Parteigänger Venedigs allesamt, die in den Feudaladel aufgestiegen waren und das fränkische Element verdrängten.

Das Geschäft blüht . . .

Salzgewinnung und -vermarktung, traditionell ein Staatsmonopol, gefolgt von Baumwolle und Baumwollprodukten, Weizen, Gerste und Rohrzucker waren die Handelsgüter, die dem Kolonialregime und seinen Nutznießern die höchsten Gewinne einbrachten. Der Export lief vornehmlich über Famagusta, Venedigs Hauptumschlaghafen für den Levante-Handel.

Im ländlichen Raum, dort wo etwa 85 % der Bevölkerung lebten und Produktion und Verarbeitung angesiedelt waren, hatten die neuen Machthaber das System ihrer Vorgänger kaum angetastet. Nach wie vor gab es die Klasse der „parici“, der rechtlosen Leibeigenen, wenn auch in etwas geringerer Zahl als früher, und die sog. „Freien“ („francomati“), die so frei aber nicht waren, um über ihre Lebensumstände selbst entscheiden zu können. Dabei wußte man sehr genau, wie rückständig die Lage der Landbevölkerung im Vergleich zur europäischen Entwicklung war. Man fürchtete sogar den Ausbruch von Unruhen, traute aber nur dem überkommenen System zu, die Stabilität zu bewahren und die Einkommen zu sichern.

Bemerkenswert ist der Anstieg der Bevölkerungszahl, die sich nach den Verlusten während der Pestjahre Mitte des 14. Jahrhunderts nahezu verdoppelte auf 195.000 Einwohner zum Ende des venezianischen Protektorats. Eine Zahl übrigens, die erst wieder gegen Ende des 19. Jahrhunderts (also unter britischer Herrschaft) erreicht wurde. Famagusta zählte unter den Venezianern etwa 10.000 Bewohner, während Nicosia schon 20.000 aufwies und damit die Größe von Metropolen wie Madrid, Amsterdam, Hamburg und Padua erreichte.

Unter Venedigs Verwaltung verdrängte Italienisch als Verwaltungs- und Umgangssprache des Adels den lokalen französischen Dialekt mit seinen orientalischen Lehnwörtern.

. . . und die Bedrohung wächst

Fraglos brachte das venezianische Regime dem Land einen Wirtschaftsaufschwung, von dem auch Einheimische profitierten. Doch zum Alltag der meisten Zyprer gehörten noch immer Zwangsarbeit und maßloser Steuerdruck und das fortdauernde Primat des römischen Klerus über die orthodoxe Kirche empfanden deren Glaubensanhänger als tiefe Demütigung. Manchmal begehrten die Untertanen auf, zettelten Aufstände an, die schnell wieder unterdrückt wurden. Nur 1563 wurde es für die Herrschenden wirklich gefährlich, als ein charismatischer Anführer namens Jakobos Diassorinos, den seine Anhänger aus der Landbevölkerung „Didaskalos“ (Lehrer) nannten, die Massen begeisterte. Er war es, der erstmals den bislang verpönten Schritt wagte und für seinen Aufstand die Rückendeckung des Osmanischen Reiches einholte.

Die Serenissima und ihre Statthalter auf Zypern waren sich durchaus der Gefahr bewußt, die den venezianischen Besitzungen im östlichen Mittelmeer von osmanischer Seite drohte. Dank ihres hervorragenden Spitzelnetzes war die Stadt am Lido bestens über den Diskussionsstand im engsten Zirkel der osmanischen Führung informiert. Sie wußte, dass der Angriff auf Zypern im Zentrum des „mareclausum“der Osmanen so bald nicht stattfinden würde, weil die Spitzen in Istanbul (zunächst) keine Übereinstimmung über das weitere Vorgehen erzielen konnten. Sie gewannen also Zeit – und nutzten sie nicht.

Als die Osmanen im Sommer 1570 zum Angriff bliesen, waren die Verteidigungsmaßnahmen Stückwerk geblieben. Das ins Werk gesetzte Konzept entsprach nur entfernt den Erfordernissen einer neuzeitlichen Kriegsführung. Die massiv ausgebauten Seefestungen Famagusta und Kyrenia sowie die neu errichtete Bastionärsfestung Nicosia sollten das Gros der Verteidigungskräfte hinter ihren starken Mauern konzentrieren und so verbarrikadiert, den anrennenden Gegner zermürben und durch Gegenattacken weiter schwächen. Daß Venedigs Strategen das weite Vorfeld zu Lande und zu Wasser dem ungestört agierenden Feind überließen, sollte sich als verhängnisvoller Fehler in der kommenden Auseinandersetzung erweisen.

Sebastiano Veniero

Sebastiano Veniero, Kommandant der venezianischen
Flotteneinheiten im östlichen Mittelmeer

Im Februar 1570 war das lange erwartete Ultimatum des Sultans in Venedig eingegangen:
„Selim, osmanischer Sultan, Kaiser der Türken, Herr der Herrschaften, König der Könige, Schatten Gottes, Herr des irdischen Paradieses und Jerusalems, an die Signorie von Venedig: Wir fordern von Euch Zypern, das Ihr uns freiwillig oder gezwungen übergeben werdet (…) und reizt nicht unser schreckliches Schwert, denn wir werden gegen Euch einen höchst grausamen Krieg führen. Verlaßt Euch nicht auf Eure Schätze, denn wir werden erreichen, dass sie Euch wie ein Sturzbach davonfließen. Hütet Euch davor, uns zu reizen. . .“

Eine auf Initiative von Papst Pius V. in aller Eile einberufene Verteidigungsallianz konnte die mit sich selbst beschäftigten und untereinander zerstrittenen christlichen Mächte nur zu harmlosen militärischen Vorkehrungen bewegen. So operierte zwar in den entscheidenden Sommermonaten des Jahres 1570 eine zusammengewürfelte christliche Kriegsflotte im östlichen Mittelmeer, die aber nach schweren Zerwürfnissen wieder die jeweiligen Heimathäfen ansteuerte, während die osmanische Invasionsflotte unbehelligt Kurs auf Zypern nahm.

 


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