Text und Fotos: Franz-Josef Krücker
Der König war nicht groß, man schätzt anderthalb Meter nur. Er verbrachte die heißen Tage gerne außerhalb des Palasts in der grünen parkartigen Umgebung, im Xung-Khiem-Pavillon am kleinen künstlichen Luu-Khiem-See mit Blick auf die Tinh-Khiem-Insel. „Khiem“ bedeutet „Mittelmäßigkeit“, das lag ihm. Er saß auf einem mittelgroßen Kissen auf dem Holzboden des auf Pfählen im See stehenden Pavillons, dessen weit auskragendes Dach Schutz vor der heißen Sonne bot. Zu seinen Füßen die junge Palastdame, die er heute ausgewählt hatte, damit sie seinen Versen lauschte. Zwei Eunuchen drückten sich im Hintergrund an ein hölzernes Gitterfenster.
Der Xung-Khiem-Pavillon im Mausoleum des Königs Tu Duc
Der Palast war weit weg von seinen Gedichten. Und die Franzosen auch. Dachte er. Und so fühlte er sich am wohlsten. Denn er war zwar der König, doch das Regieren lag ihm nicht. Seine Frau lag ihm nicht, und die Franzosen, die draußen vor der Tür standen, um sein Reich zu übernehmen, lagen ihm auch nicht. Strophen rezitieren. Auf den See blicken. Das lag ihm.
Der Name des Königs war Tu Duc. Er regierte von 1847 bis 1883, hinterließ bei seinem Tod keine direkten Erben, sondern eine veritable Regierungskrise, denn im Jahr 1883 saßen insgesamt vier Könige auf dem Thron, und der letzte blieb auch nur bis ins folgende Jahr. Dann hatten die Franzosen alles unter Kontrolle und suchten sich die Könige unter der weitläufigen Prinzenschar selbst aus. Vietnam war wieder einmal Kolonie.
Der Park, in dem Tu Duc der Welt entfloh, war nicht irgendein Park, sondern sein Mausoleum. Das hieß Lang Khiem, also „Mausoleum der Mittelmäßigkeit“ und liegt einige Kilometer südlich der mittelvietnamesischen Stadt Hue, die von 1802 bis 1945 Hauptstadt Vietnams war, als die letzte Dynastie, die Nguyen-Dynastie, dort herrschte. 1847 war Tu Duc als 18-jähriger Prinz noch ganz munter, usurpierte den Thron, der eigentlich seinem älteren Bruder zugestanden hätte, doch die folgenden Familienstreitigkeiten und die herannahenden Franzosen überforderten ihn, vielleicht auch seine mehr als einhundert Konkubinen, denn keine brachte den ersehnten Thronfolger zur Welt.
Opulent geschmückte Tore verbinden die Höfe
Das Mausoleum ließ der König ab 1864 errichten, drei Jahre später war es fertig. Es passt sich harmonisch in die wellige Landschaft ein, obwohl hier jeder Baum, jeder Stein von Menschenhand an seinen Ort befördert wurde. Der baumgesäumte künstliche See erstreckt sich im Osten, wo die Sonne aufgeht, die Bauwerke streben in zwei Achsen nach Westen, denn der Sonnenuntergang symbolisiert den Tod. Vom Seeufer führt eine breite Treppe hinauf zur Hoa-Khiem-Halle, die Tu Duc zu Lebzeiten als Arbeits- und Empfangsraum nutzte; heute ist sie der Ahnentempel für König und Königin, deren Ahnentafeln auf dem hinteren Altar stehen. Dies sind kleine, rot gestrichene Holzbrettchen, auf denen vergoldete Schrift die Lebensdaten der Verstorbenen festhält. Von der Halle erreicht man einen umschlossenen Innenhof, dessen nördliches Gebäude einst ein Theater war, sehr ungewöhnlich für eine Grabanlage, aber der König lebte schließlich wochenlang hier. Der westliche Luong-Khiem-Tempel beherbergte einst das königliche Schlafgemach, während heute dort seiner ganzen Familie gedacht wird.
Verband die erste Gebäudeachse den König mit dem Leben, so stand die zweite für den Tod. Einen gepflasterten Hof flankieren lebensgroße Steinfiguren, die Elefanten, Pferde, zivile und militärische Mandarine darstellen, also die königlichen Helfer. Dann folgt ein Pavillon mit der größten Steinstele Vietnams, auf der mit 5400 Schriftzeichen das Leben Tu Ducs erläutert ist, verfasst von ihm selbst.
Hier herrscht nun keine Mäßigung mehr, denn es ist durchaus ungewöhnlich, dass ein König auf seiner Stele sich selbst lobte, normalerweise überließ er dies seinem Nachfolger. Bald steht man vor einem mondsichelförmigen kleinen See, der die Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten markiert. Dahinter umgibt eine hohe Mauer einen Innenhof mit einem steinernen Sarkophag.
Der Sarkophag des Königs Tu Duc in seinem Mausoleum
Darüber, wo der König tatsächlich begraben ist, erzählen viele Leute viele unterschiedliche Geschichten. Die offizielle Version ist: tief unter dem Sarkophag. Die am liebsten erzählte besagt, dass Eunuchen unter der Aufsicht von zwei Mandarinen einen unterirdischen Tunnel vom Sarkophag bis unter den Luong-Khiem-Tempel graben und den Sarg mit den königlichen Überresten dorthin ziehen mussten – nur um dann mit ihrem toten König lebendig eingemauert zu werden.
Die Idee der Mausoleen im Grünen war jedoch gar keine vietnamesische; vielmehr ist der große Bruder im Norden dafür verantwortlich, die Chinesen, die 900 Jahre eine brutale Kolonialmacht in Vietnam waren, die vietnamesische Kultur unterdrückten, wo sie es nur konnten und das Land ausplünderten. Auch der von der Monarchie geschätzte Konfuzianismus, der Vietnam bis heute beherrscht, ist ein chinesisches Erbe, das die Kommunistischen Parteien in beiden Ländern gerne übernahmen, da er so schön konservativ und machterhaltend ist. Die Könige der Nguyen-Dynastie hingegen übernahmen die jahrhundertealten hohlen Zeremonien mit großem Pomp, nachdem sie nach kriegerischen Jahren 1802 an die Macht gelangt waren.
Sie bauten in ihrer Heimatstadt Hue zunächst einen völlig neuen Palast nach Pekinger Vorbild. Er liegt gegenüber der Stadt am Nordufer des „Parfümflusses“, des Huong Giang, ist fast quadratisch wie die Erde, die man sich damals vorstellte, von einem mächtigen Wassergraben umgeben und an strengen Achsen ausgerichtet wie das Pekinger Vorbild, das aber wesentlich mehr Fläche einnimmt. Man betritt die Anlage durch das nach Süden ausgerichtete Mittagstor, passiert zwei künstliche Teiche und erreicht den Ehrenhof, in dem sich militärische und zivile Mandarine (Beamte) nach Rangordnung aufstellten, wenn der König in der angrenzenden Halle der Höchsten Harmonie einen Empfang veranstaltete. Nur ein Sessel (und ein paar dekorative Vasen) möblierten die von roten Säulen dominierte Halle, denn nur der König saß, alle anderen standen.
In der Halle der Höchsten Harmonie empfing der König offizielle Delegationen
Ein Großes Rotes Tor hinter der Empfangshalle markierte die Grenze zwischen den offiziellen vorderen Gebäuden und den privaten der Königsfamilie dahinter, der „Verbotenen Stadt“. Entlang der Achsen fanden sich Tempel für die Ahnen, die Wohnhöfe der verschiedenen Familienmitglieder, eine Bibliothek und ein Musiksaal sowie verschiedenste Pavillons. Befestigte überdachte Wege verbanden die Gebäude miteinander.
Davon war in den 1990-er Jahren fast nichts mehr zu sehen. Bauern radelten auf ihren Fahrrädern vorbei, eine Hacke auf den Gepäckständer geklemmt, ein Bündel Zwiebeln in der Hand. Wo der König Wachteln verspeist hatte, wuchs nun Gemüse. Seitdem wurde unter Anleitung der UNESCO der auf der Welterbeliste stehende Palast restauriert. Ganze Wohnhöfe und Tempelanlagen entstanden neu, wobei man sich nicht immer ganz sicher sein kann, ob tatsächlich Materialien nach historischen Vorbildern verwendet wurden. Notwendig wurde diese Neuerrichtung, weil große Teile des Palastes bei der Tet-Offensive 1968 zerstört wurden. Die Befreiungsarmee hatte überraschend zum vietnamesisch-chinesischen Neujahrsfest zahlreiche Städte des Südens angegriffen und wichtige Positionen besetzt. In Hue war dies vor allem der Palast, und hier hielten sie den Truppen des Südens und den Amerikanern am längsten stand. Erst als die US-Armee den Palast massiv bombardierte, mussten die vom Norden unterstützten Kämpfer aufgeben. Der Palast blieb als Trümmermeer zurück.
Ein Wassergraben und eine Mauer umgeben den Palast
Rund um den eigentlichen, von einer hohen Mauer umgebenen Palast wohnten die Beamten. Mit dem Fahrrad kann man durch die rechtwinklig zueinander angelegten Straßen gondeln, in die grünen Gärten schauen, in denen hohe, alte Obstbäume – Bananen, Papaya, Litschi, vielleicht auch mal ein Mangobaum – das Blendwerk für nette Häuschen und stolze Villen bilden. Ein paar Cafés haben eröffnet, in größeren Anwesen auch Restaurants, in denen elegante, kräftige Damen, die den Vietnamesen aus den Kochsendungen im Fernsehen bekannt sind, ihre Gäste mit den Kreationen der königlichen Küche verwöhnen, die nicht nur Wert auf Geschmack, sondern auch auf Dekoration legte.
Die königliche Küche legt Wert auf Dekoration
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