Reiseführer Rom

Faschistische Architektur

Die meisten Besucher Roms wären vermutlich bestürzt, würde man sie darauf hinweisen, dass ihre Wahrnehmung des historischen Erbes der Stadt am Tiber zu großen Teilen bestimmt wird durch die massiven städtebaulichen Eingriffe unter dem faschistischen Regime in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Nicht nur wurden verrottete Wohnquartiere abgerissen – sehr zum Leidwesen ihrer Bewohner, zumeist Angehörigen der Unterschicht, die sich nun zwangsweise mit Ersatzunterkünften irgendwo am Stadtrand abfinden mussten. Es wurden triumphale Sichtachsen angelegt, die den Blick auf geschichtsträchtige Monumente lenken sollten und man befreite antike und neuzeitliche Baudenkmäler von entstellenden Anbauten und machte plumpe Umbauten rückgängig. Programmatisch hatte Mussolini im Dezember 1925 verkündet: „In fünf Jahren muss Rom für alle Menschen der Welt wundervoll dastehen: weiträumig, geordnet und machtvoll, wie ehedem das erste Imperium des Augustus . . . (das Stadtbild sei) . . .zu befreien, von all dem, was es noch belastet . . . was dort in den Jahrhunderten der Dekadenz gewachsen ist, muss verschwinden . . .“ Und: I monumenti millenari devono giganteggiare nella necessaria solitudine, „Die tausendjährigen Monumente müssen sich in ihrem nötigen Freiraum großartig präsentieren“.

Es regierte in jenen Jahren nicht nur die Spitzhacke (mit der sich Mussolini gerne fotografieren ließ), es wurde gebaut in einem Ausmaß wie in keinem anderen Land. Mussolinis Italien stieg zur tonangebenden Architekturnation der Zwischenkriegszeit auf. Landesweit wurde unter Hochdruck ausgeschachtet, gemauert, planiert, Sümpfe trocken gelegt, auf dem so gewonnenen Grund und Boden neue Städte, Dörfer, Bauernhöfe errichtet, wobei die Archäologie nur in Ausnahmefällen Berücksichtigung fand. Bozen / Bolzano in Südtirol ist ein treffliches Beispiel für die Umgestaltung einer ganzen Stadt nach den Vorstellungen der faschistischen Planer, hier noch mit der zusätzlichen Absicht, die österreichische Vergangenheit im Stadtbild auszulöschen. Wenn auch glücklicherweise nicht alle rigorosen Bebauungspläne umgesetzt werden konnten, wird der Stadt „einer der dichtesten Komplexe faschistischer Architektur in Italien“ zugeschrieben.

Rom: Antico Caffe Greco

Bozen: Der Justizpalast mit der Inschrift "Für das italische Imperium mit Tapferkeit, der Justiz und der Hierarchie, mit Zähnen und Klauen"

Rom: Antico Caffe Greco

Bozen: Das sog. Siegesdenkmal von 1928 mit Säulen in Form faschistischer Rutenbündel mit dem unsäglichen Spruch "Hier an den Grenzen der Heimat setze die Zeichen. Von hier aus haben wir die Übrigen (gemeint sind die Südtiroler) durch die Sprache, die Gesetze und die Künste gebildet"


Und auch in den gewaltsam angeeigneten Kolonien – herausragendes Beispiel: Eritrea mit seiner Hauptstadt Asmara – betätigten sich Dutzende italienische Architekten. Allein in Asmara entstanden in den 30er Jahren über vierhundert Bauten im Stil des Rationalismus und Futurismus. Sie sind ganz überwiegend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Diese Fülle an Baudenkmälern veranlasste die UNESCO 2016, Asmara auf die Liste des Weltkulturerbes zu setzen als exceptional example of early modernist urbanism . . . and its application in an African context.

Mussolinis Vorstellungen von zeitgenössischer Architektur und seine wichtigsten Projekte

Nach rigorosen Abrissarbeiten – Experten schätzen die beseitigte Bausubstanz auf 3 Mio. Kubikmeter – verkündete Mussolini: „Das Dritte Rom (womit er das faschistische Rom meinte, nach dem Rom der antiken Kaiser und mittelalterlichen Päpste) soll sich über weitere Hügel hinweg an den Ufern des heiligen Flusses (Tiber) entlang bis zum Tyrrhenischen Meer ausdehnen“. Magistralen sollten entstehen, die antiken Prachtbauten freigelegt und das Gewirr der Gassen und ineinander verschachtelten Wohnquartiere aufgebrochen werden, um Größe und Erhabenheit (grandiosità e monumentalità) der neuen Zeit inszenieren zu können. In der Verbindung von klassischer Antike und faschistischer Gegenwart sah Mussolini Italien auf einem verheißungsvollen Weg – bewundert von den Zeitgenossen im In- und Ausland und kommenden Generationen als unwiderstehliches Vorbild. Für die richtige Einordnung seiner oft ausschweifenden Ideen – immerhin verstand sich Mussolini selbst als ein zweiter Augustus – gewann er Marcello Piacentini, den man in der deutschen Literatur nicht ganz zu Recht als „römischen Albert Speer“ bezeichnet.

Im Italien der 20er und 30er Jahre stand der razionalismo (Rationalismus) hoch im Kurs, die „Abstraktion durch Reduktion von architektonischen Grundelementen“, einer Stilrichtung, die in Norditalien ihre Wurzeln hatte und man frönte dem avantgardistischen futurismo (Futurismus), dessen Geburtsland auch Italien war. Vertreter dieser modernen bis avantgardistischen Architekturschulen waren nicht abgeneigt, dem Gesellschaftsbild und den Herrschaftsmethoden des faschistischen Italien Sympathien entgegenzubringen. Neben dem von den Traditionalisten favorisierten Neoklassizismus erhielten also diverse Varianten der Moderne Raum und Anerkennung, so dass nicht von d e m faschistischen Stil gesprochen werden kann.

Seine Vorstellungen von einer zeitgenössischen Architektur beschrieb Mussolinis Lieblingsarchitekt Piacentini so: „Einfach, sauber, klar, anti-dekorativ, anti-romantisch, anti-pittoresk, logisch, ungesucht, ungekünstelt, konstruktivistisch, präzise, von gespannter Kraft und essentiell“.

Zurück nach Rom in die Zeit der großen Umbrüche. Schon in den 20er Jahren entstand die breite Via del Teatro di Marcello rechts am Kapitol vorbei Richtung Tiber und nach Piacentinis Bebauungsplan wurde zwischen Piazza Venezia und Kolosseum das Quartiere dei Pantani mit schätzungsweise 5.000 Wohnungen abgerissen, um die antiken Kaiserforen wieder freizulegen. Freilich verwandelten sich die Flächen zum Teil in Grünanlagen und vor allem in eine spektakuläre Aufmarschzone für Paraden und theatralische Selbstdarstellungen des Regimes. Via dell`Impero hieß die neue Paradestrecke, heute: Via dei Fori Imperiali. Einen weiteren brutalen Eingriff in die gewachsene Stadtstruktur bedeutete die Niederlegung des mittelalterlichen Stadtviertels Borgo, um Platz zu schaffen für die breite Straße zum Petersplatz, die Via della Conciliazione, (Straße der Versöhnung). Sie erinnert an den Ausgleich zwischen dem Vatikan und dem Königreich Italien 1929 (Lateran-Verträge). Kriegsbedingt konnte dieses Projekt erst in den 1950er Jahren abgeschlossen werden.

Weniger dramatisch, aber nicht weniger aufwändig, gestaltete sich der 1935 abgeschlossene Bau der Città Universitaria im Stadtteil San Lorenzo. Die neue Universitätsstadt entstand aus einer Melange von neoklassizistischen und modernistischen Stilelementen. Ein weiteres Großprojekt im Norden Roms war das Foro Mussolini, heute: Foro Italico, eine gigantische Sportanlage zur Ertüchtigung des „neuen Menschen“ mit allen nur erdenklichen, heute teilweise noch genutzten Sporteinrichtungen, mit faschistischen Ausschmückungen, Mosaiken, überlebensgroßen Athleten-Skulpturen und selbst ein Obelisk aus Carrara-Marmor mit der Aufschrift MUSSOLINI DUX fehlt nicht. Auch die Filmstadt Cinecittà vor den Toren Roms ist Mussolinis Werk. Höhepunkt der Selbstdarstellung des Faschismus und seines theatralisch inszenierten Kults der romanità sollte die E.U.R. werden, die Esposizione Universale di Roma, die Weltausstellung für das Jahr 1942. Der Krieg machte einen Strich durch die Rechnung. Die teilweise noch unfertigen Bauten lagen lange Zeit brach. Erst in den 1950er Jahren wurden sie nach den ursprünglichen Plänen fertiggestellt.

Drei ganz unterschiedliche Bauten aus faschistischer Zeit etwas ausführlicher vorgestellt . . .

. . . wie das Mausoleo Ossario Garibaldino auf dem Gianicolo, nur wenige Schritte von der grandiosen Fontana dell`Acqua Paola entfernt. Es ist eine Gedenkstätte für die bei der Verteidigung der kurzlebigen Römischen Republik 1849 gefallenen Kampfgefährten Garibaldis und für die Opfer von 1870, als die Truppen des Königs Vittorio Emanuele II. aus dem Haus Savoyen in Rom eindrangen und dem Kirchenstaat ein Ende bereiteten. Im Jahr darauf wurde Rom zur Hauptstadt gekürt. Der von Giovanni Jocobucci 1941 entworfene quadratische Bau wird von Arkaden eingefasst. Im Zentrum ließ er einen Altar aus rotem Granit aufstellen, dekoriert mit der Wölfin, der Symbolfigur Roms, und der Inschrift SPQR. Travertinpfeiler an den Ecken tragen die Namen der Plätze und Orte, wo sich wichtige militärischen Entscheidungen zutrugen. An den Fassaden die Jahreszahlen 1849 und 1870, die Widmung „Den für Rom Gefallenen“ und „Roma o Morte“ (Rom oder der Tod). Und in einem Porphyr-Sarg ruht der Held der kurzzeitigen Römischen Republik, Goffredo Mameli, ein Patriot und Poet, der als einer der Getreuen Garibaldis hier mit 21 Jahren starb. Er ist der Autor der italienischen Nationalhymne. Nicht von ungefähr wurde die Gedenkstätte an diesem Ort errichtet, denn hier entschied sich 1849 der Kampf zwischen den Verteidigern der Repubblica Romana und den papsttreuen spanischen und französischen Truppen.

Rom: Antico Caffe Greco

Mausoleo Ossario Garibaldino

Rom: Antico Caffe Greco

Postamt

Geradezu modern mutet dagegen das Postamt am Fuße des Aventin an, dessen Hauptfassade zur Via Marmorata gerichtet ist. Ein paar Schritte die Straße hinunter erreicht man die Porta San Paolo und die gleichfalls antike Cestius-Pyramide, die wie übermächtige Wächter den Cimitero Acattolico behüten.

Die Arbeit der jungen Modernisten Adalberto Libera und Mario de Renzi ging aus einem Wettbewerb als Sieger hervor. 1933 machten sie sich ans Werk. Anlässlich der Einweihung im Oktober 1935 fand Mussolini „Worte des lebhaften Wohlgefallens“, wie die römische Presse berichtete. Aber es gab auch heftige Kritik aus der Architektengarde: die „Monumentalität“ des Gebäudes wurde beklagt, die „modischen Formalismen“ seiner Fassade, die winzigen Fenster, die einen Beobachter an die „Luken eines Kolumbariums“ denken ließen (Urnenhalle eines Krematoriums), auch die Farbgebung im Treppenhaus fand keine Zustimmung. Le Corbusier schloss sich den Kritikern an, als er 1936 Italiens neue Architektur unter die Lupe nahm: Er sah das Gebäude „mit römischem Formalismus beladen“.

Von der Straße führt eine breite Treppenanlage zu dem Dreiflügelbau hinauf. Das weiße, auf einem hohen Postament errichtete und mit Pfeilerkolonnaden ausgestattete Gebäude zeigt sich auf den ersten Blick als monolithischer Block. Während die Rückfront nur durch vier Reihen winzige quadratische Fenster gegliedert wird, bietet die Vorderansicht doch einige Besonderheiten. Auffallend die diagonalen Öffnungen an den Stirnseiten der Gebäudeflügel, hinter denen die öffentlichen Treppenanlagen verlaufen. Übereinander gesetzte Fensterreihen gliedern ähnlich streng wie auf der Rückfront die Seitenfronten. Besonders ins Auge fällt der vorgelagerte, längs gerichtete Baukörper mit seinem an den Kanten abgerundeten Aufsatz aus Glasbausteinen. Er setzt sich deutlich von der starren Geometrie, den kubischen Formen, ab. Unter seinem transparenten Glasdach erstreckt sich die weite, lichte Schalterhalle.

Es kamen bei diesem Bau ganz bewusst traditionelle und moderne Gestaltungsformen und Materialien (Glas, Metall) zur Anwendung – ganz im Sinne des razionalismo, dem sich die Architekten verpflichtet fühlten.

Eindeutig in Richtung Neoklassizismus geht das gigantische Projekt an der Piazza Augusto Imperatore. Mussolinis ausgeprägtes Faible für Kaiser Augustus, dem er sich gleichzusetzen pflegte, war der Auslöser für die völlige Neugestaltung der „Zona Augustea“ mit dem antiken Augustus-Mausoleum im Zentrum und einer neuen Randbebauung. Italiens während der faschistischen Ära gepflegter Kult um das antike Rom, der ricorso arcaico, feierte an diesem Ort einen seiner Höhepunkte. Wolfgang Koeppen entdeckte hier in seinem Reiseessay „Neuer römischer Cicerone“ von 1957 hohe Häuser „im Stil des Nationalsozialismus und der Stalinallee“ und daran angebracht „Tafeln in hysterisch überzogener Schrift“. Werfen wir einen Blick auf die Fassaden an der Nordseite der Piazza, die Koeppen wohl meinte.

Rom: Antico Caffe Greco

Piazza Augusto Imperatore

Rom: Antico Caffe Greco

Piazza Augusto Imperatore

Zwischen Säulenportiken und hellen Travertinfassaden fällt ein monumentales Mosaik ins Auge, das Ende der 1930er Jahre entstand und als Il mito di Roma (Der Mythos von Rom) einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte. In der Mitte, über dem Fenster, die Personifikation des Tiber. Er trägt Romulus und Remus in einem Weidenkörbchen, zu seinen Füßen die Wölfin als Symbolfigur Roms. Links davon sind dargestellt von oben nach unten: die Quellgöttin Juturna, die Jagdgöttin Diana mit Hund und Vesta, die Göttin des heimischen Herdes. Auf der rechten Seite von oben nach unten: Ceres, die Göttin der Landwirtschaft und der Ehe mit einem Getreidebündel im Arm, Vulcanus, der Gott des Feuers und der Schmiede sowie Saturn als Gott des Ackerbaus.

Unter dem Balkon eine langatmige lateinische Inschrift, eingefasst von zwei geflügelten Siegesgöttinnen, die das altrömische Machtsymbol, das Rutenbündel (lat. Fascis) mit dem hineingesteckten Beil, in ihren Händen halten. Klaus Bartels hat in seinem erstmals 2000 herausgegebenen Werk „Roms sprechende Steine, Inschriften aus zwei Jahrtausenden“ dankenswerterweise eine Übersetzung veröffentlicht. Etwas abgewandelt lautet sie so: „Diesen Ort, an dem die Totengeister des Augustus durch die Lüfte schweben, hat der Führer Mussolini, nachdem das Mausoleum des Kaisers dem Dunkel der Jahrhunderte entrissen, die verstreuten Reste des Friedensaltars erneuert und die alten Einengungen beseitigt wurden, mit prächtigen Straßen, Gebäuden und Häusern, wie sie der menschlichen Würde entsprechen, zu schmücken beschlossen. Im Jahre 1940, dem 18. Jahr der Faschistischen Revolution“.

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