Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich (1872/73)


"Die Bevölkerung Levkosia`s (Zyperns Hauptstadt) reicht an zwanzig Tausend, was jedoch schwer zu bestimmen ist, nachdem die Frauen nicht gezählt werden. Die Einwohner sind in ihrer Mehrzahl Türken, wiewohl ihnen die Griechen fast gleichkommen dürften, dann eine kleine Anzahl Armenier. Katholiken gibt es bloss 80 - 90; Juden gar keine. Die Türken Levkosia`s haben häufig nach oben gewendete Brauen, einen breitgeschlitzten Mund, nicht selten grosse, kastanienbraune, langwimperige Augen, und die Haare nach türkischer Sitte geschoren. Sie tragen meistens ein meergrünes Hemd, das sie sehr schön kleidet, und kennzeichnen sich stets durch ihre weisse Hosen und bunte Farben der Kleider. Die Frauen tragen beim Ausgehen stets blendend weisse Oberkleider, darunter sind sie aber luxuriös, häufig in Seide angezogen. Die Armenierinnen kleiden sich in gleicher Weise, die Armenier alla franca ("fränkisch", d.h. europäisch). Die Griechen sind hübsche Leute, haben aber zumeist eine zu grosse Nase. Sie tragen lange Pumphosen, die rückwärts häufig im Gürten aufgehängt werden, und ziehen meist nur Strümpfe, im Winter aber auch Stiefeln an. Die Frauen tragen fast alle den Fez, der von einem Stirnband, Skufomata genannt, festgehalten wird, und darüber ein Tuch, manche aber nur Letzteres. Wenn sie grau werden, pflegen sie ihre Haare mit Henna roth zu färben, wie es die Türkinnen mit den Nägeln thun. Das Färbemittel wird abends aufgelegt und in der Früh ist das Haar schon ganz roth. Den Kindern werden die Augenränder mit dem sogenannten Holla mavri schwarz gefärbt, und zwar sowohl bei den Türken wie bei den Griechen, bei den Ersteren jedoch häufiger. Die Sprache der Türken auf Cypern ist sehr rein, es soll nach jenem von Konstantinopel das beste Türkisch sein. Das Griechische der Cyprioten ist dagegen ein Dialekt, der mit einer Menge italienischer Wörter, wie z.B.Petra, Porta, Tavola, Bunazza u.a.m. und auch vielen türkischen vermischt ist. Die türkische Sprache ist in Levkosia sehr verbreitet; Männer, die sie nicht sprechen könnten, findet man sehr selten, dagegen gibt es aber viele, die nur türkisch kennen; auch viele griechische Frauen sind ihrer vollkommen mächtig. Zu erwähnen ist auch die sehr verbreitete Sitte, nach welcher Griechen und Türken, anstatt "nein" zu sagen, einfach den Kopf stille heben. Grosse Reichthümer haben die Bewohner Levkosia`s nicht, man schätzt schon einen Türken sehr reich, wenn er 400.000 Piaster hat. Die Türken, bisweilen auch Türkinnen, bedienen jetzt auch die Griechen; andererseits treten manche Griechinnen zum Islam über und heiraten Türken. Eunuchen halten die hiesigen Türken keine, nur zwei oder drei Knaben als Diener und eine oder zwei Negerinnen als Sclavinnen, letztere kommen über Cerinja (Kyrenia, heute:Girne), da man sich wegen der Consuln fürchtet, sie über Larnaca zu führen und werden deswegen auch immer zu Hause gehalten. Männliche Sclaven hat man keine mehr. Die meisten Neger, deren es in Levkosia ziemlich viele gibt, sind Muselmänner, einige bekennen sich aber auch zum griechischen Ritus. Auch trifft man viele mit Türken gekreuzte Mulatten, die sehr stämmige Leute zu sein pflegen. Mit dem erreichten 18. Jahre werden die Türken Soldaten, früher bleiben sie auf der Insel, seit einem Jahre werden sie jedoch weggeführt. Die Christen zahlen zeitlebens 27einhalb Piaster jährlich vom Tage ihrer Geburt an und sind vom Militärdienst befreit. Die meisten Griechen sind der Regierung feindlich gesinnt, woran namentlich die vielen Steuern Schuld sind. Als griechisches Schutzzeichen sieht man häufig den russischen Doppeladler, wiewohl die Griechen von Russland nichts wissen wollen, namentlich seitdem es die türkischen Sclaven begünstigt. Die nach Jerusalem wandernden Griechen führen wie die Mekkapilger den Namen Hadji, der dann bleibend beibehalten wird, sodass man denselben, wenn man sie rufen will, der muselmännischen Sitte gemäss dem Eigennamen voransetzt.Bei den Griechen und Türken herrscht der Aberglauben, dass man bei Vollendung eines Hauses eine Aloe vom Dache herabhängen oder einen blauen Stein einsetzen müsse, um sich vor dem bösen Blick zu verwahren. Die Griechen halten weiter an dem sonderbaren Aberglauben fest, dass sie um Neujahr ein Brot mit einem Goldstück backen und es in so viele Stücke theilen, als es Familienglieder gibt. Derjenige, welcher das Goldstück findet, ist dann der Glückliche. Man nennt dieses Brot Vasilobita (Basilbrot). Bei Besuchen pflegt man bei Türken wie bei Griechen nach morgenländischer Sitte den Dolce mit Melonen-, Weichsel-, Quitten-, Aprikosen-, Mosfila (Crataegus-Früchte) und Muscetta-Saft (eine Art Theerose) zu servieren. Mit dem Dolce (türkisch Tatli, griechisch Glikon) werden gewöhnlich auch hübsche, aus Silberdraht verfertigte Körbchen gebracht, um die häufig durchbrochenen Löffelchen hineinzulegen, und zwar auf der einen Seite die reinen, auf der anderen die gebrauchten. Dann kommt der Kaffee, das Zeichen der Entlassung, namentlich bei den Türken; langweilt sich der Hausherr bei dem Besuch, so lässt er einen zweiten Kaffee bringen, ist ihm umgekehrt der Besuch lieb, so lässt er den Kaffee möglichst spät servieren. Nach dem Kaffee werden in der Regel Cigaretten angeboten und zugleich von einem Diener messingene Tellerchen auf die Asche herumgereicht. Bei den Griechen herrscht die eigenthümliche Sitte, dass man es für einen besonderen Höflichkeitsact ansieht, wenn man dem Gaste einen Stuhl vor die Füsse stellt, die er dann auf die unteren Querstäbe gibt, damit er nicht genöthigt sei, sie auf dem kalten Marmorboden zu halten."

Ludwig Salvator, der 1847 im Palazzo Pitti zu Florenz geborene Sohn des letzten regierenden Großherzogs der toskanischen Nebenlinie des Hauses Habsburg, konnte sich nie so recht für den Staatsdienst erwärmen. Er zeigte Talent für Sprachen -vierzehn Idiome einschließlich Catalan und Arabisch soll er beherrscht haben. Sein besonderes Interesse galt der Seemannschaft sowie naturwissenschaftlichen Disziplinen und der Schriftstellerei. Als er sich 1870 von allen offiziellen Verpflichtungen zurückzog, fand sein Entschluß in der Familie ein geteiltes Echo. Für einige war er von nun an ein Gescheiterter, andere begleiteten seinen ungewöhnlichen Lebensweg mit Sympathie und sprachen liebevoll von Ludwig Salvator als "unserem Hofweisen". Mit seiner Dampfyacht "Nixe" durchkreuzte er bis in das Jahr 1913 das Mittelmeer. Das Schiff war ihm "der einzige Ort, an dem ich mich wie zu Hause fühle, eine von ewiger Jugend umgebene Heimstätte, denn auf unserem Globus bleibt nur die See ewig jung". Jede Reise inspirierte ihn zur Niederschrift seiner Beobachtungen, wobei ihm wissenschaftlich anspruchsvolle Schilderungen gelangen, die, von ihm selbst illustriert und in fürstlicher Ausstattung herausgebracht, einen beträchtlichen kulturhistorischen Rang besitzen. "Levkosia. Die Hauptstadt von Cypern", woraus die obigen Auszüge entnommen wurden, erschien 1873 als Privatdruck ohne Angabe des Verfassers in einer kleinen Auflage im Druck- und Verlagshaus Heinrich Mercy in Prag.





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