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Die Seidenstraße entlang nach Osten (2/2)

 

Die liebenswerten Schlitzohren von Usbekistan

„Das macht 30.000 Soms, immerhin bin ich einen Umweg gefahren!“

Usbekistand - Taxi vor einem Timur-Lenk-Denkmal in Samarkand

Taxi vor einem Timur-Lenk-Denkmal in Samarkand

Rustam lächelt unschuldig, setzt sich aber gleichzeitig im Fahrersitz seines Taxis auf und blickt fordernd um sich – eine Mischung, wie sie wohl nur jemand hinbekommt, der lange Zeit Dienstleistungen angeboten hat. Natürlich ist er nur darum länger gefahren, weil er entgegen seiner Beteuerung keine Ahnung hatte, wo in Samarkand sich das gesuchte Hotel befindet. Die Summe entspricht dem Fünffachen des Normalpreises; zudem spekuliert Rustam darauf, dass sein Beifahrer vielleicht nur einen 50.000-Som-Schein hat. Dann könnte er bedauerlich die Schultern heben, behaupten, dass er leider kein Rückgeld habe und schauen, ob er damit durchkommt. Andererseits ist sein Preis noch immer deutlich günstiger als das, was ein Taxifahrer in Deutschland verlangen würde. Insofern ist es letztlich für beide Seiten ein gutes Geschäft.

Usbekistan - Samarkand - Eingang der zentralen Moschee

Eingang der Zentralen Moschee in Samarkand

Auch wenn Teheran die größte Stadt auf den Seidenstraßen ist, schlägt deren Herz doch eindeutig in den usbekischen Oasenstädten Buchara und Samarkand. Schon deren Namen erzeugen Bilder von prachtvollen Moscheen, wuseligen Basaren und liebenswerten Schlitzohren. Und all das stimmt! Vor allem die Sache mit den liebenswerten Schlitzohren.

Usbekistan - Shah-i Sinda-Gräber mit Mosaiken in Samarkand

Shah-i Sinda-Gräber mit Mosaiken in Samarkand

Die Bauwerke punkten mit ausgeklügelter Statik, mit Rundungen und Kuppeln. Ihnen fehlt das ideenlos Eckige, das in Europa Überhand hat. Zudem sind sie überreich verziert mit kunstvollen, zuweilen geheimnisvoll wirkenden Mosaiken. Vor allem aber weisen sie immer neue Spielarten von Blau auf. Trotz aller unleugbarer Präsenz wirken sie daher seltsam leicht. Vielleicht drücken sie gar eine Sehnsucht nach dem Meer aus – kein Wunder in einem von nur zwei Ländern der Welt, die „double landlocked“ sind, die also weder selbst noch eines ihrer Nachbarländer einen Meerzugang aufweisen (das andere derartige Land ist Liechtenstein).

Bei aller Schwärmerei sollte man nicht vergessen, dass die meisten Bauten von Sklaven errichtet wurden. Nachdem Tamerlan, auch Timur Lenk oder Amir Temur genannt, im Jahr 1370 Alleinherrscher wurde, begann er seine ebenso grausamen wie erfolgreichen Eroberungsfeldzüge. Baumeister, Handwerker und Künstler der unterlegenen Völker wurden nach Samarkand geschafft, wo sie zu Ehren des fremden Herrschers Moscheen und Paläste errichten mussten.

Usbekistand - Tamerlan-Denkmal vor Hotel Uzbekistan in Taschkent

Tamerlan-Denkmal vor dem Hotel Uzbekistan in Taschkent

30 Jahre nach Zusammenbruch der Sowjetunion ist sich Usbekistan der eigenen Stärke bewusst. In den Halbwüsten fördert man Gold und Öl. Der mit spanischer Hochtechnologie ausgestattete Elektrozug „Afrosiyob“ bringt einen in Windeseile in alle größeren Städte des Landes – zum Spottpreis und mit einem Service, angesichts dessen jeder Angestellte der Deutschen Bahn vor Scham im Boden versinken müsste. Usbekistan hat es sogar vollbracht, eine eigene Autoindustrie aufzubauen. Das touristische Potenzial des Ferghana-Tals wird eben erst entdeckt.

Damit steigen die Chancen, dass typisch deutsche Eigenheiten auch zukünftig auf eine asiatisch geprägte Mentalität treffen werden: Während man Dinge in Deutschland gerne direkt anspricht, finden die relevanten Aussagen in Usbekistan zwischen den Zeilen statt. Klang das „ja“ eben begeistert oder zögerlich? Auch wird gerne nachgefragt, ob man gerade glücklich sei: „Are you happy?“ Alles andere als ein „Aber natürlich!“ stieße nicht nur auf komplettes Unverständnis, sondern wäre auch ein Affront gegenüber den Gastgebern. Schließlich wird einem viel geboten (auch wenn man einiges davon gar nicht haben möchte). Da kann man schon mal rückmelden, dass man zufrieden ist. So ungefähr jede halbe Stunde.

Usbekistand - typisches Frühstück

Typisches Frühstück in Usbekistan

Das überall zu hörende „brother“ entspricht indessen nicht dem jovialen amerikanischem „bro“. Entstammt es doch einem völlig anderen Familienbild: Die Familie bietet ebenso wie die Nachbarschaft („mahalla“) Orientierung, setzt jedoch gleichzeitig enge Grenzen. Man nutzt Gelegenheiten und verdient Geld, beziehungsweise heiratet und zieht Kinder groß. Individuelle Lebensentwürfe, die diesen Rahmen sprengen, sind nicht vorgesehen. Auch darum gleitet die usbekische Gastfreundschaft oft in Überfürsorge ab. Über all dem liegt jedoch ein Gottvertrauen, eine Ergebenheit mit Tendenz zum Fatalismus, die, verbunden mit der hiesigen Abneigung gegenüber Eile und Hektik, durchaus geeignet sein kann, das Urlaubsgefühl zu erhöhen.

 

Ein altes Handelsnetz führt in eine multipolare Welt

Hartnäckig halten sich in Europa einige Seidenstraßen-Mythen. Zum Beispiel, dass es die eine Seidenstraße gäbe. Dabei handelte es sich immer schon um ein Geflecht aus Handelswegen. Der Name „Seidenstraße“ wurde erst 1877 vom deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen erstmals verwendet. Auf den Handelsrouten wurde nie nur Seide transportiert, sondern auch Felle, Teppiche, Porzellan, Jade und Rhabarberwurzeln, ein beliebtes Abführmittel. Im Gegenzug erwarb man Pferde, Schmuck, Knoblauch, Weihrauch und Kohlrabi. Ideen und Erfindungen gelangten nach Europa – darunter das Papier und Geldscheine, das Spinnrad, der Kompass und der Steigbügel.

Bergstraße in Kirgistan

Bergstraße in Kirgistan

Vor allem aber sind die Seidenstraßen mitnichten Vergangenheit; sie sind quicklebendig. China baut sie mit unfassbaren Investitionen aus. 2000 Jahre lang, von 500 vor Christus bis zur Entdeckung Amerikas und der Verlagerung des Handels auf die Seewege, bildeten die Seidenstraßen das Rückgrat des weltweiten Handels. Daran will China anknüpfen und setzt inzwischen auf die „Digital Silk Road“, auf Glasfaserkabel, 5G-Abdeckung und mobiles Bezahlen. Das Forschungsprojekt „China Standards 2035“ hat das Ziel, chinesische statt „westliche“ Standards voranzutreiben.

„Früher wart Ihr die Herren der Welt“, sagt Adil mit unasiatischer Offenheit, während vor uns der Yssykköl-See, umrahmt von Viertausendern, wie eine Verheißung aufscheint. Mittlerweile sind wir bereits einige Tage gemeinsam unterwegs. „In Zukunft wird es aber mehr als nur ein Machtzentrum geben. Und irgendwie ist das gerechter als eine Welt nach dem Willen der USA, oder?“

Iran - antiamerikanische Straßenkunst in Teheran

Antiamerikanische Straßenkunst in Teheran, Iran

Dass sich Europa nicht für Zentralasien interessiert, könnte sich bald rächen. Während man hierzulande aufgrund immer neuer Krisen nicht länger imstande zu sein scheint, über den Tellerrand zu blicken, werden anderswo Weichen für die Zukunft gestellt. Man muss die aktuellen Entwicklungen nicht gutheißen. Aber hinschauen sollte man schon: Die Zukunft ganz Zentralasiens hängt an seidenen Pfaden.

 

Thomas Bauer - Neugier auf die Welt

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseführer Istanbul

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Viele warnten mich: Ich würde unterwegs von Lastwagen in Straßengräben gedrängt usw.. Da mich Widerspruch aber stets stärker antreibt als jeder gute Ratschlag, stehe ich jetzt im Garten eines Hotels in ĺzmir und blicke auf meine Errungenschaft herab: ein windschnittiges "Trike" der tschechischen Firma AZUB, das mir zwar nur knapp übers Knie reicht, dafür aber stolze zweieinhalb Meter lang ist und aussieht, als habe mein Vorwärtsdrang Gestalt angenommen.

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