Expo58 – Brüssel im Atomzeitalter
Ein "mächtiger Stufenpalast" - der Hauptpavillon der Expo 1935
zu Füßen des Atomiums, dem Wahrzeichen Brüssels seit 1958
Funkelnde Kugel, die weithin sichtbar sind
Aus allen Himmelsrichtungen kann man das Atomium erblicken, ist man in Brüssel unterwegs, ob auf dem Kunstberg oder am Justizpalast oder an der Nationalen Basilika von Koekelberg – die Letzteren sind wie das Atomium Sinnbilder eines architektonischen Größenwahns. Neben dem Atomium erinnert auch der benachbarte Jahrhunderfestpalast – er stand aus Anlass der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des belgischen Königreichs und ist ein Kind der Interbellum-Architektur – an ein weiteres Brüsseler Großereignis. 1935 diente dieser Stufenbau mit seinem vorspringenden Mittelteil als Hauptpavillon der damaligen Weltausstellung und umfasst eine Fläche von 15000 qm. Joseph Van Neck war der geistige Vater des gestaffelten Baus mit linearer Durchfensterung der Stockwerke. Nicht zu übersehen sind die vier über alle Geschosse reichenden Giebelrippen, auf denen vier Skulpturen platziert sind. Im Kern handelt es sich um einen Betonbau, der mit Naturstein verkleidet wurde.
Atomenergie bringt Fortschritt
Am 17. April 1958 eröffnete der noch junge König Baudouin, der nach der erzwungenen Abdankung seines Vaters den belgischen Thron bestiegen hatte, die Weltausstellung. Bis zum Oktober 1958 zählte sie mehr als 41 Millionen Besucher. Der letzte Weltkrieg lag zwar 13 Jahre zurück, doch die Welt war nicht friedlicher geworden. Daran erinnerte nicht zuletzt das brüchige Waffenstillstandsabkommen nach dem Korea-Krieg von 1953.
Dass menschlicher Erfindergeist nicht immer mit Fortschritt zum Wohle der Menschheit gleichzusetzen ist, hatten viele Europäer längst vergessen. Der „Sündenfall“ der industriell organisierten Massenvernichtung in den Konzentrationslagern durch Zyklon B und der nachfolgende des Abwurfs der Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima wurde schlicht ausgeblendet. Diese vergangenen Sünden störten nur den Aufbruch zu neuen Ufern. Dieser Aufbruch war gleichbedeutend mit technischem Fortschritt und der kommerziellen Nutzung der Atomenergie.
Der thailandische Pavillon auf
einer Fotografie von 1958
Die UdSSR hatte bereits vier Jahre vor der Brüsseler Weltausstellung einen kommerziellen Reaktor entwickelt und eigentlich sollte ein solcher auch auf der Weltausstellung zu sehen sein. Doch die Bedenken, nicht nur des belgischen Monarchen, dessen Schloss nur einige hundert Meter vom Expogelände entfernt steht, ließen die „Brüsseler Atomreaktorträume“ zerplatzen.
Millionenfache Vergrößerung
Die unhinterfragte Technologiegläubigkeit beherrschte die 1950er Jahre und materialisierte sich in der 150milliardenfachen Vergrößerung eines Eisenkristalls: Das Atomium bildete den Mittelpunkt der Expo58, und es ist bis heute ein Besuchermagnet ersten Ranges. Zur Eröffnung der Weltausstellung überflog eine Formation von Kampfjets das Brüsseler Wahrzeichen. Fünf Jahrzehnte später spiegelte sich ein farbenfrohes abendliches Feuerwerk in den Riesenkugeln des Bauwerks, das erst durch eine mehrjährige Restaurierung (2004-2006) wieder in neuem Glanz erstrahlt.
Bereits beim Bau gab es finanzielle wie auch bautechnische Hürden zu nehmen. Mehr als 15 Millionen DM verschlang der Bau, der eigentlich nach der Expo wieder abgerissen werden sollte, ein Schicksal, das die Mehrzahl der Expo-Pavillons teilten, auch der als filigraner Zeltbau konzipierte Philips-Pavillon von Le Corbusier. Zur Weltausstellung beschrieb „Der Spiegel“ das Atomium als „Metall-Ungetüm“, das „wie eine erdrückende Allegorie des Atomzeitalters in den Himmel“ rage.
Der amerikanische Pavillon - heute Sitz von Radio2
Mit Superlativen kann das Alpha-Eisenkristall ohne Frage aufwarten: 35 Meter ist die längste Rolltreppe, 102 Meter ist das Gebilde hoch, 18 Meter beträgt der Durchmesser jeder Kugel und der Lift befördert die Besucher mit einer Geschwindigkeit von 5 m/sec
Der Amerikanische Pavillon hat wie der Jugoslawische Pavillon die Zeit überdauert, der Letztere befindet sich allerdings heute nicht in Brüssel, sondern in Wevelgem, wo er als Schule genutzt wird. Die thailändische Pagode ist ebenso verschwunden wie der Stahlskelettbau des Deutschen Pavillons, der aus mehreren quadratischen, gläsernen Modulen bestand. Egon Eiermann und Sep Ruf hatten sich mit ihrer zurückgenommenen Architektur, die sich in das Gelände absenkte, vom Bauhaus und International Style leiten lassen.
Verhüllt war der Weltausstellungspavillon von 1935 mit einer vorgehängten blauen Fassade, auf der eine Taube in den Himmel flog. Angesichts der Konfrontation im Kalten Krieg – der Ungarnaufstand geschah zwei Jahre vor der Expo – ein deutlicher, wenn auch wenig beachteter Appell.
Mit solchen Rikscha ging es über das Expogelände
Der Pavillon der UNO glich mit einer gestauchten Kuppel einer umgestürzten Keramikschüssel und war in Blau getaucht. Seite an Seite standen der sowjetische und der amerikanische Pavillon. Im hallenartigen, riesigen Pavillon der UdSSR zeigten die Herren aus Moskau die Errungenschaften des Sozialismus zu Füßen einer riesigen Leninstatue. Zu bestaunen waren vornehmlich Maschinen und Landmaschinen. Ständig zu hören war ein „Piep, Piep, Piep“, das Signal von Sputnik I, dem ersten künstlichen Satelliten, der sechs Wochen vor der Expo58 ins All geschossen worden war. Als Sputnik-Schock ging dieses Ereignis in die Geschichtsbücher ein. Die Russen waren den Amerikanern zwar bei der Raumfahrttechnologie zuvorgekommen, aber in puncto Unterhaltung waren sie es nicht. Scharen von Besuchern lockte der amerikanische Pavillon mit seinem Rundum-Kino, in dem Walt-Disney-Streifen zu sehen waren. Das war halt nicht hausbackener Kintopp, sondern modernes Filmtheater! Und modern wollte jeder sein …
Als Hostess auf der Expo
Sissi Puttaert erzählt von Ihren Expo-Erfahrungen
Wer am Denkmal für Adolphe Max vorbeischlendert, um zur Freilichtbühne des Groentheaters zu gelangen, wo alljährlich im Juli beim Brossela Jazz & Folk Festival zwei Tage lang Folk, Jazz und Folkrock gratis zu hören sind, der wird eine Allee mit sorgsam beschnittenen Baumsäulen entdecken. Diese Allee führte schnurstracks zum Pavillon Liechtensteins, wo die 25-jährige Sissi Puttaert aus Ascona als Expo-Hostess arbeitete. Wie ihre 279 anderen Kolleginnen trug sie ein kleines keckes Hütchen zu einem roten Kostüm. Sehr lebendig ist noch heute ihre Erinnerung an jene Zeit. „Der Pavillon schaute wie ein Chalet aus.“ Und auf die Frage, was denn dort zu sehen war, überlegt Sissi Puttaert nicht lange: „Ja, künstliche Gebisse – Liechtenstein war führend bei der Herstellung. … Eine Strickmaschine, Briefmarken, Bolzenschussgeräte, natürlich auch eine moderne Skulptur aus der Sammlung des Fürstenhauses.“ Nach kurzem Nachdenken: „Und es gab einen Künstler, der aus Wurzeln allerlei Kunstwerke schnitzte.“
An die Signale des Sputniks kann sich die ehemalige Expo-Hostess, die nunmehr wie andere ihrer ehemaligen Kolleginnen auch Ehrenbürgerin der Stadt Brüssel ist, auch erinnern. „Es war ein wenig unheimlich, dieses ständige Piep, Piep, Piep, weil man nicht wusste, was es bedeutete.“ Grace Kelly habe sie auf der Expo ebenso gesehen wie Romy Schneider und deren Mutter, aber auch Gregory Peck und Jean Marais. Hot Dog und Soft Ice lernte die 1958 noch junge Sissi Puttaert erst auf Expo kennen. Sie war wohlbehütet aufgewachsen und wartete nach dem abgeschlossenen Sprachen- und Kunstgeschichtsstudium auf ihren Prinzen, ehe sie nach Brüssel ging und die „Welt kennen lernte“. „Wie so viele von uns in dieser Zeit“, ergänzt sie mit einem Lachen. Fiat 500 und Isetta sind der ehemaligen Leiterin des Brüsseler Tourismusamtes als moderne Errungenschaften noch bildhaft in Erinnerung.
Über diese "Allee" erreichte man den Pavillon von Liechtenstein
Mit einem verschmitzten Lächeln erzählt Sissi Puttaert vom Pavillon des Vatikans, in dem als Versinnbildlichung der Sünde ein großformatiges Porträt von Brigitte Bardot zu sehen war. „Das zog die Menschen viel mehr an als das sakrale Ambiente des Pavillons.“ Noch eine andere Erfahrung hat Sissi Puttaert behalten: „Afrika war plötzlich ganz nah, und viele weiße Besucher begegneten erstmals Menschen aus dem fernen Kongo. Nach einem Händedruck mit einem Afrikaner schaute der eine oder andere auf seine Handflächen, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht verfärbt hatten. Weiße und schwarze Kinder kniffen sich leicht in die Wangen und schauten, ob die Hautfarbe auch echt ist. Menschen aus dem Kongo waren überrascht, dass Belgier als Taxifahrer arbeiten.“ Schließlich verrät mir die ehemalige Hostess der Expo: „Bei einer Aufführung der 9.Sinfonie von Beethoven habe ich meinen späteren Mann getroffen. So wie ich haben auch andere Hostessen bei der Expo58 ihren Prinzen gefunden.“ (fdp)
Weitere Informationen
www.expo58.eu
www.erfgoedbrussel.be
www.atomium.be
http://www.brussels-expo58.be/home.html
http://users.skynet.be/rentfarm/expo58/exhibition/index.htm
http://users.skynet.be/rentfarm/expo58/expovisitors/index.htm
Wegen restriktiver Copyrighs verzichten wir auf aktuelle Abbildungen des Atomiums !