Bellapais
Ein Meisterwerk gotischer Baukunst
Prämonstratenser-Ordensleute waren einst die Herren der Abtei. Ihr zwischen 1230 und 1340 errichtetes Gebäudeensemble wird von Betrachtern einhellig als ein Meisterwerk gotischer Baukunst gerühmt, das in Zypern und weit darüber hinaus nicht seinesgleichen habe. Über die Ankunft der ersten Prämonstratenser existieren keine zuverlässigen Quellen. Wohl gilt als sicher, dass sie aus dem heiligen Land kamen, wo sie die Klöster St. Habakuk bei Jaffa und St. Samuel nahe Jerusalem gegründet hatten. Schon nach wenigen Jahrzehnten mußte der Orden diese Klöster unter dem militärischen Druck des Mamluken-Sultans Saladin wieder aufgeben (1187). Die Ordensleute setzten sich in die (noch) sichere Küstenstadt Akkon ab. Ungebrochen betrieben sie hier die Neugründung eines gemeinsamen Klosters, das ihrer Präsenz im heiligen Land den notwendigen Rückhalt geben sollte. Wahrscheinlich wechselten im Zeitraum 1206/11 die ersten Ordensleute von hier nach Zypern. Sie bezogen auf dem damals "Episcopia" genannten Gelände der heutigen Abtei zunächst ein verlassenes griechisch-orthodoxes Kloster. Andere sollen ihnen nach einem halben Jahrhundert gefolgt sein. Die letzten noch in Akkon verbliebenen Ordensbrüder werden 1291, nach dem Fall der letzten Christenhochburg im heiligen Land, nach Zypern ausgewichen sein.
Kernstück der Abtei war sein Kreuzgang, der den Kreuzgarten mit den mächtigen vier Zypressen umschließt. Um ihn gruppieren sich alle sakralen und profanen Gemeinschaftsgebäude. Auf der traditionell der Außenwelt zugewandten Westseite sind nur noch Spuren von Grundmauern sichtbar. An den südlichen Kreuzgang grenzen Kirche und Sakristei, im Osten liegen Kapitelsaal und "Mönchssaal" und darüber das Dormitorium (Schlafsaal). An der Nordseite schließlich erhebt sich auf der Klippenkante das vortrefflich erhaltene Refektorium, der Speisesaal. Eine nicht sehr starke Mauer umschloß früher das Kloster. Einzigen Zugang bot die etwas martialisch erscheinende Toranlage, die mit ihren Schießscharten und Pechnasen, dem Wehrgang und Schlitzen für die Schwungruten einer Zugbrücke zwar die charakteristischen Merkmale eines mittelalterlichen Wehrbaus aufweist, einen entschlossenen Angreifer aber kaum abschrecken konnte und wohl auch nicht sollte.
Die Kirche
Wer das Tor durchschritt, stand vor der dreijochigen Vorhalle der Kirche, einem schlicht gebauten, schwer wirkendem Gotteshaus, das nur hier und da Blattwerkkonsolen schmücken, Maßwerkzier sucht man vergebens. Von vier mächtigen Rundpfeilern gestützte Kreuzrippengewölbe überspannen das Hauptschiff, flankiert von niedrigeren, schmalen Seitenschiffen. Spitze Tonnengewölbe überdecken dagegen den südlichen und nördlichen Querschiffarm.
Von letzterem führt eine Tür in die Sakristei, die früher Kultgeräte beherbergte und den Geistlichen als Umkleideraum diente. Den ursprünglichen Raumeindruck des frühgotischen Kirchenschiffs beeinträchtigt eine Ikonostasis -aufgestellt von der griechisch-orthodoxen Gemeinde des Dorfes, nachdem ihr die osmanischen Machthaber die Kirche übergeben hatten. Aus jener Zeit stammt auch die spitzgiebelig auslaufende Glockenwand auf dem Dach des Mittelschiffs mit nur noch einer der ursprünglich vier Glocken im Gestühl. Die orthodoxen Gläubigen weihten das vormals lateinische Gotteshaus der Panaghia tis Asprophorousa, der "Muttergottes im weißen Gewand" - wohl in Anspielung auf die weißen Kutten der Prämonstratenser. "Abbaye de la Paix" (Abtei des Friedens) war dagegen die "amtliche" Ortsbezeichnung zur Zeit der francophonen Lusignankönige, woraus deren Nachfolger, die Venezianer, nicht zu Unrecht "Bellapaese" machten - "schöner Ort". Der Volksmund wandelte es um in Bellapais.
Reste von Wandmalereien an der Klosterkirche
Die Gemeinschaft der zyprischen Prämonstratenser stand von Anbeginn unter dem Schutz des Königshauses Lusignan, das auch beträchtliche Finanzmittel für den Ausbau der Abtei zur Verfügung stellte. So war es unter Henri I., während dessen Herrschaft 1230 der Grundstein zum Bau der Kirche gelegt wurde, besonders großzügig zeigte sich Hugues III. (reg. 1267-1284). In seine Zeit fällt nicht nur die Errichtung des Ostflügels, er stattete überdies den Abt mit selten verliehenen Privilegien aus. So durfte er während der Messe die Bischofsmitra tragen und wenn er über Land ritt, führte er ein Schwert am Gürtel und goldene Sporen zierten seine Reitstiefel, "...come fanno gli altri cavallieri et feudatorii" ("wie es die anderen Ritter und Feudalherren machten"), so Stefano Lusignano, der Hofchronist des Hauses Lusignan. Die Abtei war wohlhabend, ihr Einfluß war beträchtlich. Es gab Neider, Konflikte mit der Kirchenhierarchie blieben nicht aus. Sie geriet in den Strudel kriegerischer Auseinandersetzungen, wurde geplündert. Dann verbreiteten sich Gerüchte, die von Verfehlungen und dem Niedergang der Disziplin der Bruderschaft wussten. Untersuchungen brachten Einzelheiten an den Tag. So hieß es in einem Bericht aus dem Jahre 1562, die Brüder seien mittellos, einige hätten geheiratet und Besitz der Abtei für ihre Familien an sich gebracht, Liturgien würden nicht mehr abgehalten, Bewohner des benachbarten Dorfes benutzten die Bauten als Steinbruch. . .
Nach der osmanischen Eroberung Zyperns fiel die unterdes malerisch überwucherte Abtei in einen Dornröschenschlaf. Englische Okkupationstruppen sorgten 1878 für ein unsanftes Erwachen, als sie sich im Refektorium einquartierten. Nach diesem martialischen Intermezzo gab die englische Administration grünes Licht für eine sorgsame Restaurierung der Abteiruinen.
Kreuzgang und Refektorium
Wo das Klostergelände an das Restaurant "Kybele" grenzt, also im Westen der Anlage, sind nur noch die Fundamente des Cellariums, des Wirtschaftsflügels und Wohnbereichs der Konversen (Laienbrüder), auszumachen. Mannshohe Mauerreste auf der nördlichen Hangkante markieren die Außenmauern der Klosterküche. Eine kurze Treppe führt aus dem Küchentrakt in den Abteikeller unter dem Refektorium. Hier verwahrte der Kellermeister die reichhaltigen Vorräte für das leibliche Wohl der Prämonstratenser-Ordensleute.
Gotische Kunst auch im Keller unter dem Refektorium
Von den traurigen Überresten einstiger Maßwerkpracht gerahmte Arkadenfelder lassen den Blick über den sonnenbeschienenen Kreuzgarten hinweg in die schattigen Galerien des Kreuzganges schweifen. Dieser formenreich gestaltete Bauteil diente den Ordensleuten als einfacher Verbindungsweg zwischen den Räumlichkeiten , doch war das harmonische Geviert überwölbter Gänge auch ein Ort der Einkehr, den feierliche Prozessionen durchschritten, der dem Ordensmann Raum für die stille Selbst- und Gottesbegegnung gewährte. Plastisch sich aufschwingende Gratrippen formen herrliche Kreuzgewölbe, die sich auf achtzehn lichte Arkadenbögen stützen, welche eine gleichzeitige Zusammenschau von Gang und Garten, Licht und Schatten erlauben. So fügen sich Architektur und Natur zu einer Stille und Frieden ausstrahlenden harmonischen Einheit.
Wappen zieren den Eingang zum Refektorium
Durrell beschrieb diesen Teil der Abtei als eine "Studie in Kontrasten - die ernste, kontemplative Ruhe der Gotik, allenthalben unterbrochen von der mediterranen Üppigkeit gelber Früchte und schimmernder grüner Blätter wie Schweigen von Musik". Wie phantasiereich die Baumeister der Abtei die Arkadenbögen gestalteten, lässt das Bogenfeld über den Sarkophagen im nördlichen Gang erahnen. Hier sind noch Reste des ursprünglichen Maßwerks erhalten, geometrische Figuren wie Kreise, Pässe, Dreiblätter, Vierblätter etc., die das Bogenfeld ornamental gliedern. Die beiden Sarkophage unter dem gartenseitig verdickten Arkadenfeld formen eine ausgefallene Brunnenanlage, die aus einer längst verschwundenen Wasserleitung gespeist wurde.
Durch sechs verschließbare Löcher im oberen Sarkophag floss das Wasser in den unteren, in dem sich die Ordensleute die Hände wuschen, bevor sie das Refektorium, den Speisesaal, betraten. Schwalben jagen mit schrillen Rufen zu ihren Nestern an Konsolen und Rippen und Gurtbögen, die sich zu sechs Kreuzgewölben auffächern - elfeinhalb Meter über dem Boden. Sie schwirren wieder hinaus durch weit geöffnete Fenster, stürzen sich im Steilflug den Küstenhang hinunter, segeln eine elegante Kurve und kehren zurück zu ihren lärmenden Jungen im Refektorium. Vor einem einfachen Podium mit Flügel, davor ein Dutzend Stuhlreihen, verlieren sich die wenigen Besucher im weiträumigen Speisesaal der Ordensleute. Fasziniert von dem hinreißenden Anblick der Küstenebene und der sanften Grün- und Blautöne der Karamanischen See, verharrt mancher von ihnen lange an den Fenstern über dem Hang. Ein anderer Besucher hat über die im Mauerwerk verborgene Treppe die Kanzel erklommen, nicht ahnend, dass er soeben ein kostbares Zeugnis sakraler Architektur des frühen 14. Jahrhunderts betreten hat, eine der wenigen vollständig erhaltenen Refektoriumskanzeln jener Zeit. Sie wird von einer vignettenartigen Hängekonsole gestützt. Eine mit reichem Maßwerk verzierte Balustrade umschließt sie. Von der Kanzel herab las der Lektor der zum Essen versammelten Gemeinschaft der Ordensbrüder aus der Heiligen Schrift und anderen frommen Büchern.
Das Kreuzgewölbe des Refektoriums
Man kann sich ein Mahl an diesem Ort etwa so vorstellen: Laienbrüder und Diener trugen auf. Ihr Platz war nahe der Tür zur Küche. Die Ordensleute saßen an Tischen vor den Längswänden. Den Speisesaal hatten sie durch den Eingang mit dem marmornen Türsturz und den Wappenschildern des Hauses Lusignan betreten. Der Abt war durch die schlichtere östliche Tür eingetreten und hatte am Kopf der Tafel Platz genommen. Während des Essens wurde geschwiegen. Man lauschte dem Lektor. Nach der Mahlzeit zogen die Ordensleute in feierlicher Prozession durch den Kreuzgang zur Kirche, Konversen und andere Hilfskräfte reinigten unterdes das Refektorium.