REIHE UNTERWEGS

Auf der Suche nach der Seele des Apfels

Normandie: das Land des Calvados

Text und Fotos: Beate Schümann

Stolz sind die normannischen Obstbauern. Während die Burgunder, Bordelesen und Elsässer nichts als Wein im Sinn haben, hängt das Herz der Nordfranzosen am Apfel: Sie schwören auf Calvados. Statt mit Rebgärten ist die französische Nordwestregion mit Apfelplantagen übersät, rund neun Millionen Bäume. Alle auf dichten grünen Wiesen - das ist etwas fürs Auge und die Äpfel fallen weicher.

Mont-Saint-Michel mit Benediktinerkloster

Mont-Saint-Michel mit Benediktinerkloster, Wahrzeichen der Normandie

Der Apfel der Erkenntnis fiel am 28. März 1553. Sire de Gouberville, ein Mitglied des normannischen Landadels aus dem Cotentin, berichtet, dass es ihm endlich gelungen sei, aus Äpfeln einen vernünftigen Brannt zu destillieren. Mehr ist über die Anfänge des Calvados nicht überliefert. Vierhundert Jahre später, 1942, erhält der aus dem Kernobst Gebrannte das Gütesiegel „Appellation d'Origine Contrôlée.

Ein Garten „gleich hinter Paris“

Der Name des geadelten Tranks ist so unfranzösisch, dass ihn der normannische Stolz eigentlich gar nicht erlauben dürfte. Der Legende nach ist er spanischer Herkunft. 1588 hatte Philipp II. seine Armada in den Krieg gegen England geschickt. Eines der Schiffe, die „El Salvador“, strandete an der Normandieküste. Der Unglücksort wurde nach ihr benannt. Mit der Zeit wandelte sich der Name in „Calvados“ und dehnte sich auf die ganze Region aus.

typisches Manoir in der Region Calvados/Normandie

Typisches Manoir in der Region Calvados/Normandie

Als die Revolutionäre von 1789 Frankreich in Départements gliederten, wurde der neue Name amtlich. Da das Getränk vorwiegend aus diesem Bezirk kam, stand irgendwann „Calvados“ auf den Flaschenetiketten.

Von Mitte April bis Mitte Mai stehen die Bäume in rosaweißer Blüte, im September hängen sie voll rotbackiger Äpfel, im Oktober liegen sie bergeweise vor den Keltereien. Wohl auch deshalb wird die Normandie „Garten gleich hinter Paris“ genannt. Das milde, feuchte Klima sowie die ton- und kalkhaltigen Böden bieten ideale Voraussetzungen für den Anbau von Äpfeln. Gebrannt wird den ganzen Herbst über. Dann hat man etwas Sonniges gegen den Winter-Blues. Auf der „Route de Cidre“ zwischen Cabourg und Lisieux weist an jedem dritten Hof ein Schild „Cidre e Calvados, Gôuter à la ferme“ darauf hin, dass man hier verkosten und kaufen kann. Die Brennereien bieten vom Saft bis Calvados alle flüssigen Apfelprodukte an.

Normandie / Spirituosengeschäft

Calvados im Angebot: in Honfleur

Das Geheimnis des Geschmacks

Insgesamt 48 Apfel- und einige Birnensorten sind zugelassen. Botaniker unterscheiden den Tafelapfel vom eher kleinen, gerbstoffreichen Ciderapfel, von dem es mehrere hundert Sorten gibt - süße, süßsaure, saure und säuerliche. Am beliebtesten sind Sorten wie Bouteille, Rouge-mulot, Bedan, Domaine und Petite sorte . Die Mischungen bilden die zahlreichen Geschmacksnoten des Calvados, deren Rezepte wie Atommeiler geschützt werden. Kein Hersteller verwendet nur eine Apfelsorte. Vor dem Brand müssen die Äpfel nach herkömmlicher Methode gestampft und mindestens einen Monat lang vergoren werden. Nach wenigen Wochen ist aus dem naturreinen Most 4,5 prozentiger Apfelwein, Cidre, geworden. Die Destillation kann beginnen. Strenge Kriterien sind zu erfüllen. Nur wenn der Apfel im genau definierten Gebiet einer Appellation d'Origine Contrôlée (AOC) gewachsen und gereift ist, darf er später eine der drei Ursprungsbezeichnungen tragen: AOC Calvados, AOC Domfrontais oder AOC Pays d'Auge . Alle Schritte von der Herstellung bis zur Destillation müssen innerhalb des jeweiligen Gebietes erfolgen.

Destille von Château du Breuil in Le Breuil en Auge

Destille von Château du Breuil in Le Breuil en Auge

Während „Calvados Domfrontais“ und „Calvados“ das Ergebnis einer einfachen Destillation sind, wird „Calvados Pays d'Auge“ doppelt gebrannt, die höchste Stufe der Apfelverwertung. „Das ist das Geheimnis eines guten Calvados“, erklärt Veronique Piard bei einer Führung durch das Château de Breuil in Le Breuil en Auge, wo seit 1954 Calvados gebrannt wird. Die Hersteller im Pays d'Auge arbeiten alle nach dem gleichen Prinzip wie die im Cognac.

Destille von Château du Breuil in Le Breuil en Auge

Destille von Château du Breuil von innen

Mit den 22.000 Apfelbäumen rund um das hübsche Schloss im Flamboyant-Stil zählt Château de Breuil zu den größeren Brennereien. „Wir ernten pro Jahr etwa 2.000 Tonnen Äpfel, was rund 250.000 Flaschen Calvados ergibt“, rechnet Veronique vor. Etwa 27 Kilogramm Äpfel müssen sich zu rund 20 Liter Most verflüssigen, um einen Liter Calvados zu gewinnen.

Kellermeister oder Alchimist?

Frisch gebrannter Calvados hat keine Farbe, schmeckt nur nach Früchten und Alkohol. Erst durch die Lagerung in Fässern aus sehr trockenem Eichenholz verdunkelt sich die Farbe karamellartig, reichert er sich mit dem Tannin im Holz an. Je länger er im Fass reift, desto intensiver werden Aroma und Farbe, die von einem Goldton bis zu einem kräftigen Bernsteinton wechseln kann. Durch die oxidierende Wirkung der Luft im Reifekeller nimmt er geschmacklich einen Weinbrand-Charakter mit Apfelaroma an.

Junger Calvados ist herbfruchtig und wird mit dem Alter weicher. Gereifter Calvados bietet Geschmacksnuancen wie Vanille, Mandel, Walnuss oder Haselnuss. Ein sechs Jahre in Eichenfässern gereifter „Apfelcognac“ gehört zur Spitzenklasse. Der Kellermeister ist der Alchimist im Reifekeller: Jeder hat sein eigenes Geheimnis. Oft sind es die kleinen Brennereien, die durch unterschiedliche Fasshölzer und Lagerungsprozesse interessante Apfelbrände hervorbringen. Bei manchen traditionellen Familienunternehmen kann man sogar Fünfzigjährige im Keller finden.

Verkaufsladen Château du Breuil

Verkostung und Verkauf von Calvados im Laden im Château du Breuil in Le Breuil en Auge

Wo liegt das „normannische Loch“?

An den Hafenpromenaden von Deauville oder Honfleur sieht man Normannen mit Baskenmützen lässig vor den Bistros sitzen. Außer einem Espresso steht ein Cognacglas auf den kleinen runden Tischen - garantiert gefüllt mit Calvados. Die Kenner nennen ihren hochprozentigen Apfelgeist liebevoll „calva“, und man spürt, dass sie sich wie Gott in Frankreich fühlen. Manche Feinschmecker-Restaurants kennen hier noch den „ trou normand, das normannische Loch. Er stammt aus Zeiten, als Gesundheitsideologen und Schönheitsideale noch keine schlanke Kost verschrieben. Um dem Magen bei der Verdauung der fettreichen normannischen Küche behilflich zu sein und Platz für den nächsten Gang zu schaffen, floss zwischen den einzelnen Gängen reichlich Calvados, sozusagen als Zwischengang. Heute ist er eher auf ein Calvados Sorbet reduziert.

Cidre-Reklame

Cidre-Reklame einer Bar in Beuvron-en-Auge

Calvados wird ansonsten als Digestif getrunken. Auch in Bars steht er meist auf der Karte. Beim Kochen hat er einen festen Platz, besonders bei den Saucen in Gourmet-Restaurants. Das lässt denn doch darauf schließen, dass nicht der Teufel den Schnaps gemacht hat, sondern wieder einmal die Götter.

 

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