Große Mauer
(Chang
cheng)
China ist ein Land
der Mauern. Nicht nur die Städte waren von Mauern umschlossen, sondern
auch die Stadtviertel, darin wieder die Quartiere und jeder einzelne
Wohnhof. Nach außen besaßen die Wohnhöfe keine Fenster, alles Leben
konzentrierte sich nach innen, alles Äußere, Fremde wurde, und wird,
meist als Bedrohung angesehen. Die chinesischen Zeichen für Stadt
und für Mauer sind identisch: cheng.
Kein Wunder, daß China auf seine Große Mauer so stolz ist. Korrekt
übersetzt müßte sie "lange Mauer" heißen, und damit ist
das erste Rätsel auch schon gestellt: Wie lang ist die chinesische
Mauer? Niemand weiß es genau.
Die Chinesen nennen sie wan li chang cheng, also 10.000 li lange Mauer, das wären etwa 5000 km. Das ist wahrscheinlich zu wenig, doch wan bedeutet auch "unendlich", was wiederum zuviel wäre. Die meisten Schätzungen liegen bei rund 6800 km, auch ganz schön lang. Aber nicht zu allen Zeiten war die Mauer gleich lang, und es handelt sich auch gar nicht um eine Mauer, sondern um ein System von Mauern, die während ihrer besten Zeit, in der Han-Dynastie und viel später in der Ming-Dynastie, miteinander verbunden waren. Und außerdem kann man die Mauer, entgegen anderslautenden Behauptungen, nicht vom Mond aus sehen, dafür ist sie zu dünn. Die Astronauten haben's zugegeben.
Was ist denn nun mit der
Mauer? Ein Blick in die Geschichte hilft vielleicht. Schon vor 2700
Jahren bauten einzelne Fürstentümer Mauern gegen die Nachbarn, die
der erste Kaiser vor 2200 Jahren wieder abreißen ließ, weil er ein
geeintes Reich erkämpft hatte. Nur die nach Norden, gegen die nomadischen
Reitervölker gerichteten Mauern blieben stehen, wurden, auch später
von der Han-Dynastie, noch verstärkt und miteinander verbunden. Die
erste Mauer.
Später verfiel sie dann, denn das Zentrum des Reichs verlagerte sich
weiter nach Süden, und die Mongolen, gegen die sie ja errichtet worden
war, rissen sie weitgehend ab, als sie im 13. Jh. China eroberten.
Erst die auf die Mongolen folgende Ming-Dynastie (1368-1644) übte
sich wieder im Mauerbau, um die immer noch unruhigen Reitervölker
abzuhalten. Und zu dieser Zeit wurde die Mauer in der bekannten Länge
und der jetzt sichtbaren Form errichtet. Allerdings sind nur ein paar
Kilometer restauriert, weite Strecken sind halb verfallen, andere
vollkommen verschwunden.
Die Mauer paßt sich dem Gelände an und schwankt in der Höhe zwischen drei und acht Metern. An der Basis ist sie etwa sechs bis sieben Meter breit, an der Krone noch vier bis sechs Meter. Dort sitzen Zinnen von außen zwei und innen einem Meter Höhe.
Die Außenwände bestehen
aus gemauerten Bruchsteinen, doch ins Innere der Mauer wurde alles
verfüllt, was gerade vorhanden war: Erdreich, Steine, abgeholzte Bäume
und die Leichen der beim Bau ums Leben gekommenen Arbeiter. Und das
waren eine ganze Menge, denn ob Sommer oder Winter, die Mauer wurde
durch Zwangsarbeit errichtet, Soldaten waren an die Baufront abgeordnet,
Strafgefangene und Bauern wurden zwangsverpflichtet. Als Abschluß
wurde die Krone mit drei bis vier Ziegelsteinschichten befestigt,
die Fugen mit Kalk ausgegossen, damit kein Pflanzenwuchs möglich war,
und ein spezielles Rinnensystem sorgte für den Ablauf des Regenwassers.
So befestigt konnten selbst Reiter sich sehr schnell auf der Mauer
fortbewegen.
Und dafür war sie in der Ming-Dynastie vor allem gedacht. Sie war
keine Grenze, sondern einerseits ein veritables Hindernis im Gelände,
mehr aber noch ein Kommunikationssystem. Denn auf der Mauer bewegten
sich die Reiter wesentlich schneller als im Gelände. Zudem dienten
noch die Türme als Unterkunft für die Wachmannschaften und Lager für
Vorräte und Munition, aber darüber hinaus auch als Signalstationen.
Flaggensignale, Rauchzeichen und Signalfeuer transportierten Botschaften
sofort entlang der Mauer und über weitere Türme zu den Festungen,
die sich im Hinterland befanden.
Am beliebtesten ist das
Mauerstück bei Badaling, etwa 90 km nördlich von Peking, das man per
Bus oder Zug erreichen kann. Hier herrscht ein großer Rummel mit Verkaufsständen
und Fotografierständen aller Art. Ebenfalls recht lebhaft geht es
in Mutianyu etwa 95 km nordöstlich von Peking zu, während es in Simatai,
120 km nordöstlich noch etwas ruhiger ist.
Das Mauerstück bei Badaling ist tgl. von 8-20 Uhr zugänglich. Es kann
dort recht kühl sein, und auf jeden Fall sollte man festes Schuhwerk
tragen, wenn man ein wenig auf dem chinesischen Bollwerk gegen die
Barbaren herumklettern möchte.