Wandern im Atlantik

Zu Fuß entlang der künstlichen Wasserläufe auf Madeira

Text: Judith Weibrecht / Fotos: Beate Schümann

Nur ein kleiner, aber feiner Sandstrand namens „Prainha“ befindet sich in der Nähe der kahlen Ostspitze beim Ort Canical. Schwarzer Lavasand vulkanischen Ursprungs, der sich schnell aufheizt, macht das Sonnenbaden sogar im Februar zum Vergnügen. Faulenzen an endlosen Stränden unter wispernden Palmen aber ist auf Madeira nicht angesagt. Umso mehr aber Wandern entlang der Levadas, der alten Bewässerungskanäle, die die Insel durchziehen.

Portugal Madeira Atlantik

Zehn Opas mit breiten, plattgedrückten Schiebermützen kleben nebeneinander, alle mit der gleichen, angespannten Haltung und Blickrichtung Fernseher. Arbeitsort: der Tresen in der Bar „Rio de Janeiro“ in Funchals Altstadt. Ab und zu ein vernuschelter portugiesischer Kommentar, dann tritt Entspannung ein: Die Werbung beginnt!

Der Fenchel gab den Namen

Funchal - der einst intensive Fenchelgeruch gab der Stadt ihren Namen. Es ist die Hauptstadt Madeiras, der portugiesischen Blumeninsel mitten im Atlantik. Funchal glänzt nicht so sehr durch eine Vielzahl von Sehenswürdigkeiten, wie z.B. die Kathedrale Sé, die Quinta das Cruzes oder Blandy’s Garden, als vielmehr durch eine bezaubernde Altstadt. Fenchelgeruch in Hülle und Fülle gibt es auch auf dem Mercado dos Lavradores, dem Bauernmarkt, wo es schwer fällt, nicht dem Farbenrausch zu verfallen.

Portugal Madeira Küste

Büschelweise werden Strelitzien, Callas, Engelstrompeten und mannshohe Weihnachtssterne von Frauen in ihrer traditionellen, bunt gestreiften Tracht angeboten. Daneben Berge von Papayas, madeirensischen Bananen, Maracujas und Esskastanien. Es wird deutlich, warum man diese Insel auch den „Schwimmenden Garten im Atlantik“ nennt.

Portugal Madeira Bauernmarkt

Angebote in Hülle und Fülle

Die steinernen Bänke in der Fischhalle quellen über von Kabeljau, Schwertfisch und Muscheln. Unter lautem Geschrei werden Stücke vom Thunfisch mittels eines riesigen Haumessers zerhackt. Geschrei, Geschiebe und Gedränge bringen uns wieder nach draußen. Abgesehen von diesem Geschrei ist Madeira aber eine Insel, auf der es immer noch verhältnismäßig ruhig zugeht. Wohl wegen der fehlenden Sandstrände.

Durch gespenstischen Nebel und urzeitlichen Lorbeerwald

Also Wandern: Moose, Farne, intensiv riechende Eukalyptusbäume und Wasserfälle begleiten uns auf mitunter glitschigen und nur fußbreiten Wegen. Entlang der Levada do Portela glaubt man sich in einen verwunschenen Märchenwald versetzt.

Portugal Madeira Wasserfall

Von Ribeiro Frio aus laufen wir in völliger Einsamkeit durch gespenstischen Nebel und urzeitlichen Lorbeerwald. Es tropft von sattgrünen, überdimensional erscheinenden Farnen herab, neben mir gluckert das Wasser, der hier steil abfallenden Levada, und durch die dunstige Nebelsuppe höre ich die gedämpften Stimmen von Arbeitern, die irgendwo vor uns sein müssen und den kleinen Kanal von Laub und Ästen befreien.

Nach der nächsten Biegung werden wir tatsächlich mit einem lang gezogenen „dííííía“ (Tag) begrüßt. Die Levadaarbeiter tragen die typischen, aus grober, brauner Wolle gestrickten Mützen, deren Bommel größer zu sein scheint als der Kopf. Das verleiht ihnen, vor allem bei strahlendem Sonnenschein, ein etwas befremdliches Aussehen. Aber diese Kopfbedeckung isoliert gegen die Hitze bzw. die starke Sonneneinstrahlung genauso gut wie gegen die feuchte Kälte, erklärt man mir anderntags.

Bergab mit dem kuriosen Korbschlitten

Auch bei Porto Moniz im Norden der Insel, beobachten wir einen Arbeiter mit Sichel in der Hand, der die Levadas von zu starkem Pflanzenbewuchs freihalten soll. Doch plötzlich hält er inne und betrachtet ganz lange ein orangenes Blümlein, das zwischen Farnen aus der Felswand sprießt. „Soll ich dieses Blümlein wirklich abmähen?“ scheint er zu überlegen.

Portugal Madeira Levada

Welches Blümlein soll abgemäht werden?

Er tritt ein paar Schritte zurück, ein paar vor, blickt genauer hin, kann sich offensichtlich nicht entscheiden, schaut auf die Uhr und entscheidet sich erst einmal, Mittagspause zu machen und der nahegelegenen Bar einen Besuch abzustatten. Wie das Leben des Blümleins weiterging oder endete, weiß ich leider nicht.

Geht man entlang der Levada dos Tornos von Camacha nach Monte, so könnte man von dort aus ein anderes originelles Verkehrsmittel benutzen, um in die Inselhauptstadt zu gelangen: den Korbschlitten, carro de cesto, das erste öffentliche Verkehrsmittel Portugals, das heute nur noch den Touristen dient.

Portugal Madeira Korbschlitten

Das erste öffentliche Verkehrsmittel Portugals: der Korbschlitten

Auf hölzernen Schlittenkufen gleiten die carros auf Kopfsteinpflaster aus anthrazitfarbenem, harten Basalt gen Funchal. Die Fahrer, carreiros genannt, stehen auf Kufen, lenken und bremsen mit ihren klobigen Lederschuhen. Doch nach Monte hinauf und wieder hinab, wo der österreichische Kaiser Karl I. begraben liegt, schweben Touristen heutzutage in bequemen, sauberen Kabinen der neuen Seilbahn. Übrigens nicht die erste - es soll schon im 19. Jahrhundert eine von Monte nach Terreiro da Luta gegeben haben, um den Besuchern den mühsamen Aufstieg zu ersparen. Die Einheimischen nehmen weiterhin einen der postgelben Busse, die sich die Serpentinen hinauf- und hinabwinden und -quälen.

Portugal Madeira Fafen

Noch stört hier kein Baukran die Aussicht

Vom Flughafen in die Stadt, also nach Funchal, denn eine andere gibt es hier nicht, führt eine Art Autobahn. Niemand, außer er müsste aus irgendeinem Grund, fährt mehr auf der alten Straße, die sich bis ganz hinten in die Täler windet, sondern auf dieser: Sie führt auf Stelzen und durch Tunnels immer geradeaus. Auf Stelzen verlängert ins Meer hinaus, und somit jumbotauglich gemacht, wurde auch die Start- und Landebahn des Flughafens von Madeira. EU-Mittel heißt das Zauberwort. Und es wird gebaut: Kräne ragen allerorten in den Himmel, Betonmischmaschinen stehen am Wegesrand der Wanderer.

In der Ferne leuchtet der Atlantik

Ab Poiso kann man auch ins zentrale Hochgebirge aufbrechen, zum 1.818 m hohen Pico do Arieiro, dem dritthöchsten Gipfel der Insel. Vorbei geht es zunächst an Nadelbäumnen und dann an weiten hellgrünen Flächen mit grasenden Schafen und Ziegen, was eher an eine irische Landschaft erinnert. Zur Linken taucht ein altes Eishäuschen auf, in dem man früher das Eis aufbewahrte und es von hier aus hinunter in die Stadt Funchal brachte.

Portugal Madeira Gipfel

Der Mühe Lohn: ein fantastischer Rundblick

Inzwischen sind wir hoch über dem Wolkenmeer, das sich ständig verändert und den Blick freigibt auf unzählige nebelverhangene Schluchten. Die letzten Meter führen Stufen hoch hinauf zum Gipfel. Ein fantastischer Rundblick vom Miradouro do Juncal aus ist die Belohnung! Graues und rotbraunes Felsgestein ragt gezackt wie messerscharfe Klingen in den Himmel. Sehr weit weg in bläulicher Ferne leuchtet der kühle Atlantik hinter dem tiefgrünen Mittelgebirge.

Portugal Madeira Bergrücken

Orte mit magischer Anziehung....

Dorthin, in dieses Gebirge, brechen wir anderntags unfreiwilligerweise auf. Es gibt eben Orte, die lassen einen nicht los. Manche aber, obwohl man weiß Gott keinen Grund hat, sie zu lieben. So ein Ort ist für mich Santo da Serra. Ich wollte nicht hin. Wirklich nicht! Denn als es mich die letzten beiden Male in dieses gottverlassene Kaff verschlagen hatte, goss es in Strömen. Für mich gab es nichts besseres zu tun, und für die anderen scheinbar auch nicht, als mich postwendend in die „Pastelaria Vieira“, verkehrsgünstig gegenüber der Bushaltestelle gelegen, zu flüchten und hausgemachten „Poncha“, ebenfalls in Strömen, in mich hineinzuschütten, um wenigstens ein bisschen warm zu werden und auf bessere Zeiten, besser gesagt auf den Bus nach Funchal, zu warten.

Auf Abwegen im Regen

Portugal Madeira Verkostung

Poncha ist übrigens eine leckere Mischung aus Limettensaft, Honig und Zuckerrohrschnaps, kräftig durchgeschüttelt und noch schaumig in die Gläser eingegossen. Das wärmt tatsächlich besser durch als der „Galao“, der Milchkaffee im Limoglas, den ich mir zuvor fälschlicherweise bestellt hatte. Ich erntete eine Mischung aus strafenden oder befremdlichen Blicken von den auch hier hinter der Theke vertretenen älteren Herren. Nun schien ganz Santo da Serra diesem einzigartigen Sonntagsvergnügen zu frönen.

Wie wir hierher kamen? Nun - wir wollten die Levada da Serra entlang wandern. Der Taxifahrer schmiss uns an der falschen Stelle raus, und die Stufen, die angeblich zur Levada hinaufführten, führten nur zu einem Grundstück. Drei bellende, zähnefletschende Hunde eilten uns entgegen. Den Rest kann man sich denken: Wir strebten rückwärts in Richtung Paragem, Bushaltestelle, und warteten geduldig auf den nächsten Bus, egal wohin, nur weg von hier. Und der fuhr - nach Santo da Serra, richtig, und dort regnete es gerade in Strömen und wir ... Aber das wissen Sie ja schon.

Portugal Madreia Wanderweg

Ist das der Weg zurück?

Nach etwa einer Stunde bringt uns der Fahrer des Gegenbusses, der mit einer Schiebermütze hinter dem Steuer thront, über steile, kurvenreiche Straßen sicher zurück nach Funchal in die – richtig geraten – Bar „Rio de Janeiro“.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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