Antico Caffè Greco
Es ist immer noch etwas besonderes, dieses Café am Ende der Via dei Condotti, wenn auch große Berühmtheiten hier nicht mehr einkehren. Wie es im „Greco“ damals zuging, als Goethe an einem kleinen Marmortisch an „Iphigenie auf Tauris“ arbeitete und Nikolai Gogol sich mit „Tote Seelen“ abquälte oder Hans Christian Andersen „Die Psyche“ und „Die Schnecke und der Rosenstock“ schrieb, als Henry James und Mark Twain ihre römischen Impressionen festhielten, Schopenhauer vorbei schaute, Baudelaire, Stendhal, Richard Wagner und Franz Liszt, Siegmund Freud und Bayerns König Ludwig I., Giacomo Leopardi und Giorgio de Chirico ihren Stammplatz besetzten oder am Ausschank ihren Caffè tranken und sich dazu einen Cornetto oder Tramezzino schmecken ließen – all das lässt sich unschwer in Erinnerung rufen, haben doch Räume und Einrichtung kaum Veränderungen im Laufe der langen Zeit erfahren und wie schon damals schmücken auch heute an die hundertfünfzig Gemälde und Zeichnungen von Dutzenden Künstlern die in satte Farben getauchten Wände.
Ein Grieche, worauf das Wort „Greco“ hinweist, soll um 1760 das Caffè gegründet haben. Zentral gelegen, wurde es schnell zum Anlaufpunkt für Passanten und zu einer festen Institution für Künstler und Heimatlose. Besonders beliebt war es in der deutschen Künstlerkolonie, die sich hier frei von politischen und gesellschaftlichen Zwängen ausleben konnte. So hockten sie ausdauernd auf den mit rotem Samt bezogenen Bänken, lasen ihre Briefe, die der Einfachheit halber gleich an das „Greco“ adressiert wurden, nippten an unzähligen Tässchen Caffè und palaverten über Kaiser, Volk und Vaterland. Ein besonders aktiver Zirkel waren die „Nazarener“, die sich der Erneuerung der Kunst auf religiöser Grundlage verschrieben hatten. Aus ihren Kreisen stammte die flotte Zeile „Der Kaffee in dem Caffè Grec den Katzenjammer jaget weg“. Zum Kern der Gruppe zählten Friedrich Overbeck, Peter von Cornelius und Philipp Veit, auch Carl Philipp Fohr, der die im „Greco“ versammelten Künstler in einem Gemeinschaftsbild festhielt. 1818 ertrank er beim Baden im Tiber und wurde auf dem Cimitero Acattolico beigesetzt.
Jahrzehnte später, als die deutsche Dominanz im „Greco“ schon Geschichte war, wurde es nochmal hochoffiziell. Am 26. März 1879 debattierte der Reichstag die nicht standesgemäße Lage der deutschen Künstler in Rom, wenn man sie – und das tat das missgünstige Berlin ausgiebig – an dem noblen Status der französischen Künstlerkolonie maß, die mit der Villa Medici über einen repräsentativen Versammlungsort verfügte. Empörte sich der bayerische Abgeordnete der Zentrumspartei, Ferdinand von Miller:
„Der Deutsche aber ist angewiesen auf das schmutzige Café Greco, wo er vielleicht Freunde findet. Dies ist seine Börse, sein Salon, sein Zusammenkunftsplatz. Leider ist auch die schöne patriarchalische Zeit von ehemals jetzt nicht mehr in Rom. Gegenwärtig ist es für die deutsche Nation nicht sehr entsprechend, wenn der deutsche Künstler ein anderes Asyl, ein anderes Heim dort nicht findet, als dieses Café Greco“.
Obwohl an Roms vornehmster Modemeile gelegen, wird das „Greco“ nicht von Touristen überschwemmt. Gewiss, vorne in der Stehbar, wo man schnell ein Tässchen zu sich nimmt oder einen Dolce, kann es eng werden, doch in den hinteren Etablissements machen sie sich rar. In der Sala rossa zum Beispiel, wo das schöne Tempera–Gemälde des Landschaftsmalers Jakob Philipp Hackert hängt, der wie die Malerin Angelica Kauffmann und der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (auch ihre Werke sind hier ausgestellt) zum römischen Freundeskreis Goethes zählte. Oder nehmen wir die legendäre Sala Omnibus, wo die Nazarener tagten und nach ihnen der „Gruppo dei Romanisti“ und „In Arte Libertas“. In diese hinteren Räumlichkeiten ziehen sich – umsorgt von Kellnern im Frack – heute die Einheimischen zurück, wenn sie ungestört plaudern oder Zeitung lesen wollen oder bei einem Campari hochgestimmt ihre Einkäufe besichtigen.
(Via dei Condotti 86)