Das Jubelparkmuseum
Eine Zeitreise über Kontinente
.Im Musée du Cinquantenaire unternimmt man in wenigen Stunden eine weltumspannende Zeitreise, bestaunt römische Mosaike aus Apamea (Syrien) und eine Tonurne in Gestalt eines Schildkrötenmannes aus der Zapoteken-Kultur, verweilt vor dem Bildteppich "Die Legende von Jacob" und der riesigen Steinstatue "Poi hakanononga" von den fernen Osterinseln. Vorgestellt werden im folgenden Text drei Ausstellungssegmente: Flämische Flugelaltäre, das Jugenstilatelier Wolfers und Islamische Kunst.
Retabel des hl. Georg aus der Kapelle Notre-Dame-du-Dehors
de Louvain, Bruxelles, Signatur Jan Borreman, 1493 © MRAH
Flämische Flügelaltäre
Im Zentrum der Bildgruppe eines Retabel oder Flügelaltars – dieser kann aus Holz oder Stein gefertigt sein – steht die Kreuzigungsgruppe oder die Krönung Marias als typische mittelalterliche Ikonografie. Insbesondere aus der Zeit um 1500 war das Mariaretabel sehr populär. Im Zuge der Verehrung der Muttergottes entstand dann in Gedenken an die Mutter der Jungfrau Maria das Sint-Annaretabel. Derartige Retabel wurden im ausgehenden 15. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor allem in Brüssel, Antwerpen und Mecheln gefertigt, wo sich zahlreiche Künstler mit ihren Werkstätten niedergelassen hatten.
Passionsretabel aus 'Oplinter (Brabant), Antwepen,um 1530 © MRAH
Berühmt sind die spätgotischen Retabel aus Brüssel, das im Verlauf des 16. Jahrhunderts durch Antwerpen als Zentrum der Retabelnschnitzereien abgelöst wurde. An der Herstellung eines aufwändig gestalteten Flügelaltars waren zahlreiche Kunsthandwerker beteiligt, so der Vergolder und der Holzschnitzer. Sie hinterließen ihre Handschrift an den verschiedenen Flügelaltären, zudem aber auch Marken, durch die sich die Herkunft der Altäre ableiten lässt. Hammer und Zirkel sind die Marken für Brüsseler Kunsthandwerker, Hände und Burg für Antwerpener Gildemitglieder und das Stadtwappen mit drei Pfählen für die Produktion Mechelner Künstler. Die jeweilige Blattgoldauflage des Flügelaltars enthält Stempel mit der Inschrift Bruesel oder Mech len, was als eine Garantie für die Qualität des Materials anzusehen war.
Aus der ehemaligen Beginenhofkirche von Tongern stammt der in der 2.Hälfte des 15.Jahrhunderts entstandene Apostelretabel. Er zeigt rund um die Krönung der Jungfrau Maria in einer Doppelreihe die Apostel. Ursprünglich waren in diesem Retabel auch ein Reliquienhalter der hl. Ursula vorhanden. Flankiert wird Maria mit dem Kind von der Figur des Johannes des Täufers – Schutzpatron von Tongern – und der hl. Katharina – Schutzpatronin der Beginenhofkirche der Stadt. Im Auftrag eines Piemonter Bankiers wurde um 1470 ein geschnitztes Passionsretabel in einem Brüsseler Atelier gefertigt. Das Stifterpaar Claudio Villa nebst Gattin sind kniend zu Füßen der hl. Magdalena und des hl. Petrus verewigt worden. Neben der Kreuzigungsgruppe erkennt man eine Szene, in der Magdalena die Füße Jesu wäscht
Retabel der hl. Anna, Herkunft Kapelle der hl. Anna
zu Herzoginnental (Ouderghem), Bruxelles,
um 1500-1510 © MRAH
. Zudem ist die Trauer um den verstorbenen Jesus Christus dargestellt worden. Ebenfalls aus Brüssel stammt ein Passionsflügelaltar aus dem Nachlass Vermeersch, der zwischen 1490 und 1500 entstanden sein dürfte. Neben dem Kreuzweg und der Kreuzigung ist in einem dritten Teil des Altars die Trauer der heiligen Jungfrauen zu sehen. Die Folterung und die Enthauptung des heiligen Joris steht im Mittelpunkt eines Retabels aus der Liebfrauenkapelle von Ginderbuyten (1493). Aus der ehemaligen Sankt-Annakappelle (Oudergem) stammt ein Retabel, das die heilige Anna in den Mittelpunkt stellt. Die Mutter der Jungfrau Maria ist umgeben von ihren drei Ehegatten Joachim, Cleophas und Salomas, ihren drei Töchtern und deren Kindern, ihren Eltern, ihrer Nichte Elisabeth und Johannes dem Täufer. Alle diese Figuren überzeugen durch eine individualisierten Ausformung. Abschließend ist auf einen Retabel hinzuweisen, die aus Antwerpener Schule stammen, darunter ist der Passionsflügelaltar aus Oplinter (Brabant), der um 1530 vollendet wurde.
Victor Hortas Anrichte für die Internationale Ausstellung für Kunstgewerbe
in Turin 1902 © SOFAM / Koning Boudewijnstichting im Depot des KMKG
Jugendstil im Museum: Kostbarkeiten aus Silber und Elfenbein
Die Familie Wolfers, Gold- und Silberschmiede aus Delft, eröffneten 1850 in Brüssel ein Atelier für Gold- und Silberwaren. Mit Philippe Wolfers (1858-1928), einem angesehenen Goldschmied, Bildhauer und Glaskünstler, erlangte das Unternehmen in der Rue d'Arenberg 11-13, unweit der Galeries St-Hubert, sein weit über die Landesgrenzen reichendes Renommee. Das Juweliergeschäft mit seiner eleganten Inneneinrichtung aus dunklem Mahagoni, von Victor Horta 1912 entworfen, musste 1974 der Kredietbank weichen. Dank der finanziellen Hilfe dieser Bank wurde das Mobiliar und die wertvolle Silberwaren- und Elfenbeinsammlung vollständig erhalten. Sie sind seit 1977 im Musée du Cinquantenaire untergebracht.
Charles Van der Stappens Geheimnisvolle Sphinx , 1897
Elfenbein und Silber (56,5 x 46 x 31,3 cm) © MRAH
Philippe Wolfers und sein Bruder Marcel standen mit ihren silbernen Teekannen, Schalen und sechseckigen Schmuckkästlein anfänglich noch in der Tradition des französischen Neorokoko. Zu ihren wohl schönsten Arbeiten gehört eine bauchige Kanne mit dem Titel "De Stroper" (Der Wilderer). Verziert ist sie mit Blattranken sowie einem Knaben, auf dessen Schulter ein flügelspreizender Falke sitzt. Die Vorliebe für Pflanzen- und Tiermotive verrät eine aus Elfenbein, Silber und Emaille gefertigte rechteckige Schatulle. Auf ihr reckt ein Pfau stolz seinen Hals. Abbild zerbrechlicher weiblicher Anmut ist Philippe Wolfers Elfenbeinplastik "Das erste Juwel".
Philippe Wolfers: Gürtelspange Japanische Lilie 1898
Silber, Gold, Saphir, Perle (9 x 12,6 cm) © KMKG
Im rekonstruierten Atelier Wolfers sind auch Arbeiten bekannter Zeitgenossen von Philippe Wolfers zu sehen. Von Henry van de Velde (1863-1857) stammt ein schöner, florealer Silberkandelaber, von Julien Dillens (1849-1904) ein selbstzufrieden lächelnder Faun aus Terracotta. Für die von König Léopold II. angeregte Weltausstellung 1897 in Tervuren, die auf den (Rohstoff-)Reichtum des Unabhängigen Kongostaates aufmerksam machen sollte, entwarf Charles Van der Stappen (1843-1910) aus Silber und Elfenbein seine allegorische Mädchenbüste "Geheimnisvolle Sphinx" in Gestalt einer versunken blickenden Minerva mit Goldhelm. Mit der erhobenen Hand verschließt sie ihre Lippen. Der Betrachter fragt sich unwillkürlich, woran die schöne Holde wohl gerade denkt. Doch eine Antwort auf diese Frage wird er nicht zu hören bekommen.
Kunst im Islam - islamische Kunst
Teile einer aus Pinien- und Zederholz erbauten Moschee
aus der Region Swat (NO-Pakistan), 17.-20.Jh.© KMKG
Der Bestand von Kunst aus der islamischen Welt umfasst beinahe 350 Exponate, die in einem Museumsbau gezeigt werden, der ohne das Zutun von König Leopold II. nie errichtet worden wäre. Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des belgischen Königreiches wurde der Jubelpark mit seinen Bauten geplant und realisiert. Fünf Jahrzehnte dauerte es allerdings, bis der heutige Komplex aus Autoworld, Armeemuseum, Triumphbogen, das seit 2004 unter Denkmalschutz stehende Jubelparkmuseum und Jubelpark vollendet war.
Zeitreise zur Kunst des Islams
Auf einer Ausstellungsfläche von 750 qm präsentiert man orientalische Teppiche, Textilien, Keramik und Arbeiten auf Papier. Dabei zeigt man Ausstellungsstücke vornehmlich aus dem 7. bis 17. Jahrhundert. Ein Teil dieser Exponate geht auf die Schenkung von Isabella Errera (1869-1929) zurück. Schätze aus dem Reich der Umayyaden (661-750) und der Abbasiden (750-1258) – damit beginnt die Schau – sind ebenso zu sehen wie aus der Regierungszeit der Safawiden (1501-1722) und der Kadscharen (1779-1925) in Persien und aus dem Osmanischen Reich (1281-1924).
Iznik-Teller (Türkei), 16.Jh. © KMKG
In die mit einem für die islamische Architektur typischen Holzparavent, Mashrabiyya genannt, verkleidete Längsseite des Ausstellungssaals sind Vitrinen eingelassen, in denen Keramik, aber auch Rüstungsteile ausgestellt sind. Sie ergänzen die Tischvitrinen und Sockel, in denen Saaltexte auf Englisch und Deutsch (!!) eingelassen sind. Touchscreens mit Bildern und Texten in Englisch, Niederländisch und Französisch sind Angebote an die Besucher, die genutzt werden können, um sich dem Thema Kunst aus der islamischen Welt zu nähern.
Als Leitsatz der präsentierten Objekte kann das in der Ausstellung nachzulesende Zitat von Abd al-Rahman Ibn Khaldun angesehen werden: „Wenn ein sichtbares Objekt in Formen und Linien harmonisch ist, stimmt es mit dem Material überein, aus dem es gemacht wurde. Dann ist es in Harmonie mit dem Zweck, den es erfüllen soll und mit sich selbst.“
Blickfang Dorfmoschee
Ein Blickfang der Ausstellung ist das Architekturfragment einer nordpakistanischen Dorfmoschee mit Vorhalle und reich verzierter Frontfassade – aus Zeder, Kiefer und Maulbeerbaum errichtet. Zur einzigen Einrichtung der Moschee gehört eine Treppenkanzel, auf der der Hodscha Platz nimmt, um zu den Gläubigen zu sprechen. Derartige Bauwerke sind selten älter als drei Jahrhunderte und stammen in der Regel aus der Zeit der Moghulherrschaft auf dem Indischen Subkontinent. Gegenüber steinernen Bauwerken sind Holzbauten erdbebensicher – auch dank entsprechender Steckverbindungen. Wer die Moschee erblickt, sie ist klein und erinnert nicht an die prächtigen Moscheen Istanbuls, denkt eher an das Wohnhaus eines wohlhabenden Moslems. Auffallend ist, dass derartigen Dorfmoscheen das Minarett fehlt, wie dem Begleittext zu entnehmen ist. Florale Zierelemente, Palmetten und Lebensbaum, tauchen an den Säulen und Lasten der Moschee ebenso auf wie Voluten und Kannelierungen. Rankenwerk findet man neben einem geometrischen „Zopfmuster“.
Kachel aus Teheran, 1880-1890 © KMKG
Kunst aus Andalusien und Maghreb
Gewebe mit pfauenähnlichen blauen Vögeln aus Palermo wird neben einem knöchellangen, aus der Tunika entstandenen Gewand aus Seide und Golddraht gezeigt, das im 14. Jahrhundert ein Abt aus einem Kloster bei Barcelona trug. Ein Stofffragment mit ungewöhnlicher Breite und Sternenmuster ist zudem zu sehen, vielleicht Teil eines Behanges einer luxuriösen Unterkunft im Süden Spaniens. Ausgestellte kobaltblaue Schalen und zweihenklige Töpfe stammen aus dem Weltkulturerbe Fès, während eine opaque Quarzglas-Schüssel mit Vogelmotiven in Valencia gefertigt wurde.
Ägypten und Syrien: von den Fatimiden (969-1171) zu den Mamelucken (1250-1517)
Zu den ausgestellten Kleidungsstücken der Sammlung gehört ein Seiden-Leinenhemd aus Ägypten, das typisch für die weibliche Garderobe des 12. und 13. Jahrhunderts war. Zu sehen ist außerdem eine Öllampe in Löwengestalt sowie der Helm mit dem Namen des Mamelukensultan Ibn Qalawan, den die Helminschrift mit folgenden Worten ehrt: „Ehre unserem Sultan, unserm Weisen, unserem streitbaren Kämpfer … Oh, Muhammad, dies ist der älteste bekannte Helm eines muslimischen Fürsten.“
Als Seldschuken und Timuriden das Sagen hatten
Aus jener Zeit, zwischen dem 11. und dem frühen 16. Jh., stammen drei Kacheln mit Koranversen, die Allah preisen. Außerdem ist ein Lampenständer mit Öllämpchen aus Kupferlegierung sowie ein bronzener Weihrauchkessel zu sehen, die aus dem 12. Jahrhundert stammen. Dank einer Inschrift auf dem Rand einer aus Messing mit Gold- und Silbereinlagen gefertigten Wasserschale wissen wir den Herkunftsort und die Zeit der Entstehung: Shiraz (1342-1353). Bemalt und glasiert ist ein türkisfarbener, glockenförmiger Keramikkandelaber, der zu den sehenswerten Exponaten der Sammlung gehört.
Tintenfass,
Khurasan (NO-Iran),12.-13.JH,
Bronze © KMKG
Foto: H. Martens, Brügge
Zur Zeit der Safawiden und Kadscharen
Dass man in der Kunst der islamischen Welt auf die Darstellung von Menschen zu verzichten hat, scheint im 17. Jahrhundert nicht gegolten zu haben, sehen die Besucher der Ausstellung doch einen Pfeifenraucher im langen Gewand als Bildschmuck einer Schale. Schalen und Teller mit Blumenmotiven – ob nun feurig rote Blumen oder geschweiftes blaues Blattwerk – werden außerdem gezeigt. Der ausgestellte Seidenmantel (Persien, 18. Jh.) gehörte einem wohlhabenden Mann. Das breitschultrige Kleidungsstück ist mit Querstreifen verziert, in die Blumenmuster gesetzt wurden. Nur zeremoniellen Zwecken diente ein Helm mit Goldeinlagen, den man auf das 19. Jahrhundert datiert hat. In Blau und Gelb erstrahlt ein Kachelpaneel, das eine Jagdszene zeigt. Es ist eine typische Arbeit aus der Zeit der Safawiden, als die damaligen Adligen mit Leidenschaft der Jagd nachgingen und wie auf dem Paneel zu sehen Rehe und Löwen jagten – und das nicht mit Lanzen oder Pfeil und Bogen, sondern mit dem Säbel. Eine weitere Arbeit aus Kacheln zeigt einen Jüngling und einen Weisen in Begleitung von zwei studierenden Gelehrten. „Wer Wissen hat, hat Macht.“, steht auf einer der Buchseiten, die einer der beiden Schriftgelehrten aufgeschlagen hat.
Im Osmanischen Reich
Ein zentrales „Zwiebelturmmotiv“ findet der Ausstellungsbesucher in einem Teppich aus der Türkei, im 19./20. Jh. aus Wolle und Baumwolle geknüpft. Die „Bordüre“ dieses Teppichs besteht aus sorgsam gesetzten Kufen. Zu finden sind außerdem florale Motive von blauen Schmetterlingsblütlern und Rankenwerk sowie rote Strohblumen. Aus der oben genannten Schenkung Errera stammt auch die Decke eines Zenotaphs (Türkei, 18./19.Jh.), in deren Zickzackbänder Koranverse eingewebt sind. Aus alten Fragmenten zusammengenäht ist ein seidenes Talismanhemd aus dem 18. Jahrhundert. Es diente dem Schutz desjenigen, der es auf der nackten Haut trug. Zur islamischen Kultur jener Zeit gehörten außerdem ein Kaffeeservice aus Steinzeug mit transparenter Glasur über der feinen Malerei, aber Kupferbecher, die mit Gold- und Silberwerk verziert sind. (fdp / fotos alle KMKG)
Jubelparkmuseum
Jubelpark 10
1000 Brussel
Tel. 02 / 7 41 72 11 / 7 41 73 00
info@kmkg.be
http://www.kmkg-mrah.be
Öffnungszeiten
Di-So 10 – 17 Uhr, Kassenschluss 16 Uhr