Santa Maria della Pace
Pietro da Cortona, der sich als Maler in „raffaelesker Harmonie und lebhafter Farbgebung“ übte und als Architekt gelegentlich „Michelangelos Monumentalität übernahm“ und gleichzeitig einen Weg vom Barock zurück zu einfacheren, klassischen Linienführungen suchte, dieser in Rom vielbeschäftigte Cortona gestaltete die winzige Piazza vor der Kirche und verlieh dem Gotteshaus seine prächtige Fassade. Dem Hauptportal der Kirche hat er einen weit vorspringenden Pronaos vorgelagert, eine griechischen Tempeln nachempfundene Vorhalle, die von dorischen Doppelsäulen gestützt wird. Dem konvexen (nach außen gewölbten) Schwung der Vorhalle antwortet im oberen Geschoss ein leicht konkaver (nach innen gewölbter) Schwung der Fassade, die von je einer frei stehenden Flankensäule begrenzt wird. Halbsäulen und Pfeiler, ein großes Fenster, darüber ineinander geschachtelte Rund- und Dreiecksgiebel sorgen für eine dynamische Linienführung. Die leicht zurückversetzten, konvex ausschwingenden Flügel der Fassade verbinden die Kirche mit den angrenzenden Palästen – eine Fassadengestaltung, wie sie bewegter kaum vorstellbar ist. Und alles war genauestens geplant: die Enge des Platzes zu überwinden und „ein Monument der Pracht und Herrlichkeit“ zu schaffen, ein barockes Stadttheater („theatrum urbis“) mit der Kirche als Bühne, dem Platz als Zuschauerraum und den angrenzenden Häusern als Logen.
Papst Alexander VII. beauftragte 1656 Pietro da Cortona mit der barocken Umgestaltung der schlichten Renaissance-Fassade und wesentlicher Teile des Kircheninneren. Unter Papst Sixtus IV. war das Gotteshaus begonnen und von seinem Nachfolger Innozenz VIII. in den 1480er Jahren vollendet worden. „Maria des Friedens“ heißt die Kirche zum Gedenken an den Friedensschluss zwischen Rom, Mailand und Neapel. Sie wurde betreut von der Ordensgemeinschaft der Lateranskanoniker. Über deren Konvent und den unmittelbar an die Kirche angrenzenden Kreuzgang berichten wir später.
Zunächst die Kirche. Wer sie betritt, lernt ein überraschendes Nacheinander zweier ganz unterschiedlicher Baukörper kennen, von denen der eine ein Längsrechteck bildet, das von zwei Kreuzgewölben überspannte Langhaus. Der angrenzende zweite Raum hat dagegen die Form eines Oktogons (Achteck) mit einer stattlichen Höhe von 28 m, überdeckt von einer Kuppel. Vorbild war der Außenbau des Pantheons, doch wurde hier auf die Lichtöffnung im Scheitel der Kuppel eine Laterne gesetzt. Als Laterne bezeichnet man die türmchenartige Bekrönung einer Kuppel, die durch ihre Fenster Licht in den Innenraum dringen lässt. Langhaus und Oktogon werden von halbrunden bzw. rechteckigen Seitenkapellen begleitet. Der kleine Glockenturm auf der linken Seite kam erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dazu.
Unter den Dekorationsobjekten sticht besonders das große Gemälde „Der Tempelgang Mariä“ im Oktogon hervor. Angefertigt wurde es von dem Architekten und Maler Baldassarre Tommaso Peruzzi, einem Freund von Raffael, mit dem zusammen er schon die Villa Farnesina mit Fresken ausgestattet hatte. Später wurde er zum Baumeister des Petersdoms ernannt. Von Peruzzi stammt auch das Altarbild „Die Jungfrau Maria mit Heiligen“ in der Capella Ponzetti (im Langhaus die erste Seitenkapelle links). Gegenüber, also auf der rechten Seite des Langhauses, sind über der eigentlich als Grablege des Bankiers Agostino Chigi (mit dem Raffael befreundet war) geplanten Capella Chigi die berühmten „Vier Sibyllen“ von Raffael zu sehen, darüber die von ihm entworfenen, aber von seinen Schülern ausgeführten „Vier Propheten“. Die Fresken entstanden, nachdem sich Raffael „in Michelangelos Sixtinische Kapelle geschlichen hatte“, um sich Anregungen zu holen. Ein begeisterter Betrachter notiert: „ . . . sie sind wunderbar in ihrer Anschaulichkeit, Lichtgebung und Komposition und geben eine klare Vorstellung davon, wie viel Raffael von der Malweise seines Kollegen gelernt hatte“.
Allein der Kreuzgang lohnt den Besuch der barockisierten Kirche aus der Frührenaissance. Er ist eine Stiftung des Kardinals Oliviero Carafa und wurde von Donato Bramante in den Jahren 1500-1504 ausgeführt. Bramante war aus dem unsicheren Mailand 1499 nach Rom geflohen, wo er zunächst ausgiebig die Architektur der römischen Antike studierte, ehe er seinen ersten Bauauftrag in Angriff nahm und das war der zweigeschossige Kreuzgang von Santa Maria della Pace. Er hat ohne jegliche Veränderung die Zeiten überdauert, ein Meisterwerk mit harmonischen Proportionen und klaren architektonischen Formen. Das untere Geschoss weist Pfeilerarkaden auf, die ebenerdig ansetzen. Das war neu, denn traditionell bildeten Säulen auf Brüstungen die Abgrenzung zum Kreuzgarten. Als Dekorelement sind den Pfeilern Pilaster mit ionischen Kapitellen vorgelegt – eine strenge, fast karge Pfeilerordnung, die sich deutlich von der Kolonnade des Obergeschosses unterscheidet, die leicht, fast anmutig wirkt durch die wechselnde Anordnung von Säulen und Pfeilern, die Bramante in unorthodoxer Weise mit verschiedenen Kapitelltypen krönte, korinthisch für die Säulen, komposit (ionisch-korinthische Mischform) für die Pfeiler.
Wer sich nach absolvierter Besichtigungstour nach Ruhe sehnt, ist hier am richtigen Ort. Nur gedämpft dringen die Laute von außen in das Geviert aus dickem Mauerwerk. Eine gut bestückte Cafeteria im Obergeschoss des Kreuzgangs lädt Besucher zu einen lukullischen Break zwischen 10 und 20 Uhr. Auch ein Buchladen mit viel Kunstliteratur wurde eingerichtet und für Veranstaltungen steht ein weiterer Raum zur Verfügung, der aber, wenn frei, von jedermann genutzt werden kann. Von einem seiner Fenster kann man einen aufregenden Blick in die Kirche werfen, genau auf Raffaels Sibyllen. Überdies gibt es im Erdgeschoss wechselnde Gemälde-Ausstellungen und in den Sommermonaten sind Open-Air-Konzerte angesagt.
Piazza di Santa Maria della Pace