Wo Van Gogh sein Ohr verlor

Im südfranzösischen Arles

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Arles - Innenstadt - Südfrankreich

Wenn Fremdenführerin Martine Brun vom 23. Dezember 1888 erzählt, könnte man meinen, alles wäre erst gestern geschehen. In der Wohngemeinschaft von Vincent van Gogh und Paul Gauguin, so berichtet sie anschaulich und mit betroffenem Gesichtsausdruck, war es zu einem Streit gekommen. „Das war abzusehen, denn beide Maler hatten starke Charaktere. Vincent van Gogh war ständig nervös und Paul Gauguin war äußerst jähzornig. Paul Gauguin beschloss, zurück nach Paris zu fahren. Er konnte seinen Freund nicht mehr ertragen. Deswegen, aber das kann man nur vermuten, hat Vincent van Gogh in einem Anfall von Zorn oder Wahn sein Rasiermesser genommen und er verfolgte seinen Freund durch die Gassen der kleinen Stadt Arles. Was dann passierte, wissen wir nicht genau. Aber das Ergebnis ist bekannt, er hat sein Ohrläppchen abgeschnitten, nur das Läppchen, nicht das ganze Ohr, und hat es in ein Taschentuch gelegt.“ Anschließend, so berichtet Martine Brun weiter, hatte Van Gogh die makabre Trophäe seinem Lieblingsfreudenmädchen Rachel geschenkt.

Arles - im Innenhof des Kulturzentrums L'Espace Van Gogh - Südfrankreich

Martine Brun schildert diese Geschichte nicht irgendwo, sondern im Innenhof des Kulturzentrums L'Espace Van Gogh, dem früheren Stadtkrankenhaus in Arles. Dort wurde Vincent versorgt, nachdem Rachel die Polizei gerufen hatte. Nach seiner Entlassung zog er wieder in sein gelbes Haus am Place Lamartine 2 in der Nähe des Bahnhofs. Seine Nachbarn, die anfingen, sich vor dem Maler zu fürchten, starteten bald darauf eine Unterschriftensammlung. Das Resultat: Van Gogh musste noch einmal für einige Monate in das örtliche Hospital – diesmal unfreiwillig.

Arles - Van Gogh Musee Reattu - Südfrankreich

Trotz dieser tragischen Vorkommnisse gehörte der 16monatige Aufenthalt im südfranzösischen Arles zu den produktivsten Schaffensphasen des niederländischen Meisters: in dieser Zeit schuf er mehr als 180 Gemälde. Die Idee Van Goghs, gemeinsam mit Gauguin ein Maleratelier des Südens zu schaffen, wurde 2013 in Marseille und in Aix-en-Provence neu aufgegriffen. Dort waren die Maler des Südens das Hauptthema einer Doppelausstellung, die im Palais Longchamp in Marseille (von van Gogh bis Bonnard) und im Granet-Museum in Aix (von Cézanne bis Matisse) gezeigt worden war. Seit dem Jahr 2013, in dem Marseille-Provence als Region eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte gewesen war, wird in Arles die Tradition Van Goghs bewusster gepflegt als früher – die Vincent van Gogh-Stiftung betreibt in Arles seither ein Museum und Ausstellungszentrum, das Malern ein Podium bietet, die von Van Gogh inspiriert wurden.

Arles - Amphitheater - Südfrankreich

Die 50.000-Einwohner-Stadt Arles lohnt nicht nur wegen der Spuren Van Goghs einen Besuch. Die Innenstadt des südfranzösischen Städtchens steht bereits seit dem Jahr 1981 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. In ihr findet sich auch ein sehenswertes Amphitheater, das zehn Jahre nach dem Kolosseum in Rom erbaut wurde. Es war das zwölftgrößte römische Amphitheater der Welt. Durch sechzig große Eingangstore konnten rund 20.000 Besucher das Theater betreten. Die Sitzposition und das zu benutzende Tor, so berichtet Martine Brun, hingen vom sozialen Rang ab. Nach dem Ende des Römischen Reiches wurde das Theater zu einer regelrechten Festung, im Laufe der Zeit bauten die Einheimischen darin über 200 Häuser und zwei Kapellen - die jedoch zwischen 1825 und 1840 wieder abgerissen wurden. Seither dient das Amphitheater vor allem als Touristenattraktion, es werden aber auch Stierkämpfe sowie kulturelle Veranstaltungen darin durchgeführt.

Arles - Kathedrale Saint-Trophime, in der Friedrich Barbarossa im Jahr 1178 zum König von Burgund gekrönt wurde - Südfrankreich

Wer bei einem Aufenthalt in Arles stilvoll wohnen will, für den ist das 2012 neu eröffnete Designhotel Le Cloître (www.hotel-cloitre.com) ein Tipp. Von ihm aus lassen sich die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt fußläufig erreichen: die Kathedrale Saint-Trophime, in der Friedrich Barbarossa im Jahr 1178 zum König von Burgund gekrönt wurde, der Kreuzgang des Klosters Saint-Trophime, die unterirdischen Galerien der Kryptoportica und die Ruinen des antiken Theaters. Sowie das sehenswerte Musée Réattu, das regelmäßig interessante Wechselausstellungen zeigt.

Arles - Kreuzgang des Klosters Saint-Trophime - Südfrankreich

Reiseinformationen zu Arles

www.arlestourisme.com , www.visitprovence.com

 

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