Reiseführer Prag Tour 4: Josefov, die ehemalige Judenstadt



Spuren einer 1000jährigen jüdischen Geschichte unweit des Zentrums der Altstadt: Im Mittelpunkt der malerische Alte Jüdische Friedhof, nicht weit entfernt mehrere Synagogen. Fast ebenso weit in die Vergangenheit zurück führt die Geschichte des Agnesklosters.

Prag Kleinseite
Image by Lenalensen from Pixabay

Karte Tour 4: Durch die ehemalige Judenstadt

(1) Altneusynagoge (2) Hohe Synagoge (3) Klausensynagoge (4) Alter Jüdischer Friedhof (5) Pinkassynagoge (6) Kunstgewerbemuseum (7) Rudolfinum (8) Maiselsynagoge (9) Heiliggeistkirche (10) Spanische Synagoge (11) St. Simon-und-Juda-Kirche (12) Agneskloster

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Die ältesten jüdischen Siedlungen existierten bereits im frühen Mittelalter (10. / 11. Jh.) unterhalb der Prager Burg, später im Bereich des Vysehrad. Alte Schriften sprechen im 10. Jh. von Prag als einer Stadt, in der auch Juden zum Markt kommen, um ihre Waren zu tauschen, und spätestens seit dem ausgehenden 12. Jh. haben Juden sich auch am rechten Moldauufer auf dem Gebiet der späteren Judenstadt niedergelassen.

Eine entscheidende Wende vollzog sich im 13. Jh. Seit der Ächtung der Juden durch das Laterankonzil des Jahres 1215, das sie zur räumlichen Trennung von anderen Bevölkerungsgruppen zwang, und mit dem Zusammenwachsen der verstreuten Siedlungen am rechten Moldauufer zu einer befestigten Stadt bildete das jüdische Viertel eine Enklave inmitten der christlichen Altstadt. Erst nach 1848, als die Juden endlich die vollen Bürgerrechte erlangt hatten und sich auch außerhalb des Ghettos niederlassen konnten, vermischten sich die Lebensräume stärker. Das alte Ghetto blieb - von wenigen Ausnahmen abgesehen - Wohnstatt für die Armen, nach und nach zogen auch Nichtjuden ein. Die Wohnungen waren überfüllt, die Sanitäranlagen völlig unzureichend. So ist es nicht verwunderlich, dass die Sterblichkeitsrate hier besonders hoch war. Das Gassengewirr mit seinen verschachtelten Häusern und Anbauten war der aufstrebenden Stadt des 19. Jhs. bald ein Dorn im Auge. Die teilweise katastrophalen hygienischen Verhältnisse schürten die Angst vor Epidemien. Bei einer groß angelegten Sanierung des Viertels ab 1895 wurden über 100 Häuser abgerissen und eine moderne Kanalisation und Trinkwasserleitung gelegt. Ein neues Straßensystem mit 10 Strassen trat an die Stelle mehrerer Dutzend Gassen, Passagen und Gänge. Nur wenige historische Stätten blieben erhalten. Das Flair des jüdischen Viertels verschwand fast völlig. Abgesehen vom Alten Jüdischen Friedhof und einigen Synagogen künden heute nur noch alte Zeichnungen und eine reiche, bildhafte Literatur von dieser Vergangenheit.

Die Anlage der Parizská - sie verbindet den Altstädter Ring über die Tschechov-Brücke mit der Parkanlage Letenské Sady auf der anderen Seite der Moldau - war Bestandteil des Sanierungsprojektes der Altstadt, so dass beide Strassenseiten heute von hohen, zwischen 1900 und 1910 errichteten Mietshäusern mit vielfach gegliederten, reich verzierten Fassaden gesäumt werden. Weitere dieser etwas protzigen, Neobarock-, Neorenaissance- und Jugendstil-Bauten findet man in den umliegenden Seitenstrassen wie der Jáchymova und der Siroká.

Links dieser Prachtstrasse liegt das ehemalige Zentrum des jüdischen Viertels. Die Altneusynagoge (1) , bereits im ausgehenden 13. Jh. errichtet, zählt nicht nur zu den ältesten gotischen Bauten Prags, sondern auch zu den ältesten jüdischen Gebetsstätten Europas. Trug sie ursprünglich den Namen Neue oder Große Schule, so geht ihre heutige Bezeichnung auf das ausgehende 16. Jh. zurück. Zahlreiche Erklärungsversuche ranken sich um ihren Namen, einer davon besagt, die Synagoge sei auf den Fundamenten einer alten Andachtsstätte neu errichtet worden.

Altneusynagoge
Zu den unverwechselbaren Merkmalen der Altneusynagoge zählt ihr hohes Satteldach, unter dem der Legende nach Rabbi Löw seinen Golem verbarg. Das frei stehende Hauptgebäude ist an drei Seiten von niedrigen Anbauten umgeben, die als Vorraum bzw. als Frauenraum dienen. Nur durch winzige Öffnungen in den Hauptraum konnten Frauen die Gottesdienste verfolgen. Frühgotische Baukunst zeigt sich im Hauptraum, dessen Rippengewölbe von zwei Pfeilern getragen wird. Anstatt wie sonst vier treffen hier am Schlussstein jeweils fünf Rippen zusammen. Möglicherweise wollte man damit die Kreuzform als christliches Symbol vermeiden. Schlusssteine, Kapitelle und Konsolen sind mit Ornamenten verziert. In der Mitte des Hauptraums wurden von einem erhöhten Podium aus (Almemor oder Bima) - die fünf Bücher Mose - verlesen und Predigten gehalten. In die Ostwand ist der Schrein für die Thorarollen (Aron ha-Kodesch) eingebaut. Eine an Säulen angebrachte große Fahne zeigt einen sechszackigen Stern mit einem Judenhut im Inneren: Jahrhundertelang das Wahrzeichen der Prager Jüdischen Gemeinde. Beim Hinausgehen sollte man noch einen Blick auf das Tympanon über dem Portal werfen. Es zeigt einen Weinstock mit zwölf Wurzeln und zwölf Tauben auf den Zweigen, Sinnbild für die zwölf Stämme Israels.

Direkt gegenüber liegt der Eingang zur Hohen Synagoge (2). 1568 fertiggestellt, erhielt sie diesen Namen, weil sie ursprünglich nur vom ersten Stock des benachbarten Jüdischen Rathauses aus zu erreichen war. Wo heute synagogale Textilien ausgestellt werden - die Vorhänge, Mäntel und Wickelbänder stammen teilweise noch aus dem 16. Jh. - fanden früher wahrscheinlich die Sitzungen des Rabbinergerichts und des jüdischen Ältestenrats statt.

Das anschließende Eckgebäude des Jüdischen Rathauses erhielt seine spätbarocke Gestalt erst 1763 durch den Baumeister Josef Schlesinger. Doch bereits 1541 wird in alten Schriften über ein jüdisches Rathaus berichtet, von dem bis heute nicht ganz geklärt ist, ob es sich an derselben Stelle befand. Gerade die Existenz eines eigenen Rathauses zu jener Zeit kann als Zeichen für eine gewachsene Selbständigkeit der jüdischen Gemeinde gewertet werden. Unterhalb des Rathaustürmchens mit Rokokogitter verdient eine Uhr mit hebräischem Ziffernblatt Beachtung. Ihre Zeiger drehen sich von rechts nach links, genauso, wie die hebräische Schrift gelesen wird. Im ehemaligen Repräsentationssaal des Rathauses wartet heute ein rituelles koscheres Restaurant auf Gäste.

Klausensynagoge

In der Klausensynagoge (Foto: Norbert Schmacke)

Nur wenige Schritte sind es bis zur Klausensynagoge (3) aus dem 17. Jh. in der kleinen Gasse U starého hrbitova. Sie nimmt den Platz von drei Häusern (Klausen) ein, die der reiche Mordechai Maisel zu Ehren Kaiser Maximilians II. im Jahre 1573 hatte errichten lassen und in denen unter anderem eine Schule und ein Ritualbad untergebracht waren. Ihr heutiges Aussehen erhielt die Synagoge erst im 19. Jh. Eine ständige Ausstellung hebräischer Handschriften und Drucke vermittelt einen guten Eindruck vom hohen Stand der Schriftkunst im 16. Jh.

Der Zeremoniensaal der Begräbnisbruderschaft rechts vom Eingang zum Friedhof ersetzte 1908 eine alte Leichenhalle. Eine ständige Ausstellung ist dem Thema Jüdische Bräuche und Traditionen gewidmet.

Zu den herausragenden Sehenswürdigkeiten Prags zählt der . (4)

Vom Friedhof wie von der Strasse Siroka aus zu erreichen ist die eindrucksvolle Pinkassynagoge (5) aus dem 16. Jh., die auf Vorgängerbauten aus dem 11. Jh. zurückgeht. Sie ist heute eine Gedenkstätte für die 77 297 Bürger Böhmens und Mährens, die dem Völkermord durch die Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind. Die Namen der Ermordeten bedecken die Wände der Synagoge und holen die Opfer aus ihrer Anonymität; die Ungeheuerlichkeit der Taten erhält sinnlich wahrnehmbare Gestalt.

Pinkassynagoge

Namen von Ermordeten in der Pinkassynagoge (Foto: Norbert Schmacke)

Ein sehenswertes Museum grenzt im Westen an den Friedhof: Das Kunstgewerbemuseum (6) in der Strasse 17. listopadu 4, ein 1900 entstandener Neorenaissancebau des Architekten Josef Schulz, zeigt hochwertiges Kunsthandwerk seit der Renaissance.

Schräg gegenüber öffnet sich der Jan-Palach-Platz (némestí Jana Palacha), in dessen Verlängerung die Mánes-Brücke zur Kleinseite hinüberführt. Der Platz erinnert an den Studenten Jan Palach, der sich 1969 als Ausdruck des verzweifelten Protestes gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes öffentlich verbrannte. Ein mächtiger Neorenaissancebau erhebt sich an der Nordseite des Platzes: Das Rudolfinum (7) wurde von den Architekten Josef Schulz und Josef Zítek konzipiert. Heute dient das Gebäude mit dem prunkvollen Dvorák-Saal als Aufführungsort großer Konzerte, vor allem während der Musikfestwochen des "Prager Frühlings". Einen Teil der Räume nimmt die Galerie Rudolfinum ein, in der wechselnde Ausstellungen vornehmlich zeitgenössischer Kunst präsentiert werden.

Das Denkmal des Malers Josef Mánes unweit des Brückenkopfes wurde von Bohumil Kafka entworfen. Mánes zählt zu den wichtigsten böhmischen Malern des 19. Jhs., von ihm stammen u.a. die Bilder auf dem unteren Blatt der Altstädter Rathausuhr.

Über die Siroká, an der Südmauer des Alten Jüdischen Friedhofs entlang, geht es rechts in die Maiselova, in der sich nach wenigen Metern die Maiselsynagoge (8) erhebt. Die 1592 fertiggestellte, von Mordechaj Maisel gestiftete Synagoge wurde um 1900 in neogotischem Stil umgebaut. Die dortige Ausstellung ( Die Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren - von den Anfängen der Besiedlung bis zur anbrechenden Emanzipation) behandelt die Geschichte jüdischen Lebens bis zum Ende des 18. Jhs.. Sie zeigt synagogale Kultgegenstände, umfasst wertvolle Thoraschilder verschiedener Goldschmiedemeister, silberne Leuchter und Gewürzbüchsen sowie Zeigestöcke (Jad), die man beim Vorlesen aus der Thora benutzte, um den Text nicht mit den Händen berühren zu müssen.

An der Ecke Siroká / Dusní erhebt sich die christliche Heiliggeistkirche (9) (Kostel Sv. Ducha). Die ursprünglich gotische, 1689 barock umgebaute Kirche hält ihre Pforten oft geschlossen, so dass Besucher nur selten Gelegenheit erhalten, im Inneren die vor 1380 entstandene Pietà aus der Werkstatt Peter Parlers zu bewundern.

Die Spanische Synagoge (10) gleich gegenüber wurde zwar erst Ende des 19. Jhs. errichtet, zu ihren Vorläuferbauten zählt jedoch die älteste bekannte Synagoge der Stadt, die sogenannte "Alte Schule". Der heutige Name der Synagoge weist auf Juden aus Spanien hin, die zu Beginn des 16. Jhs. vor der dortigen Inquisition geflohen waren. Die Umgebung der Spanischen Synagoge war traditionell das Zentrum der Ostjuden, während die den "Westritus" zelebrierenden Glaubensgenossen in der Regel die Gegend um die Altneusynagoge bewohnten. Die Spanische Synagoge wurde im maurischen Stil errichtet, auch im Inneren finden sich zahlreiche orientalische Motive und Arabesken. Die hier gezeigt Ausstellung führt die Ausstellung der Maiselsynagoge fort und umfasst die Geschichte des jüdischen Lebens in Böhmen und Mähren vom Anfang des 18. Jhs. bis in die jüngste Vergangenheit.

Spanische Synagoge

In der Spanischen Synagoge (Foto: Norbert Schmacke)

Der Dusní nach links folgend erreicht man bald die 1618-1620 für die Böhmischen Brüder errichtete St. Simon-und-Juda-Kirche (11). Auch diese Kirche werden Besucher häufig verschlossen vorfinden. Da bleibt nur der Besuch eines der häufig stattfindenden Konzerte, um die Orgel, an der schon Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart spielten, oder das Altargemälde von Wenzel Lorenz Rainer aus dem 18. Jh. in Augenschein zu nehmen.

Der Strasse U milosrdnych folgend gelangt man zu einem kleinen Juwel der Altstadt, dem . (12).

Einige kleine Gassen in unmittelbarer Umgebung des Agnesklosters wie die Anezská atmen noch heute die Atmosphäre der mittelalterlichen Stadt. Für den Rückweg zum Altstädter Ring stehen zwei Möglichkeiten offen: Man kann, vorbei an der St. Castulus-Kirche aus dem 14. Jh. durch die Hastalská und die Vezenská mit ihren sehenswerten Jugendstilfassaden bummeln und an der Dusní nach links zur St. Salvator-Kirche abbiegen, einem von deutschen Lutheranern Anfang des 17. Jhs. errichteten Gotteshaus. Das benachbarte Gebäude in der Salvátorská Nr. 8 beeindruckt durch eine graphisch interessante Backsteinfassade.

Allerdings lohnt auch ein Streifzug durch die Dlouhá, eine der ältesten Prager Strassen. Das Haus Zum goldenen Baum Nr. 37 ist vor allem wegen seiner Renaissance-Arkaden im Hinterhof aus dem 17. Jh. von Interesse. Sehenswert auch der mit Halbreliefs geschmückte Eingang des Hauses Nr. 36 (1898) mit einem von zwei Knaben flankierten, schlangenumwundenen Kopf. Nicht weit vom Haus Zur Maria auf dem Felsen Nr. 30 aus dem 18. Jh. - erkennbar an einer Marienfigur als Hauszeichen - scheinen sich die beiden Barockhäuser Nr. 24 und 26 zwischen den großen Wohnbauten fast verstecken zu wollen.

weiter mit Tour 5...


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