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Reiseführer Madrid

Museo Thyssen-Bornemisza

Das zweite Museum von internationalem Rang, das wir auf dem Paseo del Prado vorfinden, ist das direkt dem Prado-Museum gegenüber liegende Thyssen-Bornemisza-Museum. In dieser Pinakothek ist heute die Sammlung der Thyssen-Barone zu sehen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts von dieser deutschen Industriellenfamilie angelegt worden war. Diese Sammlung bestand anfangs vor allem aus mittelalterlicher und antiker Kunst, wurde aber von dem Sohn des ersten Barons, Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, nach und nach um Werke der modernen Kunst erweitert. Der ursprüngliche Ausstellungsort, die Villa Favorita am Ufer des Luganer Sees in der Schweiz, wurde für die ständig wachsende Sammlung jedoch bald zu klein. Aus diesem Grund knüpfte Thyssen über seine Ehefrau Carmen Bornemisza Kontakte zur spanischen Regierung, die 1992 in der Verlagerung eines Großteils der Kollektion nach Madrid gipfelten.

Seitdem ist die Thyssen-Sammlung im Palacio de Villahermosa am Paseo del Prado untergebracht, einem im frühen 18. Jahrhundert im Auftrag der Adelsfamilie Villahermosa erbauten Palast mit rötlicher Backsteinfassade. Zwischenzeitlich Sitz einer Bank wurde der Palast im Jahr 1992 von dem Architekten Rafael Moneo umgebaut, um die Thyssen-Sammlung in diese Räumlichkeiten aufzunehmen. Weitere 72 Werke der insgesamt mehr als 800 Objekte umfassenden Kollektion – Gemälde, Skulpturen, Wandteppiche - sind im Pedralbes-Konvent (Convento de Pedralbes) in Barcelona ausgelagert.

Ähnlich wie zuvor schon das Prado-Museum und das Reina Sofía soll auch das Museo Thyssen-Bornemisza deutlich erweitert werden. Ein zweiter, angrenzender Bau ist dafür im Gespräch, womit sich die Ausstellungsfläche des Museums um 50% auf 8.000 Quadratmeter vergrößern würde.   

Die Kollektion des Thyssen-Bornemisza ist vor allem in jenen Epochen sehr umfangreich, in denen die Sammlungen vieler spanischer Museen deutliche Lücken aufweisen: italienische und holländische Malerei des Mittelalters, deutsche Renaissance, amerikanische Malerei des 20. Jahrhunderts, deutscher Expressionismus, russischer Konstruktivismus. Damit ist das Thyssen-Bornemisza auch eine ideale Fortsetzung zum Prado, dessen Bestände sich lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erstrecken. Mit der Anordnung unterschiedlich spezialisierter Museen entlang des Paseo del Prado entsteht somit auch ein chronologisch und thematisch strukturierter Kunstboulevard.

Innerhalb des Gebäudes ist die mittelalterliche Malerei in der zweiten Etage vorzufinden. Wir konzentrieren uns daher für unseren Rundgang auf die erste Etage und das Erdgeschoss, wo die moderneren Kunstwerke ihren Platz haben.

Mittelalter bis Romantik
Aus dem Bereich der mittelalterlichen Malerei sowie der Malerei der Renaissance, die in den ersten Räumen des Rundgangs untergebracht sind, seien lediglich zwei hochkarätige Werke herausgegriffen.
Das 1488 von Domenico Ghirlandaio erschaffene Frauenporträt „Giovanna Tornabuoni“  ist sicher einer der Höhepunkte der florentinischen Porträtkunst. Die Dargestellte war Angehörige eines florentinischen Patriziergeschlechts, das über eine Heirat mit einem Medici für die Aussöhnung dieser beiden bis dato verfeindeten Familien sorgte.
Ein weiterer Höhepunkt der europäischen Porträtmalerei der Renaissance ist im selben Raum untergebracht, das Porträt Heinrichs VIII. von England von Hans Holbein dem Jüngeren. Das in den Jahren 1534 – 1536 entstandene Gemälde ist nicht nur wegen seiner Sensibilität dem Porträtierten gegenüber berühmt, sondern sicher auch wegen der Person Heinrichs VIII., dem autoritären und machtgierigen Renaissanceherrscher par Excellence.
Neben diesen beiden Beispielen findet der Besucher auch Werke weiterer hochkarätiger Künstler vor: Dürer, Rafael, Tizian, Tintoretto, Caravaggio sowie Künstler des Barock und des Rokoko vom Schlage eines Canaletto oder Tiépolo.

Impressionismus
Nach einem vorherigen Besuch des Prado ist dieses Gebiet der Sammlung mit Sicherheit am interessantesten, denn es schließt sich direkt an die mit Goya und den spanischen Romantikern endende Prado-Kollektion an.
An dieser Stelle sei der impressionistische Meister Claude Monet erwähnt, der mit einem unumstrittenen Meisterwerk seines gesamten künstlerischen Schaffens im Museo Thyssen-Bornemisza vertreten ist. „El deshielo en Vétheuil“ aus dem Jahre 1881, ein Studium des Wechselspiels von Licht und Schatten in der Natur. Das Werk entstand in einer für den Maler sehr schwierigen Zeit, inmitten schwerer Geldprobleme und kurz nach dem Tod seiner Frau. Die durch die Seine verursachte Überschwemmung einer karg-winterlichen Landschaft, Bestandteil einer ganzen Serie von ähnlicher Thematik, wird somit zum Spiegel von Monets seelischer Befindlichkeit.
Im Thyssen-Bornemisza sind noch weitere Objekte impressionistischer Künstler zu betrachten, von Manet über Pissarro und Degas bis Renoir.
Das tragische Genie Vincent van Gogh ist unter anderem mit einem post-impressionistischen Werk seiner provenzalischen Periode zu sehen, das Hafenarbeiter in Arles bei ihrer Entladetätigkeit zeigt („Los descargadores en Arles“).

Expressionismus und Neue Sachlichkeit
Der Schwerpunkt dieser Abteilung liegt vor allem auf dem deutschen Expressionismus. Fast alle seiner Hauptrepräsentanten sind hierbei vertreten: Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Emil Nolde, Max Pechstein, Karl Schmitt-Rottluff.
Beispielhaft sei an dieser Stelle das Selbstporträt Max Beckmanns herausgegriffen, „Selbstporträt mit erhobener Hand“ („Autorretrato con la mano levantada“), entstanden im Jahr 1908. In diesem anspielungsreichen Frühwerk des Künstlers tauchen sowohl Rembrandt mit seinem ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung als auch die ikonenhafte Darstellung Jesu Christi in der byzantinischen Kunst als Hintergrund auf.

Sicher ebenso erwähnenswert ist die Herbstlandschaft, die Emil Nolde dem Betrachter in seinem Gemälde „Sonnenuntergang im Herbst“ („Atardecer en otoño“) zeigt. Nolde arbeitet in diesem Werk mit einer breiten Palette an Licht-. und Farbkontrasten. Dieser Aspekt seines Schaffens wird auch in den Werken deutlich, die der deutsche Maler während seines langjährigen Pazifikaufenthalts produzierte. Ein weiteres Beispiel für die regelrechte chromatische Explosion, die sich in den Gemälden Noldes in jener Epoche vollzog, ist das 1906 entstandene „Gartenweg“ („Sendero de jardín“).

Auch der Umschwung des Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit ist dokumentiert. Aufgrund der direkten Abfolge dieser beiden Stilrichtungen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist es keinesfalls verwunderlich, dass auch hier zunächst dem Expressionismus zugerechnete Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner vertreten sind. Eines der psychologisch dichtesten und anspielungsreichsten Porträts jener Epoche ist Christian Schadts „Porträt des Dr. Haustein“, das einen jüdischen Dermatologen aus Berlin zeigt. Das nahezu fotografisch genaue Porträt des Arztes wird durch einen bedrohlichen Schatten im Hintergrund verdüstert, den die Geliebte Hausteins auf die Szenerie wirft. Schadt zeigte in diesem Werk ein erschreckendes Gespür für die Abgründe des Porträtierten, denn Haustein beging zwei Jahre später Selbstmord.

Moderne: Avantgarde, Surrealismus, abstrakte Kunst
In diesem Bereich sind vor allem Künstler aus Spanien, den USA und Deutschland vertreten. Selbstverständlich huldigt das Museum dem spanischen Beitrag zur künstlerischen Moderne mit einigen Werken von Picasso, Dalí und Miró.
Von Picasso ist mit dem „Harlekin mit Spiegel“ („Arlequín con espejo“) ein Werk aus dem Jahr 1923 vertreten, das inmitten von Konstruktivismus und Surrealismus eine Rückkehr des Künstlers zur klassisch anmutenden Monumentalität markiert. Dabei ist sowohl dieses Gemälde als auch die Figur des Harlekins das Ergebnis der Kooperation Picassos mit Dhiagilev und Cocteau im Rahmen des „Russischen Balletts“.

Von Salvador Dalí, dem zweiten Klassiker der spanischen Moderne, ist mit dem „Flug einer Biene um einen Granatapfel herum“ ein sehr repräsentatives Werk zu sehen. Diese 1944 im amerikanischen Exil entstandene Arbeit steckt voller Fruchtbarkeitssymbole. Der Granatapfel gebiert einen Fisch und einen Tiger, während eine Frau durch den Flug einer Biene erwacht. Die Protagonistin dieses Werks ist ganz eindeutig Dalís Frau und Muse Gala, elementarer Bestandteil des ureigenen, surrealistischen Universums, das der Künstler im Laufe der Jahrzehnte um seine eigene Person herum erschuf.
 
Ein ebenso schwer einzuordnender Künstler ist Marc Chagall, der in seinem Werk stets eine Vielzahl von Strömungen kombinierte. Im Thyssen-Bornemisza kann der Besucher „Das graue Haus“ („La casa gris“) bewundern. Dieses 1917 entstandene Gemälde ist Teil einer Serie, die der Maler über seine russische Geburtsstadt Witebsk anfertigte und in der er eine teilweise apokalyptisch anmutende weil unstabile und verschobene Szenerie darstellt.

Die abstrakte Kunst der USA ist durch Mark Rothko und Jackson Pollock repräsentiert, aber auch Künstler aus dem Bereich der Pop Art wie Roy Liechtenstein finden in der Kollektion ihren Platz. Von letzterem Künstler verfügt das Museum mit „Frau in Badewanne“ („Mujer en el baño“) über einen regelrechten Klassiker, in dem Liechtenstein ganz nach dem Prinzip der Pop Art ein Comic-Bild in einen großformatigen, anderen Kontext einfügt.

Mit Francis Bacon und Lucian Freud präsentiert das Thyssen-Bornemisza auch zwei Vertreter der zeitgenössischen britischen Kunst. Von Bacon ist das berühmte Porträt seines Liebhabers „George Dyer vor einem Spiegel“  zu sehen, das im Jahr 1968 entstand. Hierbei setzen etliche von Bacons Werken einen neuen Akzent in der Porträtmalerei, denn sie suchen keinesfalls nach einer Ähnlichkeit mit dem Porträtierten. Vielmehr nutzt Bacon die von ihm Dargestellten als Vehikel, um die düsteren und von Angst erfüllten Seiten der menschlichen Seele zu erforschen.

Sicher fallen sowohl Umfang als auch künstlerische Bedeutung der Sammlung im Verhältnis zum Prado ab. Aber wie viele Museen auf der Welt können es schon mit einer derart kolossalen Ansammlung an Meisterwerken aufnehmen, die in ihrer Gesamtheit nicht einmal in den noch so geräumigsten Museumskomplex passen? Dafür hat das Museo Thyssen-Bornemisza einen unbestreitbaren didaktischen Wert: es setzt die Schwerpunkte dort, wo der Besucher im Prado nicht fündig wird. Zudem werden von Seiten der Museumsleitung immer wieder spektakuläre Sonderausstellungen organisiert, die ein Millionenpublikum anlocken (wie z.B. bei den Werkschauen zu van Gogh oder Modigliani).

Und noch etwas anderes hat dieses Museum: eine publicityträchtige Stiftungsleiterin. Carmen Bornemisza sorgte in den letzten Jahren immer wieder für Aufsehen, weil sie mit spektakulären Aktionen gegen den geplanten Umbau des Paseo del Prado demonstrierte. Das ursprüngliche Projekt des Bürgermeisters sah mutmaßlich das Fällen mehrerer tausend Bäume entlang dieser Allee vor. Die Baronin kettete sich flugs aus Protest gegen eines dieser von der Motorsäge bedrohten Exemplare und brachte das Projekt der Stadtverwaltung erst so richtig in die Schlagzeilen. Mit Erfolg, denn die Kahlschlagpläne waren vom Tisch und wurden durch ein anderes Projekt ersetzt, das unter anderem die Verbreiterung des Fußgängerwegs vor dem Thyssen-Bornemisza-Museum vorschlägt. Eine Neuerung, die die beengte Lage des Museumseingangs entscheidend verbessern würde, da der Straßenverkehr etwas weiter in den Hintergrund rücken würde.

 

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