Reiseführer Rom

Aurelianische Mauer

Während das Römische Reich sein Territorium auf drei Kontinenten ständig erweiterte, wähnte man sich in Rom so sicher wie in Abrahams Schoß. Die Front war weit weg, die Metropole blühte und die unruhigen Germanen konnte man sich durch  den Limes, einen etwa 500 km langen Grenzwall zwischen Rhein und Donau, vom Leibe halten. Das änderte sich grundlegend in der von wirtschaftlichen und politischen Krisen heimgesuchten ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Immer öfter überwanden „Barbaren“ aus dem germanischen Hinterland den Limes, zogen über die Alpen und fielen in Norditalien ein. Das Imperium sah sich in die Defensive gedrängt und gab den Limes als Verteidigungslinie auf. Es gelang den Machthabern zwar, die militärische Schlagkraft zurückzugewinnen und die feindlichen Heere abzuwehren, doch in der ungeschützten Hauptstadt wuchs die Furcht vor den unberechenbaren Invasoren. Die lauter werdenden Forderungen nach Verteidigungsmaßnahmen bewogen Kaiser Aurelian schließlich, im Jahre 271 den Befehl zum Bau der nach ihm benannten Mauer zu geben. 

Rom: Aurelianische Mauer

Als Aurelian wie so viele seiner Vorgänger durch Mörderhand starb, war der Festungsring um die Stadt schon fast abgeschlossen. Kaiser Probus beendete den Bau im Jahre 282.  Die „Muri Aureliani“ umschlossen das weit über die alte Servianische Mauer hinausgewachsene Stadtgebiet. Diese erste Stadtmauer Roms aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.  war gut 11 km lang und umfasste 400 ha. Sie bestand aus hellem Tuffgestein, erreichte stellenweise 10 m Höhe und eine Stärke von 4 m. Da die Überzeugung vorherrschte, die Hauptstadt des Imperiums sei ungefährdet, nahm man es mit der Instandhaltung nicht so genau. Die Mauer verfiel.

Ganz anders der Umgang mit der neuen Mauer. Sie entstand aus Ziegelsteinen und besaß einen Gusskern (opus latericium), war ca. 6 m hoch und 3,50 m tief. Schon bald galt sie als unzureichend. Kaiser Maxentius ließ sie unter Verwendung von Ziegelsteinen und kleinen Tuffblöcken verstärken (opus listatum). Noch durchgreifender waren die Umbauten in den Jahren 401/402, die Kaiser Honorius veranlasste oder richtiger: sein Heerführer Stilicho, pikanterweise ein Mann vandalischer Herkunft, der für den unmündigen Honorius die Regierungsgeschäfte führte. Die Höhe von Mauern und Türmen wurde verdoppelt, ein neuer, geschlossener Wehrgang mit Zinnen angelegt, Tore zu regelrechten Festungen ausgebaut. Auf diese Weise aufgerüstet, war eine der gewaltigsten Befestigungsanlagen der Spätantike entstanden, die bis ins 19. Jahrhundert Verteidigungszwecken diente und dank fortdauernder Instandhaltung sind noch heute fast alle Tore und viele, auch längere Mauerabschnitte erhalten.


Rom: Aurelianische Mauer

Die Länge der Aurelianischen Mauer beträgt 18.837 Meter. Ihre Linienführung umschließt ganz bewusst auch weniger bedeutende Hügel und hohe Gebäude, um nur nicht möglichen Angreifern einen taktischen Vorteil zu bieten. Im Süden stößt die Mauer an den Tiber, überspringt den Fluss und verläuft am anderen Ufer weiter, stößt dann bis an den Gianicolo-Hügel vor und von dort zurück an das Tiber-Ufer, umschließt also den gesamten Stadtteil Trastevere. Es wurde unter großem Zeitdruck gearbeitet. Einige Bauten, die „im Wege standen“, konnten deshalb nicht mehr versetzt oder demoliert werden, sie wurden einfach in die Mauer einbezogen wie das Prätorianer-Lager, die Bögen der Aqua Claudia oder die Grabpyramide des Gaius Cestius. 383 eckige Türme im Abstand von 30 m (= 100 römische Fuß) ragten aus der Mauerflucht heraus, 7.020 Zinnen wurden gezählt, 116 Latrinen und 16 von Rundtürmen flankierte Tore. Außerdem wies die Mauer noch eine größere Zahl schmaler Durchlässe auf, sog. „posterulae“.

Bei Spaziergängen durch Roms historisches Zentrum kommen immer wieder Tore und Mauerabschnitte in Sicht, beispielsweise an der Piazza del Popolo, die wohl jeder Rombesucher einmal ansteuern wird. Hier, am Ende des „Corso“, erhebt sich die Porta Flaminia (heute auch: Porta del Popolo). Sie empfing einst die aus dem Norden eintreffenden Reisenden. Am Ende der glamourösen Via Veneto kann man die asymmetrisch gebaute Porta Pinciana bewundern und wer den malerischen Friedhof Cimitero acattolico im Stadtteil Testaccio besucht, wird die Rundtürme der  Porta San Paolo und einen längeren Mauerabschnitt betrachten können.





Hat nun die Aurelianische Mauer, immerhin das Vorbild für viele europäische Stadtbefestigungen, ihren Zweck erfüllt und Angreifer kläglich scheitern lassen? Ein ernsthaftes Hindernis war sie überraschenderweise nicht, denn nur wenige Jahre nach den letzten Verstärkungen unter Kaiser Honorius plünderte Alarich mit den Westgoten Rom im August 410 und 45 Jahre später waren es die Vandalen, die in die Stadt eindrangen. Am 6. Mai 1527 stiegen die wilden Söldnerhaufen des Kaisers Karl V. durch die unvergitterten Fenster einer in die Mauer gebauten Werkstatt und begannen ihr blutiges Handwerk, das als „Sacco di Roma“ in die Geschichte einging. 1798 besetzten französische Revolutionstruppen ohne Mühe die Stadt und am 20. September 1870 öffnete eine Artilleriesalve der unter piemontesischer Führung stehenden Truppen des neuen Königreichs Italien eine Bresche in der Mauer nahe der Porta Pia. Es war der Anfang vom Ende der tausendjährigen weltlichen Herrschaft der Päpste. 





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