Hirsau im Nagoldtal
Eine Stätte großer historischer Bedeutung
Wer heute den kleinen Luftkurort Hirsau im Nagoldtal besucht, kann kaum ermessen, welche politische bzw. kirchengeschichtliche Bedeutung dessen Klöster einst im Mittelalter besaßen (Hirsauer Reform).
Deutschlands
größtes Kloster
Auf einem Plateau über dem Flußlauf der Nagold waren 1082 bis 1091
das größte deutsche Kloster und der größte romanische Kirchenbau Deutschlands
entstanden - im Mittelpunkt eine dreischiffige, fast 100 Meter lange Basilika mit zwei
Westtürmen, die um 1120 fertiggestellt wurden.
Ausgangspunkt
einer "kleinen Massenbewegung"
Hirsau, das in St.Aurelius rechts der Nagold
ein weiteres bedeutendes Benediktiner-Kloster besaß, war damals ein
wichtiger Stützpunkt der päpstlichen Partei im Investiturstreit mit
dem deutschen König und ein Zentrum mönchischer Reformbewegung, inspiriert
vom burgundischen Kloster Cluny in Frankreich. Es war "eine kleine
Massenbewegung", die von den Klöstern im Nordschwarzwald ausging,
und die zu zahlreichen Neugründungen von Klöstern bzw. deren Übernahme
im "Hirsauer Geiste" führte: Der Einflußbereich reichte
von Thüringen bis nach Kärnten und Friaul.
Wahrzeichen
und Zerstörung
Besucherinnen und Besucher erleben heute in Hirsau den geschlossenen Bezirk des Klosters von St. Peter und Paul, dessen
Riesenkirche allerdings von französischen Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg
1692 in Brand gesteckt wurde. Erhalten blieben ihre Umfassungsmauern
und vor allem das Wahrzeichen des Ortes, der 37 Meter hohe sog. Eulenturm
aus rotem Buntsandstein, den ein rätselhafter romanischer Fries schmückt.
Als Ruine zurück blieb auch der gotische Kreuzgang, heute Schauplatz
der Klosterspiele (Juli-August), während die Marienkapelle (1516),
nun evangelische Ortskirche, die Zerstörungen überstand. Gottfried
Ephraim Lessing hatte übrigens noch 1773 den Glasmalereien im zerstörten
Kreuzgang eine Abhandlung gewidmet.
Ein
Schloß für Württembergs Herzöge
Das Kloster St.Peter und Paul wurde 1556 im Zuge der Reformation in
eine Evangelische Klosterschule umgewandelt, ehe im Dreißigjährigen
Krieg noch einmal katholische Mönche in das Schwarzwaldtal zurückkehrten.
Zuvor hatten Württembergs Herzöge im Klosterareal 1586-1592 ein prächtiges
dreiflügeliges Renaissance-Schloß errichten lassen, das heute z.B.
in Form des Ostflügels als romantische Ruine zu sehen ist. Dort stand
bis 1988 jene "Ulme zu Hirsau", der Ludwig Uhland einst ein populäres Gedicht widmete (Klosterführung). Grund für den Schloßbau waren
die Jagdmöglichkeiten in der Umgebung und die nahen Bäder (Bad
Liebenzell, Bad Teinach,
Wildbad).
Die
zweite Zerstörung des Klosters
Nachdem die Franzosen unter General Mélac am
20.September 1692 Kirche, Klosterschule und Schloß geplündert und in Brand gesteckt
hatten, blieben viele brandgeschwärzte Mauern zurück, allerdings nach wie vor hoch
aufragend. Bilder zeigen, daß z.B. die einstige Klosterbasilika selbst als Ruine noch den
Monumentalbau verriet. Die Einheimischen allerdings benutzten das Areal nun als
Steinbruch: So wurde 1803 einem Unternehmen die Eröffnung eines Steinbruches mit der
Begründung untersagt, daß noch genug Steine in St.Peter und Paul bzw. vom Schloß
vorhanden seien. Erst ein Dekret des württembergischen Königs Friedrich machte 1808 dem
Raubbau ein Ende ("das von den schönen Ruinen des Klosters Hirsau nichts abgebrochen
und geändert werden sollte").
Heute steht das gesamte Areal selbstverständlich unter Denkmalschutz.
Die
Gemeinde Hirsau
Die politische Gemeinde Hirsau entstand erst 1830 und
wurde 1975 nach Calw eingemeindet. Hirsau ist heute Luftkurort mit den entsprechenden
Kureinrichtungen, Kurpark, Kurhaus etc.
Der historischen
Bedeutung Hirsaus gerecht wird das 1991 eröffnete Klostermuseum.
Tips
zum Wandern
Von
Hirsau aus lässt sich die Gegend auf schönen Wanderwegen erschließen,
z.B. durch das Nagoldtal über den Wiesenweg entlang der einstigen
"Villencolonie" nach Calw oder über den Weiler Ernstmühl
nach Bad Liebenzell. Den Bruderberg hinan, erreicht man im Wald die
"Bruderhöhle", in der einst ein Eremit gelebt haben soll,
und über das Tälesbachtal zum Lokal "Fuchsklinge" die ehemalige
Trasse der Schwarzwaldbahn samt Tunnel. Sehr idyllisch ist eine Wanderung
durchs Schweinbachtal.