DAS PORTAL DEUTSCHSPRACHIGER REISEJOURNALISTEN

Vorhang auf für ein Weltkulturerbe:
Die vier Schiffshebewerke des Canal du Centre

Wer sich in die Region nahe La Louvière begibt, stößt auf ein Relikt der „modernen Eisenzeit“. Zwischen Houdeng-Goegnies und Thieu waren einst vier, seit 1992 unter Denkmalschutz stehende Schiffshebewerke unabdingbar, um die Schifffahrt zwischen Sambre und Schelde zu gewährleisten. Dieser Kanal macht einen Teil der auf 264 Kilometer befahrbaren Wasserwege des Hennegaus aus. Auf einigen kommt man auch zu einem der beinahe 100 Schlössern dieser Provinz, so auch zu dem im 18.Jahrhundert erbauten Schloss von Seneffe, in dem heute das Museum der Goldschmiedekunst zuhause ist.

Belgien - Wallonien - Mit dem Rad auf Kanaltour © fdp
Mit dem Rad auf Kanaltour © fdp

Zur Entstehungszeit der Schiffhebewerke hatte man Eisen als neuen Werkstoff für avantgardistisches Bauen entdeckt. Nicht nur im Süden Belgiens, sondern auch an anderen Orten finden sich entsprechende Beispiele: Als Wahrzeichen der 1851 in London aus der Taufe gehobenen ersten Weltausstellung entstand mit vorgefertigten, standardisierten Bauteilen der Crystal Palace aus Glas und Gusseisen. Viel bekannter als dieses „Monument der modernen Eisenzeit“ ist jedoch der 1889 erbaute Eiffelturm in Paris.

Belgien - Wallonien - Schiffshebewerk Nr. 1 am Kanal du Centre © fdp
Schiffshebewerk Nr. 1 am Kanal du Centre © fdp

Kohle und Eisen erforderten schnelle Wege

Im Kontext der Industrialisierung und des „Neuen Bauens mit Eisen“ ist auch die Entstehung der durch Wasserkraft betriebenen Schiffshebewerke des zwischen 1888 und 1916 entstandenen Canal du Centre zu sehen. Er befand sich im 19. Jahrhundert in einer Region, die dank Kohle und Roheisen einen wirtschaftlichen Aufschwung nahm. Diese Zeit ist längst Teil der Geschichtsbücher.

Belgien - Wallonien - Warten vor dem Kabellift von Strépy-Thieu © fdp
Warten vor dem Kabellift von Strépy-Thieu © fdp

Um sich auf die Spur dieses bedeutenden Ortes der belgischen Industriegeschichte zu machen, sollte man auf das Rad steigen und am Kanal entlang radeln. Auf dieser Tour wird überaus deutlich, dass die vier Schiffshebewerke für die Region nicht mehr lebensnotwendig sind, seit das neue Hebewerk von Strépy-Thieu in Betrieb genommen wurde. Dank des modernen Schiffsaufzugs halbiert sich die Fahrzeit gegenüber den alten Hebewerken, und das ist für viele Binnenschiffer angesichts der harten Konkurrenz der Straße für das wirtschaftliche Überleben von großer Bedeutung.

Wie der Canal du Midi in Südfrankreich wurde der Canal du Centre von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und reiht sich dabei in eine Reihe von spektakulären Bauwerken wie den Tower of London, den Kölner Dom oder die Pyramiden von Gizeh ein.

Ausgangspunkt unsere Tour ist das nahe dem Kanal gelegene La Louvière. Gen Norden aus der Stadt herausfahrend erreichen wir den Treidelpfad am Kanal, auf den wir nach rechts einfahren. Verschwunden sind die Menschen und die stämmigen Klepper, die einst die Schiffe über den Kanal zogen. Wenn man Glück hat, schippert ein mit Touristen besetztes Schiff vorbei. Ansonsten scheint der Kanal in einen lang andauernden Schlaf gefallen zu sein.

Das Erbe der Industrialisierung

Was geblieben ist, ist eine Meisterleistung der Ingenieurkunst – eine Leistung, die ohne Hector Genard niemals möglich gewesen wäre. Anstatt den Höhenunterschied von 90 Metern zwischen Mons und Houdeng-Goegnies durch 30 Schleusen zu überwinden, entschied sich der Direktor für Wasserstraßen Genard für den Bau von vier hydraulischen „Schiffsfahrstühlen“.

Belgien - Wallonien - In einen Schneewittchenschlaf gefallen: Der Canal du Centre © fdp
In einen Schneewittchenschlaf gefallen: Der Canal du Centre © fdp

Wenn sie auch nicht die ältesten in Europa sind, so sind diese Hebewerke doch einmalig: Die Hebewerke Houdeng-Goegnies, Houdeng-Aimeries, Bracquegnies und Thieu arbeiteten jahrzehntelang ohne Defekt mit Gewicht und Gegengewicht, um die Schiffe über einen Gesamthöhenunterschied von 66,197 Meter zu transportieren. Man kann sich beim Anblick der „eisernen Riesen“ nur den Worten des ehemaligen Kommunalbeamten von Houdeng-Goegnies Victor Delattre anschließen: „Man ist voller Begeisterung angesichts dieser genialen Ideen, mit absoluter Genauigkeit und ohne Einsatz von Dampfmaschine und Elektrizität unter Anwendung elementarer Grundsätze der Physik diese gigantische Maschinerie zu schaffen.“

Erste Ziel: Schiffshebewerk Nummer 1

Gemächlich geht unsere Tour voran. Stille liegt über dem Kanal. Auch in der Cantine des Italiens wohnen längst keine italienischen Grubenarbeiter mehr in schäbigen Baracken. 2000 von ihnen strömten in den 1940er Jahren Woche für Woche nach Belgien, um unter anderem in den Stahlwerken von La Louvière zu schuften.

Belgien - Wallonien - Radeln entlang des Weltkulturerbes Canal du Centre © fdp
Radeln entlang des Weltkulturerbes Canal du Centre © fdp

Nach kurzer Fahrt taucht das erste Hebewerk mit seinen eisernen Verstrebungen und seinen beiden Wannen, in die die Schiffe einst einfuhren, vor uns auf. Auch hier ist vom einstigen emsigen Treiben nichts zu spüren. Verlassen sind auch die backsteinernen Gebäude hinter dem eigentlichen Hebewerk.

Nachdem wir oberhalb des Hebewerks angekommen sind, sehen wir eine Informationsstele vor uns. Von diesen Infotafeln werden wir im weiteren Tourenverlauf insgesamt 26 finden. Dank einer deutschen Kurzzusammenfassung jeder deutschsprachige Besucher, Wissenswertes zur Geschichte des Kanals, ob über das Maschinenhaus am Hebewerk Nr.3 oder die Rote Brücke und die 100-Meter-Brücke.

Noch sind wir am Anfang unserer etwa 20 Kilometer langen Tour. Verfehlen können wir die Route nicht, zum einen muss man sich nur an den Verlauf des Kanals halten, zum anderen gibt es eine einfache Ausschilderung mit einem grünen Dreick, unter dem zwei grüne Kreise platziert sind.

Wie funktioniert ein hydraulisches Hebewerk

Man muss sich ein solches Hebewerk wie eine Waage mit zwei Schalen vorstellen. Statt der Waagschalen hat ein Hebewerk jedoch zwei wannenförmige Behälter. Diese sind im Falle der Hebewerke am Canal du Centre 45 Meter lang, 5,80 Meter breit und 3,15 Meter tief. Beide Behälter – jeder aufgefüllt etwa 1100 Tonnen schwer – werden durch einen Kolben gestützt und sind durch eine Röhrenleitung miteinander verbunden. Durch Zufuhr von Wasser in den oberen Behälter sinkt dieser und der Untere bewegt sich nach oben. Kolbenpumpen regulieren das Anheben der Tore und die Herstellung einer undurchlässigen Verbindung zwischen Kanalstrecke und Behälter. Das Wasser des Kanals kommt vom Charleroi-Brüssel-Kanal, der wiederum mit Wasser aus der Sambre gespeist wird. Das sogenannte Oberwasser des Kanals liegt 121,15 Meter über dem Meeresspiegel.

Belgien - Wallonien - Hebewerk von Bracquegnies © fdp
Hebewerk von Bracquegnies © fdp

Sobald wir auf die Einmündung des neuen in den alten Kanal stoßen, ist es vorbei mit der Stille. Ein schnittiges Motorboot jagt mit aufheulendem Motor über die Wasserfläche, im Schlepptau ein Wasserskiläufer, dem es einen Heidenspaß bereitet, die Heckwellen zu durchpflügen. Doch so schnell dieser Wasserskiläufer aufgetaucht ist, so schnell ist er auch nach einigen Runden wieder verschwunden. Für eine Zeit radeln wir am Südufer des neuen Kanals entlang, ehe wir auf die andere Seite wechseln.

Belgien - Wallonien - Kehrschleuse Blanc Pain am neuen Canal du Centre © fdp
Kehrschleuse Blanc Pain am neuen Canal du Centre © fdp

Anglerglück am neuen Kanal?

Upps, ist das moderne Kunst oder auch ein Schleusenbauwerk, was da vor uns liegt? Kommen wir näher an dieses Gebilde heran, das wie ein weißer über dem Wasser liegender Brotlaib ausschaut, wird klar, dass es sich um eine Kehrschleuse handelt, die den Wasserzufluss für das Hebewerk Nr. 1 kontrolliert.

Belgien - Wallonien - Ob die Fische wohl beißen? © fdp
Ob die Fische wohl beißen? © fdp

Am Ufer liegen lange Angelruten im Wasser. Dicht an dicht warten einige Männer in der prallen Sonne auf ihr sprichwörtliches Anglerglück. Doch so recht scheinen die Fische nicht zu beißen und es ist eh ein Wunder, dass es in einem träge dahinfließenden Kanal Fischbesatz gibt. Langsam nähern wir uns dem Aquädukt von Sart. Zuvor allerdings müssen wir kurz Halt machen. Ein Schäfer treibt seine Schafe und seine langohrigen, braunen Ziegen auf uns zu. Doch bald ist das Grün am Kanalufer interessanter als zwei daherkommende Radler.

In langsamer Fahrt kommt uns ein Binnenschiff entgegen, das vor einiger Zeit den Kabellift von Strépy-Thieu verlassen hat. Da wir neugierig sind und beim Einschleusen zuschauen wollen, fahren wir gerade zu statt, wie vorgesehen, vom Kanal abzufahren. So stehen wir also am Kabellift und warten mit der „Algarve“ und anderen Schiffen. Geduldig muss man sein, denn nur in Paketen werden die Schiffe und Freizeitboote in die „Wanne“ des Kabellifts gelassen.

Unter den Wartenden ist auch der Kapitän eines in Oudenaarde beheimateten Schiffes, das für mehrtägige Kanaltouren Urlauber an Bord willkommen heißt. Maximal acht Personen haben an Bord des 1924 gebauten Schiffs „De 4 Vaargetijden“ Platz. Räder befindensich auch an Bord und können für Tagesausflüge in Anspruch genommen werden.

Die Zeit wird uns zu lang, sodass wir uns das Spektakel der Fahrstuhl fahrenden Schiffe vom Fuße des Kabellifts anschauen wollen. Dazu müssen wir den Weg am Aquädukt verlassen und eine Schleife zum Unterwasser in Kauf nehmen.

Der Kabellift von Strépy-Thieu

Belgien - Wallonien - Eine markante Landmarke: Der Kabllift von Strépy-Thieu
Eine markante Landmarke: Der Kabllift von Strépy-Thieu

Dieser weithin sichtbare „Kanalriese“, dessen Bau 1982 begann und 2001 beendet wurde, kann mit vier Liften Schiffe heben und senken. Möglich ist dies dank des Einsatzes von Stahltrossen, an denen die „Tröge“ aufgehängt sind. Mit dem oberflächlich 102 Meter hohen und 130 Meter langen Hebewerk ist es möglich, einen Höhenunterschied von etwas mehr als 73 Metern problemlos zu überwinden. Schiffe von bis zu 1350 Tonnen können ihre Fracht über die südbelgischen Wasserwege transportieren.

Die Tröge, in die die Schiffe hineinfahren, haben eine Länge von 118 Metern und eine Höhe von acht Metern. Das Gesamtgewicht beträgt wie das des Gegengewichts jeweils 8000 Tonnen. Die Gesamtlast von 16000 Tonnen müssen die Stahltrossen tragen, die die Tröge mitsamt Schiffen hoch und runter bewegen. Ohne die Motoren im Maschinenraum würden allerdings auch diese Trossen nichts bewirken. 40 Minuten dauert es im Schnitt, um den Höhenunterschied von Strépy-Thieu zu überwinden. Im Oberwasser befinden sich die Schiffe auf dem gleichen Niveau wie auf dem Hebewerk von Houdeng-Goegnies, nämlich auf 121,15 Metern oberhalb des Meeresspiegels. Die unterstromige Kanalstrecke liegt hingegen auf 48 Metern.

Belgien - Wallonien - In riesigen Trögen werden Schiffe von einer auf die andere Kanalebene transportiert © fdp
In riesigen Trögen werden Schiffe von einer auf
die andere Kanalebene transportiert © fdp

Das Schiffshebewerk ist mittels interaktivem Rundgang auch jenseits des Schleusens und Hebens zu erleben. Dieser Rundgang konfrontiert den Besucher außerdem mit einer Reihe von bekannten Belgiern, ob nun Roland de Lassus, Adolph Sax, Baron Empain oder Jacques Brel, die alle für Belgien als „Land der Genies“ stehen. Beim Besuch kann man auch einen Blick in den Maschinenraum des Stahltrossenlifts werfen. Zudem ist es möglich, an Sonntagen ein Schiff zu besteigen und sich heben zu lassen.

Hebewerk Nr. 4 - wir kommen

Vom Kabellift aus radeln wir dann auf das Hebewerk Nr.4 zu, um dann wieder entlang des alten Canal du Centre unsere Tour fortzusetzen. Allerdings ein kleines Hindernis gibt es dann noch zu überwinden, glaubt man einem Hinweis: 19% Steigung!!!

Belgien - Wallonien - Blick auf das Hebewerk Nr.4 © fdp
Blick auf das Hebewerk Nr.4 © fdp

Vom Typ her ist das Hebewerk an dieser Stelle identisch mit dem zu Beginn der Tour. Doch einen Unterschied gibt es: An dieser Stelle findet sich eine steinerne Brücke zwischen Unter- und Oberwasser. Doch die eiserne Strebekonstruktion des Hebewerks und die backsteinernen Maschinenhäusern gleichen sich.

Bei der Kanaltour sehen wir außerdem zahlreiche Brücken wie die Klappbrücke von Thieu und die alte Trambrücke von Strépy, die während einer Streikaktion 1961 von aufgebrachten Arbeitern zerstört wurde. Verschwunden sind auch die Schienenstränge der Überlandstraßenbahn, von denen man nur noch in Thuin im Centre de Découverte du Vicinal einige findet. Zwischen Thuin und Lobbes verkehrt eine Lokalbahn bis heute an bestimmten Tagen. Bei der Brücke von Thieu kann man noch die alte Kaianlage der Kohlebergwerke von Maurage sehen. Nachfolgend passieren wir die Drehbrücke von Bracquegnies, ehe wir am Schiffshebewerk 3 und dem dortigen Maschinenhaus ankommen. In diesem arbeiten zwei hydraulische Schaufelradturbinen, deren Wasser aus dem Oberwasser des Hebewerks Nr. 2 stammt. Die backsteinernen Türme sind die Hülle für zwei Druckspeicher. Neben dem Maschinenhaus steht das moderne Besucherzentrum, in dem es außer einem Selbstbedienungscafé auch einen Radverleih gibt.

Belgien - Wallonien - Am Hebewerk Nr. 2 © fdp
Am Hebewerk Nr. 2 © fdp

Zur letzten Etappe

Wir radeln am Hebewerk Nr.2 vorbei und passieren die Drehbrücke von Houdeng-Aimeries, ehe wir an zwei Brückenpfeilern links und rechts des Kanals vorbeikommen. Dies ist alles, was von der Brücke der 100-Meter übrig geblieben ist. Diese Kanalquerung diente dazu, Steinkohle aus den Gruben von Bois-du-Luc nach Houdeng transportieren zu können. Nachdem die Gruben 1965 geschlossen wurden, trug man die nutzlos gewordene Brücke bis auf die Pfeiler ab. Anschließend erreichen wir dann die Rue Gustave Boël, vor der wir nach rechts hin zum Kanal hin bei Tourbeginn abgebogen sind. (fdp)

Weitere Informationen

Hainaut Toerisme VoG
http://voiesdeau.hainaut.be
u.a. Auskünfte zu den Bootstouren auf dem Kanal und Mieträdern im Besucherzentrum von Bracquegnies direkt am Kanal

Parc des Canaux et Chateaux
Maison du Tourisme
Place Mansart 21-22
7100 La Louvière
http://www.parcdescanauxetchateaux.be
u.a. Verleih von Mieträdern

La Cantine des Italiens
vor den Toren von La Louvière und unweit vom Hebewerk Nr.1
Tel. 0032/64/847832

Schiffskabellift von Strépy-Thieu
Rue Raymond Cordier
7070 Thieu
Tel. 0032/64/671200

Schiffstouren über Belgiens Kanäle
http://www.de4vaargetijden.com/de/index.htm

Tourisme du Hainaut
http://www.hainaut.be

Reiseveranstalter Singlereisen


 

Suchen bei schwarzaufweiss


Das könnte Sie auch interessieren