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Reiseführer Nordzypern

Mehmet Kiamil Pascha (1832-1913)

Unter den osmanischen Grabdenkmälern im Vorhof der Arabahmet-Moschee (Lefkosa) fällt ein antiker Säulenstumpf ins Auge, der unterhalb einer in alttürkischen Lettern gemeißelten Inschrift auch einen Text in englischer Sprache trägt. Er lautet übersetzt:

Seine Hoheit Kiamil Pascha,
Sohn von Hauptmann Salih Aga aus Pyroi,
geboren in Nicosia 1832,
gestorben in Nicosia 1913.
Finanzsekretär,
Landrat von Larnaca,
Direktor der Evkaf,
vier Mal Großwesir des Osmanischen Reiches.
Ein große Türke und
ein großartiger Mensch.

Grab des Mehmet Kiamil PaschaDie Säule mit der ungewöhnlichen bilingualen Inschrift ließ Sir Ronald Storrs, 1926-32 Londons Inselstatthalter, zum Gedenken an den großen Zyprer errichten, der den dramatischen Schlussakt des Osmanischen Reiches an verantwortlicher Stelle begleitet hatte und hier in Nicosia seine Tage beschloss.
Mehmet Kiamil Pascha war gerade sechzehn Jahre alt, als ihn seine Begabung für Sprachen aus den vertrauten Vierteln Alt-Nicosias an die Residenz des osmanischen Gouverneurs Abbas Pascha in Kairo führte. Hier diente er als Übersetzer und Dolmetscher und vertiefte sich in die Regeln und Methoden der Verwaltung und Diplomatie. Seine ersten Ämter bekleidete er auf seiner Heimatinsel Zypern. Er leitete hier die religiöse Stiftung "Evkaf" (auf Vorschlag des damaligen osmanischen Großwesirs, des Zyprers Kibrisli Mehmet Emin Pascha), verwaltete die Stadt Larnaca und vertrat den Inselgouverneur. Später stand er der osmanischen Provinz Syrien vor und war Gouverneur u.a. von Beirut und Damaskus, Jerusalem und Kosovo.

Er war kein Karrierist, aber ein glühender Patriot, der hart und diszipliniert für sein Land arbeitete, dabei gleichmütig hinnahm, dass er kaum öffentlichen Dank erntete. Nach einigen Ministerposten übernahm Kiamil Pascha 1884 für sechs Jahre das Amt des Großwesirs (Premierministers) des Osmanischen Reiches, ein zweites Mal dann 1895. Im Streit mit Sultan Abdulhamit verlor er das Amt nach nur wenigen Monaten. Die jung-türkische Revolution von 1908 brachte ihn, der wie Kemal Atatürk das Treiben der Aufrührer mit Skepsis verfolgte, erneut an die Spitze des Staates - für kurze Zeit, dann waren die Differenzen mit der Partei der Jungtürken unüberbrückbar. Noch ein viertes Mal, im Oktober 1912, als gerade die Balkanmächte über das am Boden liegende Osmanenreich herfielen, übernahm Kiamil Pascha den Posten des Regierungschefs, bis er im Januar 1913 durch den blutigen Putsch des Anführers der Jungtürken, Enver Pascha, gestürzt wurde. Er verließ Istanbul.
Sein langjähriger Freund, der Engländer Harry C. Luke, berichtet in seinem Zypernklassiker Cyprus - a portrait and an appreciation über die kurze Zeit, die dem entmachteten, über achtzigjährigen Staatsmann noch blieb:

"Da er nach diesem blutigen Coup nicht in der Türkei bleiben konnte, lud ihn sein Freund Lord Kitchener nach Kairo ein. Nach drei Monaten in Ägypten entschied er sich aber, nach Zypern zu gehen und dort auf eine günstige Wendung des Schicksals zu warten - so wie er schon oft in seinem bewegten Leben geduldig gewartet hatte (...) Kiamil Pascha kam mit nur zwei Bediensteten, seinem Kammerdiener und einem schwarzen Eunuchen, auf die Insel. Er mietete das Haus neben meinem (...) Noch im November des gleichen Jahres starb er an Herzversagen, während er gerade seine Morgenkorrespondenz erledigte. Er wurde am gleichen Nachmittag von unserem gemeinsamen Freund, Taib Effendi, Imam der Arabahmet-Moschee, im dortigen Hofe beigesetzt.
Wahrhaft türkisch in seinen Kontrasten, den Auf- und Abschwüngen, war sein Leben verlaufen; und wahrhaft türkisch verlief seine Beerdigung. Nach einer Andacht in der großen Moschee wurde der Sarg durch die engen Straßen der umwallten Stadt, unter den auskragenden Erkern hindurch, zu seinem letzten Ruheplatz getragen, gefolgt von der Prominenz und vielen Namenlosen der Insel. Der Hochkommissar, die Spitzen der britischen Administration und die muslimischen Würdenträger waren darunter und dann drängten und schoben die Volksmassen nach, aus Neugier oder weil sie hofften, für einen Moment oder zwei, den Sarg mittragen zu können.
Als sich der Zug mit seiner schwankenden Last der Arabahmet-Moschee näherte, schloss sich ein Blumenverkäufer der Menschenmenge an. Er trug die weiten, weißen Kniehosen der türkischen Bauern Zyperns. Seine bloßen Füße steckten in Pantoffeln. Er stellte den Korb mit Veilchen beiseite, die er im Basar verkaufen wollte und schob seine Schulter unter den Sarg. Er war der Neffe des Großwesirs, der Sohn seiner Schwester. Er zog Blumen und baute Gemüse an im Nachbardorf Defterá und war an diesem Nachmittag in die Stadt gekommen, wo er zufällig dem Trauerzug begegnete, ohne von seines Onkels Tod zu wissen. Als er erfuhr, wer zu Grabe getragen wurde, nahm er wie selbstverständlich seinen Platz ein und niemand empfand das als sonderbar.
Obwohl das Osmanische Reich eine Autokratie war, wies es in mancher Hinsicht außergewöhnliche demokratische Züge auf. Es konnte eine Person mit Rang und Namen auszeichnen, aber nicht zwangsläufig auch seine Nachkommen. Ein armer Türke oder einer von niederer Geburt konnte Wesir werden - ebenso leicht wie ein Mann aus besseren Istanbuler Kreisen. Ein Türke war nicht deshalb kein Herr, weil er die Kleidung eines Bauern trug, noch war er schon deshalb eine hochrangige Persönlichkeit, weil er es zu einem gewissen Karriereerfolg gebracht hatte . . ."

 


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