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Magrittemuseum auf dem Kunstberg - ein Besuch beim Philosophen mit der Farbpalette

Wer abends auf dem Kunstberg unterwegs ist, der reibt sich die Augen. Während der klassizistische Kubus des Magrittemuseums nur spärlich beleuchtet ist, ziehen in einem der Fenster des Museums zarte weiße Wölkchen am blauen Himmel vorüber. Der Geist Magrittes und ein Augenzwinkern sind also im Museum, das sich dem belgischen Surrealismus und Magritte widmet, allgegenwärtig.

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Wer allerdings Magritte genießen will, dem wird einiges abverlangt. Die surreale Welt von René Magritte, der als Künstler eher posthum Lorbeeren sammelte. hat sich zu einem Besuchermagnet entwickelt, obgleich das Museum erhebliche Schwächen aufweist: Bisher gibt es keinen eigenen Eingang, sodass Besucher nach Abgabe ihre Garderobe in den Museen der alten und modernen Künste nur über diese Museen ins Magrittemuseum gelangen. Der Abstieg in die „Unterwelt“ der Brüsseler Museumslandschaft ist gleichfalls ein Muss, will man nach der Sicherheitskontrolle, die dem einen oder anderen den Museumsbesuch bereits verleidet, zu Magritte vordringen. Allerdings:. Ohne Sicherheitsmitarbeiter darf man auch nicht den Aufzug benutzen, der den Zugang zu Magrittes Welten erst ermöglicht. Auf drei Etagen kann man schließlich das Lebenswerk des einst in einem bescheidenen backsteinernen Reihenhäuschen in Jette lebenden Künstlers bestaunen. Und nach seinem Besuch darf man sich bei Wind und Wetter aus dem Museumsbau bewegen, um sich über die Straße zum ehemaligen Gresham-Bau und zu den Museen für moderne und alte Kunst zu begeben. Dort musste ja die Garderobe abgeben werden! Eine surreale Pose – nein, das ist Wirklichkeit!

Alles in meinen Arbeiten kommt aus der Gewissheit, dass wir in Wirklichkeit Teil eines rätselhaften Universums sind. R. Magritte

Augenschmaus und Kunstgenuss sind durch die Art der „Besucherführung“ in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigt. Dabei darf man nicht übersehen, dass die aktuelle Präsentation von Magrittes Werken beachtenswert ist, auch wenn sich so manche Topstücke in Museen jenseits des Atlantiks befinden.

Wer sich nicht mit der Biographie Magrittes aufhalten will – sie kann man in jedem gängigen Nachschlagewerken und bei Wikipedia finden – tritt direkt in die surrealen Welten ein und steht vor voluminösen Damen, die knietief im Wasser stehen und gesichtslos sind. Darf ich vorstellen: Das sind Magrittes „Badende“. Doch nicht nur Ölgemälde sind zu sehen, sondern auch Plakatentwürfe, die sicherlich an die Qualität der Plakatdesigns von Toulouse-Lautrec heranreichen. Mal wird „Die Stunde des Tangos“ beworben, mal eine Veranstaltung im Kursaal von Ostende. Eher an die kristallinen Strukturen der Gemälde Feiningers erinnert Magrittes Arbeit „Mann am Fenster“ von 1920. Sieben Jahren nach dem „Mann am Fenster“ entstand das Werk „Der Mann am Meer“: Wir sehen eine schwarzgekleidete Figur mit gemasertem Holzschädel. Die Hand der Figur liegt auf einem Fenstergriff, der zu einem in der Luft schwebenden Fensterfragment gehört. Am Strand steht ein Kaminsegment, das noch nicht von den Wellen des dunkelblauen Meers erreicht wird.

Dieses ganze mysteriöse Universum ist kalt. In der Leere des Jenseits spüre ich keinerlei Wärme. Übrigens versuche ich, Gefühlloses in Materie zu verwandeln. Und Gefühlloses kann nur kalt sein. R. Magritte

Neben Magrittes Arbeiten entdeckt man auch Paul Delvaux surreales Schaffen beim Rundgang durch das Museum, so das Gemälde „Der Brand“, gerahmt mit üppiger Vergoldung. Die Figuren, die Delvaux in Szene setzt, scheinen leblos und starr, puppen- und marionettenhaft, so auch die Dame im rostroten, bodenlangen Kleid, die auf ein Haus starrt, aus dem Flammen schlagen. Welche Tragödie hielt hier der Künstler im Bild fest? Wir können nur spekulieren. Theatralisch wirkt die Arbeit auf jeden Fall, sodass wir die Umsetzung eines Bühnenstücks unterstellen können.

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Ganz eigenwillig gestaltet ist Magrittes „Waffensaal“. Nicht zu übersehen ist die große Zielscheibe in dem schlauchförmigen Raum, von dessen Decke eine Kopfbüste herabhängt. Grau sind die Wände des Raums, himmelblau der Fußboden. Doch Waffen jedweder Art sucht man vergeblich. Von Édouard Léon Théodore Mesens, einem außerhalb Belgiens weniger bekannten Surrealisten, präsentiert das Museum einige Fotomontagen, so auch von Händen mit Schlagringen. Ein weiterer Surrealist, der im Museum mit Arbeiten zugegen ist, ist Yves Tanguy mit seinen surrealen skulptierten Landschaften. Betrachtet man das Gemälde „Das Flugzeug“, so sieht man nur Kondenswolken und Kondensstreifen, aber kein Flugzeug. Theatralisch geht es in Delvaux' „Pygmalion“ zu: Ein männlicher Torso auf einem Sockel wird von einer fülligen Schönheit umarmt, während am Rande dieser Szene ein Mann mit Bowler, schwarzem Mantel und Stock – ist das vielleicht Magritte ?– auftaucht. Auch von einem weiteren berühmten Surrealisten, Salvador Dalí kann man ein Werk in Brüssel zeigen. Es handelt sich dabei um das Porträt der Gemahlin des Künstlers.

Einige Schwarz-Weiß-Fotos, die man in die Präsentation von Grafiken und Gemälden eingebunden hat, bringen uns zudem das Ehepaar Magritte ein wenig näher. Dass das Paar Sinn für Unsinn hatte, zeigt das Foto „The Bouquet“, in dem sich das Paar in Laken eingehüllt hat.

Poesie ist eine Pfeife. R. Magritte

Nahm Magritte in seiner Arbeit „Der Automat“ (1929) schon vorweg, was uns „Brave New World“ vor Augen führte, die Technologieabhängigkeit? Zwei ausgehöhlte Felsscheiben, die einem Harfenkörper ohne Saiten gleichen, stehen in einem Gemälde vom Magritte auf grauem Grund: „Das Gegenüber des Gemurmels“ lautet der Titel. Doch nicht jede Arbeit wurde von Magritte betitelt. Ohne Titel blieb ein „Himmelsbild“ mit biomorphen Figuren und Worten wie „mirroir“ und „canon“. Selbstverständlich bekommt der Besucher auch die Abbildung einer Pfeife zu sehen, die keine Pfeife ist, wie Magritte bemerkt, sondern unser konventionelles Bild einer Pfeife, die wir aber auch Hund nennen könnten, wenn wir uns denn nur darauf verständigen würden. Mit diesem und anderen „Wort-Bildern“ hinterfragt der „Philosoph mit der Farbpalette“ unsere Sprache und unseren Sprachgebrauch, der nur auf Konventionen beruht. Und diese gilt es stets zu hinterfragen, zumindest, wenn man Magritte folgt.

Surrealist sein bedeutet, das bereits Gesehene aus dem Geist zu verbannen und das noch nicht Gesehene zu suchen. R. Magritte

Auch Skulpturales hat Magritte geschaffen, nämlich einen Baumstumpf, der eine Axt unter sich begräbt. Magritte, dessen abstrakte Arbeiten jeder Kunstkenner in der Präsentation vermisst, verdingte sich auch als Werbegrafiker und entwarf für die Destillerie Luxor entsprechende Kampagnenplakate, so auch für „Sun Advocaat“. Auch das Plakat für das 2. Weltfestival für Film und Kunst in Knokke im Juni/Juli 1949 ist Magritte zu verdanken.

Ich bemühe mich, beim Malen nie der Konvention zu gehorchen, und im Rahmen des Möglichen scheine ich, wenn ich nicht male, das Spiel der Konventionen mitzuspielen, indem ich zum Beispiel male oder ein Haus bewohne oder esse, wenn das ratsam ist.
R. Magritte

Was haben eine Treppe ins Nichts und ein Finger, über dem eine Schellenkugel schwebt, eigentlich mit verbotener Literatur zu tun, fragt man sich, steht man vor dem entsprechenden Gemälde. Nur Magritte könnte uns darin weiterhelfen. Magritte porträtierte seine Frau Georgette, die am Himmel schwebt. „Gott ist kein Heiliger“ zeigt nicht etwa ein religiöses Motiv, sondern eine Dohle, die an einem Schnallenschuh pickt. Eine grau gestrichene Tür entdecken wir auf einem weiteren Ölgemälde. Aus dem Türblatt ist eine Flammenform herausgesägt, die uns in einen dunklen Raum blicken lässt, in dem wir nichts sehen: „Die unerwartete Antwort“ (1933).

Der Surrealismus ist die unmittelbare Kenntnis des Wirklichen. R. Magritte

Wir sehen Wolkenbilder auf einer Staffelei, eine Abbildung des Himmels, vor dem sie stehen. „Mona Lisas Lächeln“ in ganz eigenwilliger Interpretation entdecken wir bei Magritte ebenso wie eine Felsenlandschaft, die einer Taube mit ausgebreiteten Flügeln gleicht, deren Nest auf einer Brüstung im Vordergrund zu sehen ist: „Die Domäne von Arnheim“ lautet der Bildtitel. Dass eine Musikstunde nicht etwa mit einem Stillleben aus Musikinstrumenten verknüpft werden muss, wird beim Betrachten von Magrittes „Die Musikstunde“ deutlich: Ein Ohr und eine Glocke schweben über der Landschaft. Magritte provoziert uns zudem mit dem Gemälde zweier gemaserter Holzsitzsärge auf einem Mauersockel. Ist es gar Magritte selbst, den wir in „Gutes Vertrauen“ mit Bowler auf dem Kopf und einer vor der Nase schwebenden Pfeife sehen? Trotz blauen Himmels lässt uns Magritte in „Das Kaiserreich des Lichts“ denken, es sei Abend geworden. Die Laterne vor dem im Schatten liegenden Haus ist erleuchtet. Desgleichen hat man im Haus die Deckenleuchten eingeschaltet.

Die Ausstellungsdramaturgie des Museums – man beachte insbesondere die eingestreuten O-Töne Magrittes zu seinen Arbeiten, die als Zitate in diesen Beitrag eingegangen sind – weiß zu überzeugen, aber nicht die Besucherlenkung, sodass nach dem Besuch ein schaler Beigeschmack bleibt. Zudem hätte man sich hier und da jenseits der O-Töne auch einige Erläuterungen zu Magrittes Bildkompositionen gewünscht und zudem einen ausführlichen Text zum Surrealismus. Oder ist das zu viel Didaktik für ein Museum? © text und fotos fdp

Informationen

Magrittemuseum
http://www.musee-magritte-museum.be/

 

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