Hirsau und die Hirsauer Reform
Ein Kulturzentrum von fast europäischem Rang
Die
Hirsauer Klöster
Um 830 wurden die Reliquien des Heiligen Aurelius aus Mailand nach
Hirsau überführt, wo bis um das Jahr 1000 das 1. Aureliuskloster bestand.
1049
befahl Papst Leo IX. seinem Neffen, dem Grafen von Calw, St.Aurelius
wieder zu errichten.1065
zogen in das 2. Aureliuskloster zwölf Mönche samt Abt aus Einsiedeln
in der heutigen Schweiz ein.1069
wurde Wilhelm aus St.Emmeram in Regensburg neuer Abt und zum Initiator
der Hirsauer Reform.Der
gewaltige Zulauf, den Hirsau erfuhr, machte die Gründung eines neuen
Klosters links der Nagold notwendig, des Klosters St.Peter und Paul,
damals das größte in Deutschland mit dem größten romanischen Kirchenbau
im Reich.
Die Politik
Abt Wilhelm von Hirsau setzte sich erfolgreich für die Unabhängigkeit
des Klosters ein, das keiner weltlichen Person oder Gewalt unterworfen
sein sollte - eine Grundbedingung für die Hirsauer Reform.
Der
Investiturstreit
Eindeutige Position bezog Hirsau auch im Investiturstreit: Dabei ging
es zwischen Kaiser und Papst darum, daß Papst Gregor VII alle weltlichen
Einflüsse auf kirchliche Würdenträger ausschalten wollte: So sollte
der König nicht mehr das Recht haben, die Bischöfe einzusetzen. Die
Streitmacht kehrte um
Hirsau war Verbündeter der päpstlichen Partei - Abt Wilhelm hatte
auch ein Geschenk des Kaisers, eine oberitalienische Riesenbibel,
nicht umgestimmt. Das Kloster sollte daraufhin von einer Streitmacht
unter Führung des Bischof Wernher von Straßburg zerstört werden. Als
Wernher auf dem Weg in das Schwarzwaldtal in Pforzheim starb, was
man als eine Art Vorsehung betrachtete, wurde der Feldzug aufgegeben."Die
Mißbräuche der Kirche"
Abt Wilhelm zum damaligen Hirsauer Standpunkt: "Durch drei Mißbräuche
hat unsere Kirche in Deutschland schwere Einbuße erlitten; weil man
bei Erhebung von Bischöfen entweder nur auf den Adel der Geburt Gewicht
legte, welcher doch an und für sich gar keinen Wert hat, oder weil
einzig der Geldsack den Ausschlag gab; drittens, weil persönliche
Würdigkeit, auf welche doch alles ankommt, gar nicht berücksichtigt
wurde.""Der
Gang nach Canossa"
Im Investiturstreit trat der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Winter
1077 den Weg über die Alpen an und wartete im Büßergewand vor der
Burg Canossa am Nordhang des Apennin auf eine Botschaft des Papstes,
der schließlich durch den Abt von Cluny die Aufhebung der Exkommunikation
des Kaisers erklären ließ - der berühmte "Gang nach Canossa"
(Heinrich wird später erneut exkommuniziert, der Bürgerkrieg sucht
Deutschland heim).Die
späte Rache
Die Wunden dieses Konflikts heilten lange nicht: Es war ein inzwischen
zum Bischof von Speyer aufgestiegener ehemaliger Hirsauer Mönch, der
1106 das Grab von Heinrich IV im Dom zu Speyer öffnen ließ, um den
Leichnam in ungeweihter Erde zu verscharren. Erst fünf Jahre später
erhielt der Tote ein kirchliches Begräbnis.Das
Wormser Konkordat von 1122 beendete den Investiturstreit zwischen
Kaiser und Papst.
Die
Beziehungen Hirsaus
Bei
einer Visite am Königlichen Hof, vermutlich in Goslar, wollte der
Hirsauer Abt Wilhelm 1070 die Unabhängigkeit des Klosters bestätigt
bekommen.Wilhelm war mit der dort getroffenen Regelung allerdings
nicht einverstanden und erreichte 1075 in Worms endgültige Unabhängigkeit;
der Calwer Graf, der bis dahin auf seinen Rechten beharrt hatte, trat
danach sogar als Mönch ins Hirsauer Kloster ein.Ein
Besuch in Rom
1075 besuchte der Hirsauer Abt in Rom Papst Gregor VII (der früher
Mönch im Hirsauer "Partnerkloster" Cluny gewesen war) und
ließ sich dort noch einmal die Unabhängigkeit des Klosters verbriefen.
Danach wurde das Schwarzwald-Kloster als eine der "vier Säulen
des Papsttums" in Süddeutschland bezeichnet.Pfingsten
mit dem Gegenkönig
1077, auf dem Höhepunkt des Investiturstreits zwischen Kaiser und
Papst, empfing Hirsau an Pfingsten den sog. Gegenkönig Rudolf von
Rheinfelden und bezog damit nochmals eindeutig Partei für die päpstliche
Seite. Ein
Besuch aus Rom
Im selben Jahr, 1077, suchte auch der päpstliche Legat, Abt Bernhard
aus Marseille, Hirsau auf. Berthold
von Zähringen, ebenfalls auf Seiten der Gregorianer, wurde 1078 in
St.Aurelius in Hirsau beigesetzt.Mit
Gebhard wurde ein früherer Hirsauer Mönch Bischof von Konstanz, eine
einflußreiche Position, war dies doch das damals größte deutsche Bistum.
Die
Hirsauer Reform - Eine Massenbewegung
Hirsau
schloß sich im 11.Jahrhundert unter Abt Wilhelm der von dem burgundischen
Benediktiner-Kloster Cluny ausgehenden Reformbewegung an und wurde
somit eines der bedeutendsten deutschen Klöster im Hochmittelalter.Verwirklicht
wurde eine Rückkehr zu den Grundlagen des Mönchtums (strenges Stillschweigen,
feierliche Liturgie, Disziplin, Frömmigkeit, Besitzlosigkeit der Mönche,
Hygiene). Neu im Kloster waren die Laienbrüder, sog. "Bärtlinge",
die vor allem die Handarbeiten verrichten sollten, damit die Mönche
mehr Zeit für die Glaubensarbeit gewannen.Hirsau
war offen für alle Stände und Schichten: Das starre mittelalterliche
Ständesystem galt innerhalb der Klostermauern nicht. Ein zehnter Teil
von den Einkünften des Klosters wurde dem Wohlfahrtswesen, nämlich
Armenhaus und Krankenstation, zur Verfügung gestellt - ein Modell
früher Sozialarbeit.Die
Reform wurde in den "Constitutiones Hirsaugienses" fixiert.Jene
Klosterreform löste eine kleine Massenbewegung aus: Hirsau wurde das
2.Aureliuskloster zu eng, weshalb der Neubau von St.Peter und Paul
begann."Die
aristokratische Abkapselung der Mönche verschwand, eine Massenbewegung,
durchaus vergleichbar mit derjenigen der Kreuzzüge, griff um sich.
Dadurch wurde Hirsaus Name in die breite Öffentlichkeit getragen.
Hunderte und Aberhunderte, die nach Hirsau drängen, um in Askese und
Gebet ihre persönliche Vollendung zu finden, retteten sich gleichsam
wie aus einem schweren Schiffbruch in den Hafen." (Wolfgang Irtenkauf).
Schließlich
mündete die Reformbewegung in zahlreiche Neugründungen und "Übernahmen"
anderer Klöster: Klosterreichenbach im Murgtal 1082, St.Georgen im
Schwarzwald 1084, Reinhardsbrunn bei Erfurt nach 1088, Zwiefalten
auf der Schwäbischen Alb 1089, Fischbachau am Schliersee 1090, , St.Paul
im Kärntener Lavanttal 1091, St.Peter in Rosazzo in Friaul, Alpirsbach
im Schwarzwald 1095, Kloster Berge bei Magdeburg 1099 u.v.a.m.
Die
Hirsauer Bauschule
Welche
Bauwerke zur Hirsauer Bauschule gezählt werden können, hat eine noch
nicht abgeschlossene Diskussion unter den Fachleuten ausgelöst. Charakteristikum
jener Bauschule waren zahlreiche Altäre im Kirchenbau (jeder Priestermönch
mußte täglich eine Privatmesse lesen), vergrößerte Seitenschiffe und
die Säulenform. Insofern gilt Kloster Alpirsbach im Schwarzwald als
"Hirsau en miniature" (1117 war ein Hirsauer Mönch dort
Abt geworden).
Die
Hirsauer Schreibschule
In
der Blütezeit des Klosters unter Abt Wilhelm und im 12.Jahrhundert
genoß die sog. Hirsauer Schreibschule, in der z.T. 60 Mönche mit Buchmalerei
beschäftigt waren, großen Ruf. Die Bibliothek hat leider nicht überlebt:
Leihgaben ans Konstanzer Konzil 1415 kehrten nie zurück, Bücher wurden
in Stuttgart zur Pulverherstellung verwendet und die Rest-Bibliothek
soll in Vorarlberg einem Brand zum Opfer gefallen sein.
Abt
Wilhelm
Wilhelm,
als "Universalgenie" geschildert, ein "asketisch-vergeistigter
Mann mit eingefallenen Backenknochen und lodernd-fanatischen Blick"
(Wolfgang Irtenkauf) verstarb am 5.Juli 1091 in Hirsau. Er ist nie
heiliggesprochen worden und gilt heute als Seliger, d.h., eine Verehrung
im regionalen Rahmen ist erlaubt.(Zitate
aus: Wolfgang Irtenkauf: Hirsau. Geschichte und Kultur. 2.Aufl. Konstanz/Stuttgart
1966).
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