Der Radweg „Flow Vélo“

Feel the Flow!

Text und Fotos: Judith Weibrecht

In leicht welligem Gelände verläuft die „Flow Vélo“ ab Thiviers in der Dordogne fast 300 Kilometer lang bis auf die Insel d‘Aix im Atlantik.

Frankreich - Flow Velo - Insel d‘Aix

Insel d‘Aix

Allmählich kommt Leben ins Dorf. Die ersten Metallrollos klappern, Gäste nehmen vor der Bar Tabac Platz auf einen ersten Kaffee. „Bonjour!“ sagt Monsieur freundlich und mit leicht englischem Akzent. Tatsächlich, die Besitzer des Hotels de la France et de la Russie sind Engländer. Jedoch, die Dordogne war Liebe auf den ersten Blick, und sie ließen sich in Thiviers nieder. Im Hof trifft eine Gruppe von belgischen Radfahrern die letzten Vorbereitungen. „Die machen die gleiche Route wie Sie!“, erzählt Hotelchef Adrian Finch, wie überhaupt die Flow Vélo dem Örtchen sicher einiges an Radtouristen bescheren wird. Bislang glänzt es durch sein „Maison du Foie gras“. Wen die Gänsestopfleber interessiert, der ist dort richtig. Es glänzt aber auch durch seine Erreichbarkeit per Zug und die ehemalige Bahntrasse nach Saint Pardoux de la Rivière, die heute Radweg ist. Und genau deshalb beginnt hier die Flow Vélo.

Frankreich - Flow Velo - im Schloss La Marthonie

Im Schloss La Marthonie

Allez! Unterm Blätterdach, die Zweige strecken sich einander entgegen und scheinen sich zu umarmen, geht es vorbei an Info-Stelen mit Fotos aus alten Zeiten und still gelegten Bahnhöfen nach St. Jean de Côle, einem der schönsten Dörfer Frankreichs. Sogar autofrei ist es. Das komplette Dorf ist erhalten, keine Neubauten trüben den Blick. Ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert ist Schloss Marthonie. „Einer seiner Türme wird Pfeffermühlenturm genannt, weil das Dach die Mauern nicht berührt,“ erzählt Fremdenführerin Nadine, und dass die Kirche Saint-Jean Baptiste mit ihrem kreisförmigen Grundriss ein romanischer Bau ist. Außen finden sich beeindruckende Steinmetzarbeiten wie Noah mit den Weinreben oder Daniel mit dem Löwen. Gesäumt sind die Gassen von Fachwerkhäusern, an denen sich Rosen hochranken.

Frnkreich - Flow Velo - Kirche Saint-Jean Baptiste, Noah und die Weinreben

Kirche Saint-Jean Baptiste, Noah und die Weinreben

Die Bahntrasse endet in Saint Pardoux de la Rivière. Also rein ins Dorf und zur Metzgerei „Lard du Goût“, wo es außer Rillettes und Pasteten auch eine riesige Auswahl an Käse und Salaten fürs Mittagspicknick gibt. Ein schöner Platz ist auch gleich gefunden: unten am Fluss sind neben dem alten Waschhaus Tische und Bänke installiert. Also raus mit dem Taschenmesser und die Quiche aufgeschnitten. Oh je, vergessen…

Frankreich - Flow Velo - Picknick in Saint Pardoux de la Rivière

Picknick in Saint Pardoux de la Rivière

… Das macht nichts, denn in Nontron treffe ich in der Oberstadt nach einem steilen Anstieg auf die „Coutellerie Nontronnaise“, eine berühmte Messerschmiede. Jeremy Walker, ein Brite, der hier lebt und arbeitet, erzählt, dass er am liebsten Steak-Messer herstellt. Fast alle hier erhältlichen Kunstwerke haben einen runden hölzernen Griff mit der typischen Markierung einer stilisierten Fliege. Seit 1780 gibt es die Firma, und das Design ist immer noch traditionell. Chef Gille Gasson betont: „Alles hier wird immer noch von Hand aus verschiedenen Hölzern gemacht.“

Weiter radele ich auf kleinen Nebenstraßen über die Dörfer ins hübsche Souffrignac, das idyllisch am Flüsschen Bandiat gelegen ist. Abermals folgt ein Bahntrassenradweg, diesmal ein luxuriöser: Er ist glatt asphaltiert, Infotafeln an der Route erklären die ehemalige Bahnstrecke und die Vegetation auf Französisch, still gelegte Bahnhöfe und Picknickplätze locken zur Linken, zur Rechten leuchten kilometerweit Sonnenblumen. So geht es bis zu den türkis leuchtenden Quellen der Touvre.

Framkreich - Flow Velo - Souffrinac

Souffrinac

Die Bremsen ziehen sollte man in Magnac-sur-Touvre, und zwar an der Patisserie/Boulangerie „Tartines & Macarons“. Kein Wunder, dass die Menschen hier Schlange stehen: Macarons, Quiches, belegte Baguettes. Schon beim bloßen Anblick läuft einem das Wasser im Munde zusammen.

Die Flow Vélo führt danach fast immer mehr oder weniger direkt an der Charente entlang, wo man schon mal von Schwänen angefaucht wird, bis in die Comic-Hauptstadt Angoulême. Das 2009 eröffnete Comic-Museum liegt direkt am Weg und zeigt Europas größte Sammlung an Comic-Zeichnungen. Weltweit ist sie sogar nach Ohio die zweitgrößte. In der Stadt sind 35 Zeichenschulen, 260 Autoren haben sich hier angesiedelt und ca. 100 Unternehmen, die sich mit Animationsfilmen und Videospielen beschäftigen. „Wir sind hier im Silicon Valley der Animationen!“, sagt Stadtführerin Christine Olmer. Grund dafür könnte sein, dass es hier bereits im 16. Jahrhundert Papierindustrie gab, im 19. Jahrhundert gar die größte in Europa.

Frankreich - Flow Velo - Angoulême an der Charente, Comic-Hauptstadt

Angoulême an der Charente, Comic-Hauptstadt

Beim Stadtrundgang sind viele Wandmalereien zu bewundern. Sie nehmen mich so gefangen, dass sie das Schmuckstück der St. Peters Kathedrale aus dem 12. Jh. mit ihren vielen Steinmetzarbeiten fast ein wenig in den Hintergrund drängen. Christine erklärt beim Schlendern durch die belebten Gassen der Altstadt, warum es hier einen New-York-Platz gibt: „New York hieß einstmals Nouvelle Angoulême!“

Aus der Stadt hinaus gibt es ein kleines Suchspiel. Zwar ist die Route fast komplett ausgeschildert mit Logo (weiße Schrift auf blauem Grund, das O in Vélo ist ein Rad mit Speichen), Ortsnamen und Kilometrierung. Aber es kann in größeren Orten schwierig werden, wenn das eine oder andere Schild fehlt. In solchen Situationen helfen die GPX-Tracks von der Website. Und ungeplante Entdeckungen mache ich außerdem, denn „Umwege erweitern die Ortskenntnis.“, wusste schon Kurt Tucholsky.

Ich lande am von Ulmen, Pappeln und Eschen gesäumten Charente-Ufer, wo die Vögel um die Wette zwitschern, und beginne Heinrich IV. zu verstehen, der gesagt haben soll: „Es ist das schönste Flüsschen in meinem Königreich.“

Frankreich - Flow Velo

Am Fluss entlang

In Sireuil taucht die erste Cognac-Distillerie auf: Moisans, wo seit 1960 Branntwein hergestellt wird. „Wir sind eine kleine Distillerie“, sagt Laurette, die mich herumführt, und erklärt, dass das bräunliche Getränk aus den resistenten Weinreben der Sorte Uni blanc hergestellt wird. Staunend wandere ich an den zwölf kupfernen Destillen und Fässern aus Eichenholz vorbei. Zwei Prozent pro Jahr verdampfen. Das ist „La part des anges“, der Anteil für die Engel.

 

Engel lieben Cognac

 

Frankreich - Flow Velo - Cognac, Gassen und Häuser

Haus in Cognac

Was für eine schöne Vorstellung! In Cognac selbst dürften viele Engel herumschwirren, denn hier sind die Hersteller alle aufgereiht, und es duftet aromatisch: Hennessy, ursprünglich irisch, Martell, englisch, und Otard, schottisch. Die Niederländer hatten nämlich einst Wein auf Schiffen nach Hause transportiert, und bis dahin war er zu Branntwein geworden. Da dachten sich die anderen: „Das wollen wir auch!“ Doch bevor Cognac zur Bezeichnung eines hochprozentigen Getränks wurde, war es schon im 11. Jahrhundert der Name dieser hübschen Stadt mit ihrem Stadttor und den Altstadtgassen.

Frankreich - Flow Velo - Cognac am Abend

Cognac am Abend

Die Charente war die erste Straße für den Transport von Salz, später Cognac. Sie glitzert in der Abendsonne, Lichtreflexe spiegeln sich im Wasser. In einem Liegestuhl direkt am Wasser nippe ich an einem Rosé mit Blick auf die Brücke Pont Neuf und die Uferpromenade. Sie entlang verlasse ich anderntags den gastlichen Ort nach einer Führung bei Otard im Château Royal de Cognac. Für eine Verkostung ist es morgens um neun eindeutig zu früh. Ich schnuppere nur und bleibe fahrtauglich.

Frankreich - Flow Velo - Cognac, Otard

Führung bei Otard

 

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Frankreich - Via Domitia

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