REIHE UNTERWEGS

Madeira durch den Magen

Ein kulinarischer Streifzug über die Atlantikinsel

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Madeira - Gärten und Pool der Quinta Jardins do Lago

Gärten und Pool der Quinta Jardins do Lago

Colombo reckt seinen Hals vor - ganz langsam. Den Zwergbananen kann er nicht widerstehen. Wer möchte es ihm verdenken, diese Bananen schmecken wirklich noch so, wie sie heißen, auch wenn sie auf dem EU-Markt nicht verkauft werden dürfen, weil sie irgendeine Norm nicht erfüllen. Doch Normen scheren den Altehrwürdigen einen feuchten Kehricht, und nun beißt er endlich vorsichtig zu. Colombo ist eine Riesenschildkröte und wurde 1958 auf den Galapagos-Inseln geboren. Heutzutage residiert er in den subtropischen Gärten der Quinta Jardins do Lago (1) mit ihren grünen hölzernen Fensterläden, 1850 erbaut, hoch in den Hügeln mit Blick über die Bucht von Funchal. Im angeschlossenen Restaurant „The Beresford“, benannt nach dem ehemaligen Besitzer der Quinta, General Beresford, einem Kommandeur der britischen Truppen, der zur Zeit der Napoleonischen Kriege hier lebte, wird elegant getafelt. Duarte Vieira da Silva, Direktor der Quinta, empfiehlt das heutige Menü: Madeira Thunfischcarpaccio, temperiert mit regionalem Poncha, dazu Avocadotartar, grüner Apfel und Mango. Es folgt Schwertfisch mit Speck und gebratener Banane, Erbsenmousse, Endivien und marinierten roten Zwiebeln. Als Nachspeise Flan (Karamellpudding) mit Früchten. Neidisch könnte man werden.

Madeira - Madeira Thunfischcarpaccio, temperiert mit regionalem Poncha, Avocadotartar, grüner Apfel und Mango

Madeira Thunfischcarpaccio, temperiert mit regionalem Poncha, Avocadotartar, grüner Apfel und Mango

Doch das muss nicht sein. Denn die noblen Quintas, ehemalige Herren- und Adelshäuser, sind heute für jedermann zugänglich, sei es, um dort zu logieren und/oder um dort vorzüglich zu speisen. Madeira ist schließlich mehr als Zwergbanane und Schwertfisch. In der geschäftigen Markthalle der Inselhauptstadt Funchal, dem Mercado dos Lavradores, lässt sich dies überprüfen. Der Farbenrausch und die Fülle an tropischen Früchten, Fischen und Gemüse ist einmalig: tiefrote Chilis in verschiedenen Formen, Silber- und Zwergbananen, Maracujas, Avocados, so genannte Ananasäpfel, gesalzener Kabeljau. Über marmornen Tischen hängende Schwertfische wedeln im Wind, Thunfisch, Wolfsbarsch, gepresster Tintenfisch. Blaue Hosen und Hemden, weiße Gummistiefel und Plastikschürzen tragen die Fischverkäufer. Marcelino ist einer davon und weiß: „Dieser Fisch ist so gut, dass die Leute mit einem getrockneten Tintenfisch zum Eingang gehen, wenn Benfica hier spielt, und die Kontrolleure lassen sie dafür ins Stadion.“ Der Fisch als Zahlungsmittel und Eintrittskarte. Das Angebot scheint grenzenlos. Gleich am Eingang verkaufen die Blumenfrauen in ihrer traditionellen Kleidung büschelweise, was hier auch noch wächst: Meterhohe Strelitzien, Callas, Protheas, Flamingoblumen.

Kaninchen-Terrine und Felsenbarsch

Madeira - Quintinha São João, Restaurant “A Morgadinha”, Vorspeise: Kaninchen-Terrine, Feigen-Chutney, madeirensisches Krokantbrot, Madeirawein

Vorspeise: Kaninchen-Terrine, Feigen-Chutney, madeirensisches Krokantbrot, Madeirawein

Verschwenderisch gestaltete Blumengestecke und –Sträuße finden sich denn auch in der familiären Quintinha São João (2) in Funchal. Funcho, Fenchel, gab der Stadt aufgrund des Geruchs einst ihren Namen. Man verwendet ihn als Beilage, macht daraus Bonbons, Tee oder Likör. Draußen im Garten der Quintinha, des Quintachens, wachsen an die 400 Pflanzen, erklärt Rosie Borges und bittet ins Restaurant „A Morgadinha“. Nun kann und soll aufgrund Platzmangels und um die Neugierde wach zu halten, hier nicht alles verraten werden, aber ein Beispiel für ein hiesiges Vier-Gänge-Menü ist: Zur Vorspeise Kaninchen-Terrine, Feigen-Chutney, madeirensisches Krokantbrot, Madeirawein, sodann Lauchsuppe mit Basilikum. Als Hauptgericht gemeiner Felsenbarsch auf Erbsenbett mit Majoran, Olivenöl und grünem Spargel und zur Nachspeise ein Duo von Schokoladenmousse und Kaffeesoße. Mein Hauptpreis geht an den Felsenbarsch, der puristisch daher kommt, wirklich seinen eigenen Geschmack entfalten darf und nicht von Gewürzen überlagert wird.

Honigkuchen und Madeira-Wein

Madeira - Quinta do Furao - Nachspeise: Vanilleeis mit Honigkuchen und Bitterschokolade

Nachspeise: Vanilleeis mit Honigkuchen und Bitterschokolade

Yves Gautier, Chefkoch des Restaurants der Quinta do Furão (3) inmitten von Weinbergen im Norden der Insel bei Santana, haut ein bisschen auf den Putz: Sowas wie Slowfood und Essen aus heimischen Zutaten, bei dem der Eigengeschmack erhalten bleiben solle, sei doch seine Erfindung gewesen, das mache er schon lange. Und darauf lacht er sein gewinnendes schelmenhaftes Lächeln. „Los, komm mit in die Küche!“, befiehlt der Küchenchef und lacht noch lauter. Er pflegt die regionale madeirensische Küche und setzt ihr moderne Noten auf. Topfgucker dürfen wir nun spielen und das Schweinefleisch mit Knoblauch in Weißweinsoße, das wir gleich verzehren werden, bewundern, den selbst gemachten Essig probieren und die selbst gezogenen Kräuter aus dem Garten hinterm Haus. Vorspeise wird eine Hühnersuppe sein, als Abschluss gibt es einen Bolo de Mel, Honigkuchen. Und das alles ist im Grunde ein typisch madeirensisches Weihnachtsmenü, erklärt Yves. Der Bretone war einst bei den Roux-Brüdern in London beschäftigt, kochte für die jordanische Königsfamilie und in einem Grand-Hotel in Luzern. Der Liebe wegen ist er hier geblieben. Liebe geht durch den Magen, das Menü ist formidabel, doch die Aussicht auf die wilde zerklüftete Steilküste ist es auch. „Geht hier überhaupt jemand wandern?“, fragt einer, „Ich würde den ganzen Tag hier bei diesen Blicken verbringen und mir einen Madeira gönnen.“ Solche Gäste gibt es, lacht Pedro Costa, der Manager der Frettchenquinta, wie sie übersetzt heißen würde, und lädt zur Verkostung in den hoteleigenen Weinkeller.

Madeira - Pedro Costa, Manager der Quinta do Furão (links) und Ricardo Abreu laden zur Madeira-Weinprobe

Pedro Costa, Manager der Quinta do Furão (links) und Ricardo Abreu laden zur Madeira-Weinprobe

Ricardo Abreu erklärt den Madeira-Wein, die verschiedenen Trauben Sercial, Verdelho, Bual, Malvasia. Die Legende besagt, dass einst seine Gärung wegen der Haltbarkeit mittels Branntwein abgebrochen worden war und die Matrosen oder der Besitzer fanden, dass er nach der Reise im Holzfass bis Indien noch besser gemundet habe. Also musste der Madeira die Reise fortan ständig antreten. „Heutzutage ist das natürlich nicht mehr so“, beeilt sich Ricardo zu erklären, „er wird bei einer Temperatur zwischen 45 und 75 Grad drei bis fünf Monate lang gelagert und reift stationär.“ So wird der Fruchtzucker karamellisiert und der Madeira-Wein bekommt seinen typischen Geschmack bei einem Alkoholgehalt von 18 bis 22 Prozent. Das Siegel des Instituto Vinho da Madeira garantiert die Echtheit und Qualität. Süßes Zeug? Das ist ein Vorurteil. Hier vergeben wir den ersten Preis an einen trockenen, zehn Jahre alten Reserva. Im September gibt es übrigens auch ein Weinfest in der Quinta.

Eigentlich wird von dieser Quinta aus gewandert, denn die Levadas, in Stein gehauene Bewässerungskanäle, an denen Wanderwege entlang führen, liegen quasi vor der Haustür. An die 2.300 km davon ziehen sich um die Insel, die nur ca. 58 km von Ost nach West und um die 22 km von Süd nach Nord misst. Ihr Lorbeerwald gehört seit 1986 zum Weltnaturerbe der UNESCO. Grandiose Ausblicke bieten sich fast nach jeder Kurve.

Die Quinta der schönen Ausblicke ist die palastartige Quinta da Bela Vista (4) aus dem Jahre 1844, der Name ist Programm. Hoch oben auf einem Hügel innerhalb zwei Hektar luxuriöser Gartenanlagen mit Kapokbäumen liegt sie mit Blick über die weit geschwungene Bucht von Funchal. Und auch in der exklusiven Quinta gibt es jede Menge zu sehen, ist sie doch größtenteils verschwenderisch mit Originalmobiliar, –teppichen und -gobelins ausgestattet. Fast wähnt man sich in einem Museum, und zwar in einem mit Charme und Charakter. Der Atem der Geschichte weht durchs Haus und auch auf den gedeckten Tisch: Antikes Tafelsilber findet sich im Restaurant “Casa Mãe” neben feinstem Porzellan. Darauf findet sich als Vorspeise Hummer und tropische Früchte an Rucolasalat, als 2. Gang: Tomatensuppe mit pochiertem Ei, ein typisch madeirensisches Gericht. Mehr typisch Einheimisches wäre des öfteren zu wünschen, ab und an verliert man sich in den Quinta-Restaurants in Schnörkeleien, die gar nicht nötig wären.

Madeira - Quinta da Bela Vista

Quinta da Bela Vista

Doch dies ist nicht die einzige Quinta mit hervorragendem Restaurant in Funchal. Eher modern ist die elegante Quinta da Casa Branca (5), deren Hotelgebäude klare geometrische Linien und viel Weiß aufweist. Für das wegweisende Design gab es Architekturpreise, doch es wäre keine Quinta, wenn sich dahinter nicht ein altes Herrenhaus verbergen würde, in dem sich das Gourmetrestaurant „Casa da Quinta“ befindet. Modern, exklusiv, ländlich . So verschieden wie die Quintas sind die Restaurants und ihre Köche, die Köche und ihre Gerichte. Im Restaurant „Casa da Quinta“ speist man auf schlicht weißem Geschirr So kommt alles zur Geltung: Als Vorspeise die dampfgegarte Garnele mit Püree und Fenchel-Pickles, Endiviensalat, Kokos-, Limetten- und Currysoße, was vielleicht eher englisch anmuten mag. Der gebratene Rotbarsch auf Tomatensoße wird als Hauptgang serviert, dazu Spaghetti Vongole. Letztere sind vielleicht zuviel des Guten, die leckeren madeirensischen Kartoffeln hätten als Beilage dazu durchaus gemundet.

Keep it simple

Madeira - Quinta Serra Golfe - Hauptgang: Schwertfischfilet mit Kräutern, Süßkartoffeln und Gemüse (Fenchel, Tomate, Gurke, Endiviensalat)

Hauptgang: Schwertfischfilet mit Kräutern, Süßkartoffeln und Gemüse (Fenchel, Tomate, Gurke, Endiviensalat)

Die Quinta Serra Golfe (6) ist ein himmelblaues Gebäude aus den 20er Jahren, einst beherbergte sie das Teehaus des nahen Golfplatzes. Das Logo in Form des Hauses ziert sogar die Teller im Restaurant „Avó Micas“. Köchin Conceição Pereira empfiehlt heute eine samtige Zwiebel-Kartoffelsuppe, dann Schwertfischfilet mit Kräutern, Süßkartoffeln und Gemüse (Fenchel, Tomate, Gurke, Endiviensalat). Das ist echte saisonale und regionale Küche, beides übrigens nach Rezepten von Conceiçãos Großmutter gekocht. Das Brot ist hausgemacht, die Beilagen aus biologischen Produkten der Gegend. „Keep it simple“, ist das Motto der Küche, erklärt Direktor José Carlos Martins, der außerdem Gastroenterologe ist und viel über Ernährung weiß. Außerdem solle ein Madeirawein nicht fehlen, meint er und präsentiert gut gelaunt verschiedene zur Auswahl. Uma bica (ein Espresso) rundet die Sache ab. Delicioso.

Madeira - Quinta Serra Golfe - Direktor José Carlos Martins präsentiert Madeirawein zum Dessert

Direktor José Carlos Martins präsentiert Madeirawein zum Dessert

Wem jetzt nach Meeresrauschen und Atlantik ist, der ist in der Quinta Albatroz Beach & Yacht Club (7) richtig. Meine Leibspeise von Koch Albino ist das lokale Bolo do Caco, Knoblauchbrot. Nirgendwo schmeckt es so gut wie hier. Das wird er nicht gerne hören, sind doch seine Menüs ebenfalls lecker. Dennoch: 1. Preis fürs Bolo do Caco der Quinta Albatroz! Warum heißen die Quintas eigentlich Quintas? Früher mussten deren Pächter jeweils den fünften Teil ihrer Ernte, meist Wein, Bananen und Zuckerrohr, an den Grundbesitzer abgeben. Der fünfte Teil heißt auf Portugiesisch quinta parte.

Madeira - Bolo do Caco, Madeirensisches Knoblauchbrot

Bolo do Caco, Madeirensisches Knoblauchbrot

Einst als Jagdschloss des ersten Grafen von Carvalhal, João Esmeraldo, angelegt, liegt das Fünfsternehaus Quinta Casa Velha do Palheiro (8) inmitten exotischer Bäume und Blumen. Restaurantmanager Luís Emanuel serviert gegrilltes Lachssteak mit einer “Choron”-Soße, dazu Gemüse-Spaghetti, zerdrückte Kartoffeln und frische Petersilie. Die Quintas, ihre Köche, ihre Menüs sind so unvergleichbar wie die Gebäude und ihre Gärten. Traumhaft aber sind sie alle. Einzig von den Desserts war hier nicht allzu oft die Rede. Da wünschte man sich mehr von den heimischen exotischen Früchten und weniger Speiseeis und Crêpes. Doch halt, apropos traumhaft, vor dem Schlafen und Träumen soll eines nicht verschwiegen werden: Poncha! Der perfekte Absacker wird gemixt aus Orangen- und Zitronensaft, Honig und Aguardente (Zuckerrohrschnaps) und besonders gerne in den Bergen getrunken. Sogar gut gegen Erkältung soll er wirken. Dem Tiefschlaf ist er allemal förderlich.

Madeira - Quinta Casa Velha do Palheiro - Restaurantmanager Luís Emanuel serviert

Restaurantmanager Luís Emanuel serviert

Ach, Colombo. Du begleitest mich bis in den Schlaf. Auf meinem Kopfkissen lag ein Pralinenschächtelchen und wünschte süße Träume, die Praline ließ ich mir ganz langsam auf der Zunge zergehen und musterte dabei die Verpackung noch einmal genauer. Und nun raten Sie mal, wer darauf abgebildet war? Boa noite, Colombo!

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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