Nicosia in historischen Darstellungen aus sechs Jahrhunderten
"Eine feine und ziemlich große Stadt"
Dokumentiert von:
Ludolf
von Sudheim (ca. 1338)
Stephan von Gumpenberg (1450)
J. W. Neumayr von Ramsla (1570)
Vincent Stochove (1631)
V. G. Bars`kyj (1727)
O. F. von Richter (1816)
Dr. Carl Friederichs (1869)
Eugen Oberhummer (1887)
William Hurrell Mallock (1888)
Der aus Osnabrück gebürtige Geistliche Ludolf von Sudheim machte auf seiner mehrjährigen Pilgerreise zu den heiligen Stätten der Christenheit auch auf Zypern Station. In seinem als "entschieden bestes Itinerarium des 14. Jahrhunderts" gelobten Reisebericht kam er zu dem Schluss, was er in Zypern an Reichtum und Luxus gesehen habe, sei...
"... hierzulande
unglaublich und unerhört"
"In Cipro gibt es noch eine andere große Stadt, die heißt
Nicosia und ist die Hauptstadt Cypri. Sie ist auch Erzbischofssitz wie
hierzulande Köln. Sie liegt in der Mitte der Insel unter den Bergen
des Landes in einer weiten Ebene und in sehr gesunder Luft. Und wegen
der milden und wohligen Luft hält Hof daselbst der König von
Zypern und all` die Bischöfe und Prälaten des Landes. Und
auch versammeln sich dort die Fürsten, Grafen und edlen Herren,
auch die Barone und die Ritterschaft des Landes. Und sie wohnen dort
die meiste Zeit und sie haben dann ihre Kurzweil mit Spielen und Turnieren
und besonders mit Jagdspielen, denn es gibt viel Wild auf der Insel.
So sind dort wilde Widder (Mufflons), die auf der Welt sonst nirgends
anzutreffen sind. Man fängt sie mit Leoparden, weil sie anders
nicht zu fangen sind.
In Cipro sind Fürsten, edle Herren, Barone, Ritter und Bürger
die reichsten, die es in der Welt gibt. Ein Mann, der in diesem Land
dreitausend Gulden im Jahr Einkünft hätt`, würde nicht
höher geschätzt als einer, der hierzulande drei Mark Geldes
hätt`."
Auch Stephan von Gumpenberg gehörte zu einer Pilgergruppe, die mehrere Monate im heiligen Land verbracht hatte und auf dem Rückweg Zypern anlief. Die Reisegesellschaft ging in Famagusta von Bord, um die Insel ausgiebig zu erkunden. Was man in den fünf Wochen sah und erlebte, wurde "von tag zu tag fleissig und gründtlich" im Reisetagebuch festgehalten.
Wohlfeiles Silber
"Nicosia ist eine schöne Stadt mit einer festen Mauer und
liegt auf einer Ebene und hat gut Land um sich. Und ist die Hauptstadt
in Cypern, darinnen der König Hof hält. Die Stadt ist sonst
nicht wohl erbauet, hat viel weiter Flecken und Plätz. Dagegen
hat sie viel hübscher Höf, die wohl erbauet sind, darinnen
des Königs Brüder und auch die vom Adel und der Ritterschaft
wohnen. Der König hat ein schön Castell oben in der Stadt
liegen, das ist fest mit Mauern und starken Türmen ( . . . ) und
der größte Gewerb, den da der gemeine Mann treibt, ist mit
dem Schamlot (Kamelot, Stoff aus weißem Kamelhaar) ( . . . ) gingen
wir zu dem Stift, danach auf den Markt, da man allerlei köstliches
Geschirr von Gold und Silber hat. Da sagt man uns, dass etliche
zu Nicosia sind, die Badstuben haben, darinnen die Stühl, Bänk
und ander Geschirr von Silber ist. Das Silber ist aber gar wolfeyl (wohlfeil,
preiswert) da."
In seinem 1621 veröffentlichten Buch mit dem ellenlangen Titel "Bellum Cypricum oder Beschreibung des Krieges, welchen im Jahre Christi 1570, 71, 72 der Großtürk Selim wider die Venetianer wegen des Königreichs Cypern geführet" schildert der gelehrte sächsische Edelmann Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla ausführlich die Belagerung Nicosias durch die osmanischen Invasoren.
Verteidiger
und Belagerer
"Hierauf machte sich Mustafa (Lala Mustafa Pascha, Oberkommandierender
der Invasionstruppen) folgenden Tages auf und rückte nach Nicosia,
sendete 500 Pferde nach Famagusta, damit vom selbigen Ort denen zu Nicosia
bey währender Belagerung keine Hilfe zukommen sollte ( . . . )
Denn Mustafa und Pialy (Piali Pascha, eine anderer Heerführer),
waren der Meynung, sie wollten erst Nicosia, weil sie nicht allein die
Hauptstadt im Königreich, sondern auch mit Volk nicht so gar wohl
versehen, auch noch nicht allenthalben befestigt war, belagern. Denn
sollten sie erst Famagusta angreifen, so hätte man mittlerweile
Nicosia vollends befestigen können und würde sodann ein Eindringen
schwerer seyn. Zudem wußten sie, dass in selbiger Stadt gar
wenig gute Soldaten lagen und ein groß Reichtum darinnen war :
hielten also dafür, ihre Truppen würden um des Raubs willen
so viel besser streiten und keiner Gefahr achten.
Die Türken rückten ganz vorsichtig vor, besorgten sich, die
Christen möchten Hinterhält legen, weil sich keiner ihrer
Offiziere mit den Waffen im Felde wider ihn sehen ließ. Kam also
am 25. Juli mit dem Kriegsheer ohne Geschütz und mit wenig Pferden
mit großem Geschrey selbiges Volks, wie es das Mahometische (mohammedanische)
Kriegsvolk im Gebrauch hat, vor Nicosia, damit sie die Belagerten in
Furcht bringen und diese nicht heraus fallen (keinen Überraschungsangriff
ausführen) und sie bey der ersten Ankunft, wie man zu tun pfleget,
an Aufschlagung der Gezelt und Verfertigung des Lagers behindern möchten.
Die Bürger, Soldaten und Offiziere begehrten solches auch (nämlich
einen Ausfall aus der belagerten Stadt), denn sie sahen, dass man
den Feinden das Geschütz noch nicht zugeführet hatte. Und
sie sagten, man sollte sie an ihrem tapfern Muth nicht hindern, sondern
ihre Mannligkeit probieren lassen, zumal sie das Geschütz auf der
Mauer und der Brustwehr hätten, welches sie bey der ritirata (Rückzug)
vor den Feinden beschirmen könnte. Aber man konnte weder den Leutnant
noch den Kommandanten darzu bereden und so ließ man den Türken
Zeit, dass sie sich lagern und verschanzen konnten, ward also guter
Rath von denen, welche die größte Autorität hatten,
hintan gesetzet.
Folgenden Tages kam auch die (türkische) Cavalleria (und) wie nun
ihre Geschütze ins Lager kamen, stellten sie solche in die forten
(Geschützpforten), welche sie zu machen angefangen hatten. Kamen
auch zu Roß vor die Stadt und wollten scharmutzieren (etwa: zum
Kampf reizen). Aber die Regierung wollte niemands hinaus lassen ( .
. . ) doch ward es einmal vergönnet und fielen die albanischen
Reiter mit viel Schützen hinaus und brachten eine gute Anzahl Feinde
um, verloren aber hiergegen etliche zu Fuß, wie auch den Anführer,
welcher sich mehr als ihm gebührete gar zu weit in die Feinde gewaget.
Demselben ließ der Pascha den Kopf abhauen. Und hierauf verbot
man, dass keiner mehr hinaus ziehen und mit den Feinden scharmützeln
sollte. Ward also die Stadt endlichen belagert".
Nicosia fiel am 9. September 1570, dem 48. Tag der Belagerung.
1631 unternahm der aus Brügge stammende flämische Edelmann Vincent Stochove, Mitarbeiter der französischen Botschaft in Istanbul, mit drei Kollegen eine Besichtigungstour durch die osmanischen Provinzen. Die Reisegesellschaft steuerte auch Zypern an und verbrachte einige Tage in Nicosia. Sein Reisetagebuch "Voyage de Levant" berichtet darüber.
Schwarz von
Krähen
"Nicosia ist von einem schönen, akkurat gebauten Festungsring
umgeben ( . . . ) aber die Türken, die sich wenig um die Instandhaltung
der Befestigungen sorgen, lassen die Wälle verfallen und die Wallgräben
wieder auffüllen. Dabei könnten die Befestigungen die mächtigsten
ihrer Art in der ganzen Türkei sein ( . . . ) Die große Kirche,
die einstmals der hl. Sophia geweiht war, ist sehr schön und groß
und ganz aus Quadersteinen gebaut. Die Türken haben nichts an dem
Gebäude verändert und sie zu ihrer Hauptmoschee gemacht (
. . . ) Es gibt in der Stadt eine Menge Gärten, die dicht mit Palmen
bestanden sind, in denen Unmengen Krähen hausen. Ihre Zahl ist
unglaublich. Die Bäume sind ganz schwarz von ihnen. Sie bringen
einen am Morgen um den Schlaf, denn bei Anbruch des Tages veranstalten
sie ein so lautes Krächzen, dass man nicht mehr schlafen kann.
Aus irgend einem Aberglauben heraus bringen es die Türken nicht
über sich, die Krähen zu töten. Einer unserer Kameraden
konnte den Lärm nicht länger ertragen und brachte mit einem
Schuß aus seiner Arkebuse einige der schwarzen Vögel zur
Strecke, was uns erheblichen Ärger bereitete, denn alle Türken
des Quartiers zogen schreiend vor unsere Unterkunft, als hätten
wir ihnen ein schweres Unrecht zugefügt. Dem Konsul bereitete es
einige Mühe, sie zu beschwichtigen und er konnte nicht umhin, ihnen
ein erkleckliches Geld zu zahlen".
Die orthodoxen Klöster und Kirchen Zyperns hatten es dem ukrainischen Reisenden Vasilij Grigorowic Bars`kyj (1701-1747) angetan. Vier Mal besuchte er die Insel. Während seiner zweiten Reise im Frühjahr 1727 hielt sich der tiefgläubige Mann aus Kiew und spätere Mönch auch zehn Tage in Nicosia auf.
Stadt der Gärten
"Als die Venezianer hier noch die Macht ausübten, war Nicosia
eine schöne Stadt. Die venezianischen Gebäude waren nicht
gerade bescheidene Bauten, doch von den alten Häusern ist wenig
geblieben, nur in den Erinnerungen der Leute lebt vieles fort. Als Gott
es den Türken erlaubte, die Stadt durch einen Krieg in ihre Gewalt
zu bringen, verwüsteten sie alles und zerstörten die Häuser
und schönen Paläste bis auf die Fundamente. Heute werden auf
den alten Steinfundamenten Häuser aus ungebrannten Lehmziegeln
errichtet und innen weiß gekalkt.
Ein starker und ansehnlicher Wall umgibt die Stadt, die nicht sehr ansprechende
Häuser hat. Doch die vielen Obstbäume verschönern die
Stadt, die einem von weitem als großer Garten erscheint. Jedes
Haus hat seinen eigenen Garten mit Zitronen-, Pomeranzen- und Apfelbäumen.
Dattelpalmen gibt es im Überfluß. Die Stadt in der Ebene
zwischen den Bergen erhält reichlich Wasser aus dem Gebirge, das
all die Gärten bewässert."
Der junge estländische Reisende und Forscher Otto Friedrich von Richter beschäftigte sich eingehend mit dem klassischen Altertum und den orientalischen Sprachen. Den Orient durch eigene Anschauung kennenzulernen und "dort practisch neue Lebens-Ansichten zu sammeln, da die in Europa geltenden ihm eben so langweilig, als einseitig schienen", machte er sich als Vierundzwanzigjähriger auf den Weg in den Nahen Osten. Die "Wallfahrten im Morgenlande" des früh Verstorbenen berichten auch auf über fünfzig Seiten über Zypern und seine Hauptstadt.
16.000 Einwohner
"Das Erste, was auffällt, sind die weitläufigen Festungswerke,
über welche die Häuser nur wenig hervor ragen. Ihre Bauart
von Erde und die vielen Palmen erinnern an Ägypten; aber die darunter
gemischten Cypressen und die hohen, weißen Minaretts noch mehr
an Konstantinopel. Letztere erheben sich auf gothischen Kirchen, die
den Beschauer wieder nach Europa versetzen ( ... ) Die Wälle scheinen
alle inwendig aus gut gefütterten Casematten zu bestehen, sind
jetzt aber finster und verschüttet. Wenige Stücke Geschützes
von geringem Caliber. Gleich am Thore (Famagusta-Tor) und darüber
hinweg läuft eine Wasserleitung auf vielen runden Bogen Türkischer
Bauart ( ... ) Die Bevölkerung Nicosias übersteigt gewiß
16.000, wovon mehr als die Hälfte Türken, die übrigen,
bis auf wenige Armenier und Maroniten, Griechen sind. Ihre unansehnlichen
Häuser ruhen häufig auf alten Fundamenten, und bilden schmale,
kothige Gassen. Der übrigens wohl versehene Basar ist nicht einmahl
gewölbt, sondern wird nur bei Regenwetter durch Matten geschützt.
Die hiesigen Manufakturen beschränken sich auf gute baumwollene
und seidene Zeuge und gefärbte Leder".
"Zum Ankauf von Alterthümern" unternahm Dr. Carl Friederichs in seiner Funktion als Direktor am Antiquarium des Königlichen Museums zu Berlin im Herbst des Jahres 1869 eine Reise nach Zypern. Dieser ersten Reise zur Beschaffung von Museumsexponaten folgten weitere Reisen nach Griechenland, Palästina, Ägypten und ins westliche Mittelmeer. Er berichtet darüber in seinen "Kunst und Leben" betitelten Reisebriefen.
Besuch beim
Pascha
"Hier in Nikosia war nun auch eine Art Wirthshaus, wohl das einzige,
was in Cypern existirt, und wenn man sich aus Flöhen nicht viel
macht, auch ganz passabel, indessen muß ich doch bemerken, dass
schon hier etwas die Leiden der Nachtquartiere anfingen, die sich nun
die folgenden Tage gewaltig steigerten. Wir stiegen also ab in diesem
griechischen Hotel, und der Anfang der Ceremonien, das Herumreichen
der Süßigkeiten, war ganz passabel ( ... ) Darauf machten
wir einen Besuch beim Pascha (Inselgouverneur). Alles in feierlicher
Ceremonie, voran zwei Kawassen (Bedienstete des Gouverneurs) mit ihren
Stäben. Im Hof des Palastes war die Wache aufmarschirt, um Honneurs
zu machen, und bis zum Zimmer des Pascha war ein Heer von Dienern sichtbar.
Der Pascha ist ein höchst eleganter, feiner Mann, dessen türkische
Barbarei durch eine französische Politur etwas verdeckt ist, doch
aber hie und da herausguckt ( ... ) Es wurden Kaffee und Cigaretten
gereicht, und die Unterhaltung drehte sich zunächst um die Alterthümer
der Insel und unsere Reise. Er war so freundlich, uns für die weitere
Tour militärische Begleitung anzubieten ( ... ) dann lenkte der
Pascha das Gespräch geschickt auf die schreckliche Plage der Insel,
die Heuschrecken, die hier alle Jahre einen bestimmten Strich der Insel
völlig kahl fressen ( ... ) Nachdem auch noch die hohe Politik
zur Sprache gekommen, und die Unterhaltung über eine Stunde gewährt,
gingen wir unter größter gegenseitiger Höflichkeit auf
dieselbe Weise zurück, wie wir gekommen ( ... ) Nachmittags kam
viel Besuch in´s Hotel, um den Consul und Milordos Bey, das ist
mein officieller Titel, zu sehen. Antiken lumpigster Art wurden mir
angeboten für fabelhafte Preise ( ... ) Daß wir Schätze
suchen, ist der allgemeine Glaube, und wie viele Abenteurer oder Faullenzer
gehen hier aus, um Schätze zu suchen! Was hier überhaupt,
auf dieser abgeschlossenen Insel, für Dummheit herrscht, davon
hat kein Mensch einen Begriff".
Anläßlich einer 1886 von der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften ausgeschriebenen Preisaufgabe bereiste der Geograph Eugen Oberhummer im April und Mai 1887 Zypern. Die Erträge seiner Forschungen schlugen sich u. a. in seinem Bericht "Aus Cypern. Tagebuchblätter und Studien" nieder, aus denen hier seine erste Begegnung mit der Inselhauptstadt Nicosia wiedergegeben wird.
"Freudig
überrascht"
"Wie so mancher Reisende vor mir, von denen einer den Anblick von
Nicosia sogar mit dem von Schiras vergleicht, ja ihn über denselben
stellt, war auch ich von dem ersten Eindruck freudig überrascht,
den ich von der letzten Anhöhe aus erhielt, welche die Straße
von Larnaca überschreitet. Die Sonne war eben unter den Horizont
gesunken, und die Umrisse der Stadt mit ihren venezianischen Festungswällen,
den Minaretts neben dem gotischen Dome, den das ganze Bild belebenden
Phönixpalmen, deren malerische Wirksamkeit in dieser architektonischen
Umgebung doppelt hervortritt, hoben sich mit wunderbarer Schärfe
von der Farbenpracht des Abendhimmels ab; so gestaltete sich mir der
erste Eindruck von Nicosia zu einem der unvergeßlichsten, stimmungsvollsten
Bilder, das sich mir je im Orient bot, ebenbürtig dem oft beschriebenen
und doch nie in Worten zu erschöpfenden Eindruck, den die Betrachtung
des Sonnenuntergangs an den Ufern des Nil in Oberägypten gewährt".
In seinem Reisebuch "In an Enchanted Island or a Winter´s Retreat in Cyprus" schwelgt der Engländer William Hurrell Mallock in Erinnerungen an seine Streifzüge durch das Reich der Händler und Handwerker Nicosias:
Im Labyrinth
des Basars
"Wenn irgend etwas in Nicosia die alte Welt wie ein aufgeschlagenes
Geschichtsbuch verkörperte, dann war dies zuallererst und in einzigartiger
Weise der städtische Basar ( ... )
Als wir an einem riesigen Feigenbaum mit einem türkischen Grab
in seinem Schatten vorbeikamen, gerieten wir in eine überdeckte
Passage voll tanzender Lichter und Schatten, die in eine Ansammlung
alter steinerner Gebäude überging, wo Männer und Frauen
geschäftig, doch ohne Hast hinein- und wieder herausströmten
- wie Ameisen am Eingang ihres Nestes: hier war der Eingang zum Basar.
Hatte man ihn erst betreten, wurde man in eine Welt des Sonderbaren
und Malerischen versetzt ( ... ) Über seine schattigen Gassen schob
sich vom frühen Morgen bis in die Dunkelheit ein bunt gemischtes
Publikum: Griechen und Armenier in ihrer dunklen, enganliegenden Kleidung
suchten ihren Weg vorbei an Turbanen und fließenden Roben in Blau,
Grün oder Orange. Alte Frauen mit silbrigem Haar und zerknitterten
Gesichtern schwankten vorbei mit Körben auf ihren schwachen Schultern
und schlanke Mädchen balancierten hocherhobenen Hauptes bis an
den Rand gefüllte Krüge, verschleierte Türkinnen glitten,
vermummt in Weiß wie Gespenster, durch die Menge, begleitet von
einem Neger, schwarz wie Ebenholz, und ein Patriarch mit einem Bart
wie Schnee ritt, feierlich zwischen bunten Packtaschen auf einem Esel
thronend, seines Weges. Ein schwerer Wagen folgte, den massige Ochsen
zogen, die ihre Hörner hin und her schwenkten und geduldig standen
Gruppen von Kamelen unter strahlender Sonne, umringt von roten Mützen
und Turbanen. Und dann die Besitzer am Eingang ihrer Läden: jener
mandeläugige Grieche zum Beispiel, zuckend und grimassierend mit
nie endender Lebhaftigkeit oder jener alte Türke dort drüben,
der völlig regungslos auf dem Boden hockt wie eine Wachsfigur,
nur hin und wieder am Bernsteinmundstück seiner Wasserpfeife saugt
und eine Hand mit einem riesigen Türkisring nach einer Schüssel
mit Holzkohle ausstreckt, so, als seien Kunden für ihn ohne jede
Bedeutung.
Im Basar von Nicosia gerät die moderne Welt in Vergessenheit, denn
in jeder Szene, in jedem
Laut offenbart sich der Geist einer anderen Zivilisation und anderer
Jahrhunderte, man möchte fast sagen: einer anderen Welt. Die Menschen,
denen man hier begegnet, sind aus jener Welt, Menschen, die djins (Geister)
gesehen oder Wunder mit dem Talisman bewirkt haben könnten oder
noch andere Geheimnisse in sich tragen. Kein Gesicht, das nicht Wunder
gesehen haben könnte! Kein Herz, das nicht unbedingt daran glaubt!"