Radegast statt Rübezahl (1/2)

Ein Besuch in Mährisch-Schlesien lohnt sich für Natur- und Technikfreunde gleichermaßen

Text und Fotos: Rainer Heubeck

 

Radegast-Statue südwestlich von Pustevny: der slawische Kriegs- und Siegesgott wird als ein Mischwesen aus Löwe und Stier dargestellt

Radegast-Statue südwestlich von Pustevny: der slawische Kriegs- und Siegesgott wird als ein Mischwesen aus Löwe und Stier dargestellt

Als die beiden Slawenapostel Kyrill und Method die Bewohner Mährens zum Christentum bekehren wollten, gingen sie mit der Brechstange vor. Sie zerstörten die Statue des slawischen Gottes Radegast auf dem Berg Radhoscht und errichteten dort ein Kreuz. Doch Radegast ist nicht aus den Beskiden verschwunden. Auf einer 1105 Meter hohen Kuppe südwestlich von Pustevny wurde 1930 eine mehrere Meter hohe Statue der heidnischen Gottheit aufgestellt, die 1998 durch eine Granitkopie ersetzt wurde. Doch wer ist das eigentlich, Radegast? Die fast asiatisch anmutende Figur trägt über dem grimmigen Löwengesicht noch die Konturen eines mit Hörnern versehen Stierkopfes, der auf den ersten Blick an einen gehörnten Wikingerhut erinnert. In seiner knorrigen rechten Hand hält er ein Füllhorn, auf dem eine Ente thront.

Mit dem Sessellift von Trojanovice nach Pustevny: Die Erhebungen der Beskiden sind von Ostrava aus ein beliebtes Ausflugsziel

Mit dem Sessellift von Trojanovice nach Pustevny: Die Erhebungen der Beskiden sind von Ostrava aus ein beliebtes Ausflugsziel

Als die Statue des slawischen Kriegs- und Siegesgottes enthüllt wurde, der auch für Gastfreundschaft, Überfluss, die Ernte, die Fruchtbarkeit und die Sonne zuständig ist, soll es der Legende nach zu mehreren merkwürdigen Zwischenfällen gekommen sein. Der Soldat, der die Skulptur bewachte, soll sogar vom Blitz erschlagen worden sein. Heute jedoch verbreitet Radegast kaum noch Angst und Schrecken, und die zahlreichen Besucher, die von der Bergstation des Sessellifts nach Pustevny hierher hinaufsteigen, verbinden mit Radegast in der Regel vor allem den Namen einer beliebten ostmährischen Biersorte.

Der 660 Meter lange Valaška-Weg bei Pustevny ist einer der schönsten Baumwipfelpfade Tschechiens

Der 660 Meter lange Valaška-Weg bei Pustevny ist einer der schönsten Baumwipfelpfade Tschechiens

Nicht jeder, der mit dem Sessellift von Trojanovice nach Pustevny fährt, begibt sich auf die Spuren des gastfreundlichen Slawengottes. Vor allem Familien haben oft ein ganz anderes Ziel. Den 660 Meter langen Valaška-Weg. Er ist einer der schönsten Baumwipfelpfade Tschechiens und bietet auf 1090 Metern Höhe grandiose Ausblicke. Einen besonderen Kick bieten ein Skywalk, auf dem man das Gefühl hat, in der Luft zu schweben und eine leicht schwankende, mit tibetischen Fahnen geschmückte Hängebrücke, deren Betreten etwas Mut erfordert.

Senkrechter Blick nach unten: Der Skywalk ist eine der Hauptattraktionen des Baumwipfelpfads

Senkrechter Blick nach unten: Der Skywalk ist eine der Hauptattraktionen des Baumwipfelpfads

Von der Spitze des Baumwipfelpfades blickt man nicht nur auf die umliegenden Beskiden, das Auge schweift auch bis nach Stramberg. Eine Stadt, die wir am nächsten Tag besuchen. Sie gilt als Musterbeispiel für die Holzbauweise in der Region – doch nachdem wir an schmucken, massiven Holzhäusern vorbeigegangen sind und den langgestreckten Marktplatz überquert haben, stoßen wir auf einer Anhöhe noch auf ein markantes Steingebäude.

Der Ausflugsort Stramberg ist geprägt von rustikalen Holzhäusern

Der Ausflugsort Stramberg ist geprägt von rustikalen Holzhäusern

Von der ehemaligen Burg Strallenberg ist noch ein Rundturm erhalten, der im Volksmund Trúba genannte wird, was so viel heißt wie Trompete. Ursprünglich soll die Burg auf einem Hügel auf der anderen Seite des Ortes geplant gewesen sein. Doch jedes Mal, wenn man Baumaterial und Steine hinaufschleppte, seien in der Nacht Gnome bzw. Wichtelmännchen gekommen und hätten die Steine wieder bergab gerollt.

Thront hoch über der Stadt: Die Burgruine Strallenberg. Ihr begehbarer Turm wird auch Trompete (Trúba) genannt

Thront hoch über der Stadt: Die Burgruine Strallenberg. Ihr begehbarer Turm wird auch Trompete (Trúba) genannt

Eine schöne Geschichte, die niemanden erschrecken muss. Etwas anders sieht es da aus, wenn es um die Entstehungsgeschichte der Stramberger Ohren geht, einer weit bekannten Spezialität, die in Tschechien in Discountermärkten landesweit angeboten wird. "Der Legende nach entdeckten die Stramberger Bürger, die sich 1241 gegen einen Tartarenüberfall zur Wehr setzten, in einem verlassenen Lager ihrer Feinde gesalzene Menschenohren", erzählt Ladislav Hezky, der sein Leben ganz den Stramberger Ohren gewidmet hat. Er betreibt eine kleine Manufaktur, in der das Süßgebäck in Handarbeit hergestellt wird. "Wir schaffen bis zu 3500 Ohren am Tag", erläutert Hezky, der drei Mitarbeiterinnen beschäftigt.

Ein Experte für die Stramberger Ohren: Der Ladislav Hezky

Ein Experte für die Stramberger Ohren: Der Ladislav Hezky

Jedes Jahr nimmt der passionierte Konditor am Ohrenfestival teil, bei dem der beste Ohrenbäcker gekürt wird und bei dem unter anderem überdimensionale, bis zu 40 Kilogramm schwere überdimensionierte "Öhrchen" aus gewürztem Honigteig gebacken und gemeinsam verspeist werden. Der Geschmack der knusprigen Ohren, die unter anderem mit Zimt, Nelken und Sternanis verfeinert werden, erinnert an Lebkuchen.

3500 Stramberger Ohren werden in der Konditorei Hezky täglich hergestellt – das genaue Rezept ist ein Geschäftsgeheimnis

3500 Stramberger Ohren werden in der Konditorei Hezky täglich hergestellt – das genaue Rezept ist ein Geschäftsgeheimnis

Bewaldete Hügel und romantische Städtchen, das ist die eine Seite von Mährisch-Schlesien. Doch die Region ist keineswegs nur eine Naturidylle, sondern auch industriegeschichtlich bedeutsam. In Kopřivnice, ehemals Nesselsdorf, finden Auto- und Technikfreunde ihr Eldorado, denn gleich drei Automobilmuseen und eine Eisenbahnausstellung sind einen Besuch wert. Obwohl wir uns am Rande der Beskiden befinden, dominiert hier ein anderer Gebirgsname: Tatra. Denn die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, die ursprünglich Kutschen und Pferdefuhrwerke herstellte, baute 1897 das erste Auto in Mitteleuropa. Im Jahr 1919 gab das Unternehmen seinen Fahrzeugen den Markennamen Tatra, wenig später hieß das ganze Unternehmen so.

Auf 14 Stationen durch die Automobilgeschichte: Das Tatra Truck Museum in Kopřivnice (früher Nesselsdorf)

Auf 14 Stationen durch die Automobilgeschichte: Das Tatra Truck Museum in Kopřivnice (früher Nesselsdorf)

Die Geschichte dieses Automobilherstellers lässt sich in Kopřivnice in mehreren Museen nachvollziehen. Das Tatra Truck Museum, das 2021 eröffnet wurde, konzentriert sich vor allem auf Nutzfahrzeuge und präsentiert diese zum Teil mittels Augmented Reality. Auf insgesamt 14 Stationen werden die Anfänge des Unternehmens ebenso dargestellt wie die Gegenwart – dazu kommen Fahrzeuge für spezielle Einsatzzwecke, von Tatra-Feuerwehrfahrzeugen bis zu Tatra-Bussen für den öffentlichen Nahverkehr.

Auf 14 Stationen durch die Automobilgeschichte: Das Tatra Truck Museum in Kopřivnice (früher Nesselsdorf)

Im Tatra Truck Museum in Kopřivnice

Auf über fünftausend Quadratmetern sind mehr als achtzig Fahrzeuge und Fahrgestelle ausgestellt, die sich zum größten Teil in der Privatsammlung von Jiří Hlach befanden, an dessen erstem Todestag das Museum eingeweiht wurde. Wesentlicher älter als das Lkw-Museum ist das Tatra-Pkw-Museum im Stadtzentrum. Und wer dann noch nicht genug hat: Historische Autos, Traktoren und Motorräder verschiedener Marken zeigt in Kopřivnice auch eine umfangreiche Privatsammlung – das AutoMotoMuzeum Oldtimer Kopřivnice. Wer viel Benzin im Blut hat, kann in dem Ort also leicht ein oder zwei Tage verbringen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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