Piazza della Minerva
Gian Lorenzo Bernini, Roms großer Barockkünstler, entwarf den obelisktragenden Elefanten. Nach seinem Modell führte Berninis Meisterschüler Ercole Ferrata die Arbeiten aus. Sein Standort gegenüber der planen, fast kargen Kirchenfassade verwandelt die Piazza in ein „bel composto“, eine reizvolle Mischung aus verspielten und strengen Elementen, barocker Ausschmückung, nobler Ausstrahlung.
Hinter der weißen Fassade verbirgt sich die einzige, im gotischen Stil errichtete Kirche in Rom. Ein „ordenspolitisches Kräftemessen“ zwischen den konkurrierenden Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner soll zum Bau der Kirche geführt haben. Um sich auch architektonisch von den Franziskanern zu unterscheiden, die gerade die Kirche Santa Maria in Aracoeli am Kapitol als dreischiffige Säulenbasilika erbauen ließen, wählten die Dominikaner für ihre Ordenskirche Santa Maria sopra Minerva den gotischen Baustil, der in Rom nie Fuß fassen konnte. Piazza und Kirche erhielten ihren Namen von einem antiken Tempel ganz in der Nähe. Er war der römischen Göttin der Weisheit, Minerva, geweiht. Um 1280 begannen die Bauarbeiten, aber erst nach 1450 wurden die gotischen Spitzbögen und Kreuzgewölbe eingezogen, 1453 erhielt die Kirche ihre Renaissancefassade und gegen Ende des Jahrhunderts war der Bau endlich fertiggestellt.
Die einige Jahrzehnte zuvor errichtete florentinische Dominikanerkirche Santa Maria Novella lieferte Anregungen, wurde aber nicht einfach kopiert, vielmehr verband man römische Bauüberlieferungen mit dem neuen gotischen Formenrepertoire. Ungewöhnlich für die römische Bautradition war vor allem das Steingewölbe an Stelle eines offenen Dachs in Holzkonstruktion. Eingewölbt wurde zuletzt in der Antike! Ungewöhnlich auch die weite und hohe Öffnung der spitzbogigen Arkaden zu den Seitenschiffen, die einen hallenartigen Raumcharakter hervorrufen. Im 16. und 17. Jahrhundert kamen mehrere, reich ausgestattete Grabkapellen hinzu. Hervorzuheben ist die Capella Carafa. Sie beherbergt das Familiengrab der Carafa, dessen Wände der Florentiner Maler Filippino Lippi mit Szenen aus dem Leben des Thomas von Aquin schmückte. Sehenswert auch die „musizierenden Engel“, ein Fresko des Melozzo da Forli oder die von Giacomo Cassignola geschaffene Grabstätte für Papst Paul IV., einem verhassten Fanatiker, der die Inquisition antrieb und die römischen Juden in ein Ghetto sperren ließ. Hinter dem Altar, an den Wänden des Presbyteriums, sind die Grabmale zweier Medici-Päpste, Leo X. und Clemens VII., zu besichtigen und unter dem Altar ruht in ihrem Sarg die heilige Katharina von Siena, die Schutzpatronin von Italien, eine große Mystikerin und unermüdliche Mahnerin, die die Päpste dazu bewegen konnte, ihr Exil in Avignon aufzugeben und nach Rom zurückzukehren. Für viele Besucher ein Höhepunkt ist die Begegnung mit Michelangelos Marmorstatue des auferstandenen Christus links vom Altar, am Pfeiler des Presbyteriums. Um den Forderungen nach strengeren sittlichen Normen nach dem Konzil von Trient zu genügen, wurde ihm ein „absurdes Lendentuch aus Bronze appliziert“ empört sich ein Beobachter, aber die Statue habe „viel von der physischen Kraft und psychologischen Tiefe bewahrt, die nur Michelangelo den Abbildern der menschlichen Gestalt einzuflößen vermochte“.
Noch ein kurzer Blick auf die Fassade, auf ihre rechte Seite, wo Marmortafeln von einer Geißel der Römer berichten. Die verheerenden Hochwasser des Tiber versetzten Jahr für Jahr die Bewohner in Angst und Schrecken. Die Tafeln zeigen an, welchen Pegel die Tiberfluten erreichten. Der Platz der Minerva zählte zu den niedrigst gelegenen Vierteln der Stadt und wurde regelmäßig überschwemmt, wenn der Fluss über die Ufer trat, so auch im Frühherbst 1557:
1557, am 15. Tag des September.
Bis hier ist der Tiber gekommen, während Paulus der Vierte
in seinem dritten Jahr höchster Lenker
des Erdkreises war.
(Gemeint ist Paul IV., eigentlich: Gian Pietro Carafa,
er war Papst von 1555 bis 1559)
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand, angrenzend an die Kirche, das Ordenshaus (Convento) der Dominikaner nebst Kreuzgang. Auftraggeber war das damalige Oberhaupt (Ordensgeneral) des Ordens, Vincenzo Giustiniani. 1638/41 wurde der Bau erweitert, um der Congregazione del Sant`Ufficio, der römischen Inquisitionsbehörde, als Verhandlungsort zu dienen.
Namensgeber der Dominikaner war Domenicus de Guzmán, ein Kleriker aus dem spanischen Städtchen Osma in Kastilien-León. Sein Bettelorden nannte sich Ordo Fratrum Praedicatorum (Orden der Predigerbrüder). Das Ordenskürzel ist OP. Zunächst widmeten sich die Ordensbrüder der „Bekehrung durch Überzeugung und Ermahnung“. Sehr bald aber schon – 1216 war der Orden vom Papst bestätigt worden – machten sie Jagd auf „irrende Menschen“. 1231/32 bestellte der Papst erstmals auch für Diözesen im deutschen Sprachraum Dominikaner zu Inquisitoren. In den südeuropäischen Ländern war das schon früher geschehen. Die Ketzerjagd richtete sich nicht nur gegen die Katharer. Alle, die des Abfalls vom rechten Glauben verdächtigt wurden, liefen Gefahr, vor das päpstliche Sondergericht gezerrt und durch Folter zu einem Geständnis gezwungen zu werden. Folter diente der Beweiserbringung, denn ohne Geständnis kein Urteil. Ihr Übereifer und ihre Unbarmherzigkeit brachte den Dominikanern den Spottnamen „domini canes“ (Hunde des Herrn) ein. Diese dunkle Seite ihrer Ordensgeschichte veranlasste die deutschen Dominikaner im Mai 2000, in einer Erklärung die Verstrickung deutscher Dominikaner in die Inquisition und Hexenverfolgung und auch „die Mitwirkung an der römischen Inquisition“ zu bedauern.
Vier Päpste und sechzig Kardinäle entstammten dem Dominikaner-Orden, auch Künstler wie die Renaissance-Maler Fra Angelico und Fra Bartolomeo, der Asket und leidenschaftliche Prediger Girolamo Savonarola, der große Kirchenlehrer Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin, Johann Tetzel, berüchtigter Ablassprediger, und Giordano Bruno, italienischer Philosoph und abtrünniger Dominikaner, der 1600 auf dem Scheiterhaufen endete, was Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 als Unrecht bezeichnete
Die Exzesse der spanischen Inquisition unter ihrem Großinquisitor Tomás de Torquemada, einem Dominikaner, waren vom Vatikan geächtet worden. Doch der Orden der Predigerbrüder sorgte dafür, dass die Inquisition in Rom wieder eingesetzt wurde. Ihr Tribunal richtete sich im Convento ein. Giordano Bruno wurde eines ihrer berühmten Opfer wie auch der spanische Mystiker und Begründer des Quietismus, Miguel de Molinos, und Galileo Galilei, der gezwungen wurde, der kopernikanischen Lehre öffentlich abzuschwören.
1870 wurde das Ordenshaus vom italienischen Staat übernommen und einige Ministerien zogen ein. Ab 2003 ist in seinen Räumen die Senatsbibliothek (Biblioteca del Senato della Repubblica Italiana) mit ihren kostbaren Beständen untergebracht, darunter allein 2.000 Werke aus dem 16. Jahrhundert sowie Landkarten, Manuskripte, Inkunabeln, Monografien zu den Themenbereichen politische Wissenschaften, Geschichte, Rechtswesen.
Durch die Lücke links neben dem Ordenshaus fällt der Blick auf den mächtigen antiken Rundbau des Pantheons, dessen geniale architektonische Gestalt und harmonische Innenausstattung Scharen von Besuchern anlocken.
Der große Palazzo dell`Academia Ecclesiastica gegenüber der Kirche ist eine Einrichtung des Vatikans. In der von Papst Clemens XI. gegründeten Einrichtung werden Priester für den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls ausgebildet.
Mit der Aufschrift „Minerva“ an seiner Fassade wirbt der Palazzo Fonseca aus dem 17. Jahrhundert um gut betuchtes Publikum. Seit dem frühen 19. Jahrhundert existiert das Nobelhotel, das sich auch gern als Grand Hotel de la Minerve darstellt, wo es sich gediegen nächtigen, dinieren oder Feste feiern lässt. So stellte sich im Laufe der Zeit viel Prominenz ein, von denen einige den luxuriösen Suiten ihren Namen liehen wie der französische Schriftsteller Stendhal und Conte di Cavour, ein Kämpfer für die Einheit Italiens und erster Ministerpräsident des neuen Königreichs oder der argentinische General und Revolutionär José de San Martín, der sich für die Unabhängigkeit der südamerikanischen Staaten stark machte, die französische Autorin George Sand, eine Streiterin gegen gesellschaftliche Vorurteile und soziale Missstände oder der amerikanische Prosaist Herman Melville, Schöpfer des „Moby Dick“, der in seinem Reisetagebuch „Journal up the Straits“ unter dem 25. 2.1857 notierte: „...in the square there is an obelisk that rises above an elephant...“ Auch sein Landsmann George W. Bush nächtigte hier, doch keine Suite trägt seinen Namen.