Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther
Zur Begrüßung im Museum spielt ein Drehorgelspieler
Das Museum lässt uns als Besucher auf der eigenen Homepage u.a. Folgendes wissen: „In unserem Museumspark finden Sie ca. 100 historische Gebäude, Bauernhöfe und Mühlen, alle von innen und von außen zu besichtigen. So wird Geschichte hautnah vermittelt und so können Sie die Vergangenheit neu erleben.“ Und weiter lesen wir: „Eine einzigartige Sammlung von historischen Gebäuden aus den gesamten Niederlanden. Von einer Zubringermühle bis hin zu einer Molkerei. Wie wäre es mit einem Besuch bei den Gebäuden am Zaanländer Platz? Oder einem Blick in die Papiermühle?“
Sägemühle aus Numansdorp, auch im Museum in Betrieb
Im Gegensatz zu anderen Freilichtmuseen finden wir nicht nur die dörfliche Architektur und Lebensweise im Freilichtmuseum ihren Niederschlag, sondern auch das urbane Leben, ob im Amsterdamer Quartier Jordaan oder beim Besuch der Arbeiterwohnhäuser aus Tilburg. Wir stoßen auf ein sogenanntes Norwegerhaus, das nach der großen Flutkatastrophe 1953 im Rahmen einer Soforthilfe den niederländischen Flutopfern vom norwegischen Staat zur Verfügung gestellt wurde. Und auch die Kolonialgeschichte der Niederlande wird im Museum thematisiert, ob in der Molukkerbaracke aus Lage Mierde oder in dem Sommerpavillon aus Meppel, in dem man sich mit dem Sklavenhandel in Ghana und an der sogenannten Goldküste beschäftigt.
Molukker-Baracken, in denen Molukker aus Indonesien untergebracht warten, die einst Teil der Königlichen Niederländischen Armee waren und nach der Unabhängigkeit Indonesien für einen eigenen Staat auf den Molukken kämpften
Die Geschichte Indonesiens und der Unabhängigkeit von den Niederlanden wird in einem indonesischen Gartenhaus inmitten tropischer und nicht-tropischer Pflanzensetzungen lebendig. Dieses Haus liegt am Rande einer formalen barocken Gartenanlage mit Buchsbaumhecken. Hier finden wir auch das Cottage eines Zöllners aus Midlaren. Das Thema Ferien und Freizeit wird außerdem thematisiert, unter anderem in Gestalt eines von Gerrit Thomas Rietveld entworfenen Ferienhauses in Merkelo.
Formaler Barockgarten des 17. Jh. und der Teepavillon
Doch zunächst tauchen wir in den Jordaan ein und besuchen Substandard-Wohnhäuser, ein Post- und Paketamt sowie eine Kneipe in der Westerstraat. Vor den aus Amsterdam nach Arnheim translozierten Häusern entdecken wir ein gusseisernes Pissoir, das allerdings nicht zu nutzen ist. Nebenan preist eine Gemüseverkäuferin ihre Ware an, die sie auf einem Fahrrad-Karren durch die Straßen transportierte. Audiovisuelle Animationen erleichtern den Besuchern von heute das Eintauchen in soziale Milieus, die zumeist gänzlich unbekannt sind.
„Gemüse, frisches Gemüse!“ – eine fahrende Gemüsefrau unterwegs im Jordaan
Gleich zu Beginn des Rundgangs treffen wir auf Kontraste, die nicht größer sein können, hier die Häuser aus dem Jordaan und dort das Lagerhaus für Holz des Holzhändlers und Schiffsbauers Peltenburg aus Haarlem, hier wohnen und dort arbeiten als die Themen, die wir auf Schritt und Tritt im Museum erleben können. Eingestellt wurde nicht nur der Schiffsbau, sondern auch der Holzhandel in den 1960er Jahren. Wiedererrichtet im Museum im Jahr 1971 dient es seither einem Zweck, dem alten Zweck: der Lagerung von Holz bis unter das Dach.
Königlichen Besuch durch Königin Beatrix gab es bei der Eröffnung der Westerstraat (Jordaan) am 3.April 2012. Seither können Besucher in dieses Amsterdamer Quartier von einst eintauchen. Das Ensemble besteht u. a. aus dem Café Tante Stiene, einem Postamt von 1957, einer sogenannten Türkenpension, „Slumwonungen“ (nl krotwoningen) sowie dem Potterbakkersgang und einigen audiovisuellen Präsentationen, die den Ort des Geschehens überaus lebendig werden lassen. So kann man im Postamt das Gespräch am Paketschalter verfolgen und im Café feiernde Bewohner aus dem Jordaan erleben. Jedes Quartier in Amsterdam besaß über Jahrzehnte ein lokales Postamt. Hier konnte man Briefsendungen und Pakete aufgeben, am Automaten Briefmarken kaufen, telefonieren und Rundfunkgebühren bezahlen.
Immer herein spaziert ins Café Tante Stien
Nebenan im Café Tante Stiene (1974) wurde gefeiert, getrunken, gelacht und Schlagerabende mit Akkordeonmusik veranstaltet. Ob da wohl auch mal „Oh Johnny“ gesungen wurde? All das wurde in Schwarzweiß in Filmclips festgehalten, die man sich während des Cafébesuchs anschauen kann. Übrigens übervolle Aschenbecher künden von den Rauchern und auch manches Glas ist noch gefüllt. Nur die angestammten Gäste fehlen. Wer einen DAF fuhr, war in den Straßen mit diesem unterwegs. Nun parkt eines der beliebten Kleinwagenmodelle vor dem Café.
Ein Blick in eine Türkenpension
Wie es in einer sogenannten Türkenpension (1970) ausschaute, kann man auch erfahren. Im einem ehemaligen Tapetengeschäft wurde eine solche eingerichtet. Dass in Mehrbettzimmern, in Doppelstockbetten (!), gelebt wurde, war durchaus üblich. Der Fotograf Koen Wessing hat sich in Bildreihen mit derartigen Unterkünften beschäftigt, wie wir erfahren. Seine Fotos dienten zur Inszenierung der musealen Türkenpension. Seit 1964 war es in den Niederlanden gesetzliche Pflicht, bei Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften für angemessenen Wohnraum zu sorgen. Ob Mehrbettzimmer wirklich angemessen sind, fragt man sich beim Blick in den inszenierten Pensionsraum mit Recht.
Museumsbesucherin in der Töpfergasse
Mit Graffitis besprüht ist die enge Töpfergasse (nl Potterbakkersgang). Es war der Zugang zu Hinterhofwohnungen, die man im Behördendeutsch wohl als Substandardwohnungen bezeichnen würde. Einstmals lebten in solchen Hinterhofwohnungen neun Familien, wie wir dem Infotext entnehmen können. Beim weiteren Rundgang begegnen wir auch der ersten Hausärztin in den Niederlanden, die für die Bewohner der „Elendswohnungen“ kostenlose Sprechstunden abhielt. Die Inszenierung der Hinterhofwohnungen erhält museal ein Kapitel des Alltags im Jordaan, der längst verschwunden ist. 2001 hatte die Stadt Amsterdam deren Abriss beschlossen. Durch den musealen Wiederaufbau bekommen wir einen Einblick in das Leben der Familie Kicks, die von der Sozialhilfe lebte und von Geesje Marinus-Schnee, die ihren Unterhalt mit dem Pulen von Krabben verdiente.
Hier im Porträt: die erste Hausärztin der Niederlande Aletta Henriëtta Jacobs, die sich um die Bewohner der „Slumwohnungen“ im Jordaan kümmerte
Steigen wir für die weitere Erkundung des Museums mal in die Straßenbahn ein, von denen einige in dichter Fahrtfolge durch das Freilichtmuseum verkehren. Bei Regen kann man in einem historischen Wartehäuschen vom Vorplatz des Arnheimer Hauptbahnhofs warten. Straßenbahnen gibt es infolge der Zerstörungen während der Schlacht um Arnheim (1944) nicht mehr in der Stadt. Statt dessen sorgen O-Busse heute für den Nahverkehr.
„Einsteigen bitte, zurückbleiben!“– unterwegs mit der Tram im Museumspark
Nächster Straßenbahnhalt ist die Station „Landgoed“. Neben einer nach Vorbild von 1670 angelegten, barock anmutenden Gartenanlage mit Buchsbaumhecken ist es hier vor allem der Teepavillon aus Meppel der unser Interesse weckt. Derartige Pavillons kamen im späteren 18. Jahrhundert in Mode, als Teetrinken den Zeitgeist widerspiegelte. In Videointerviews verfolgen wir die Spuren des Sklavenhandels in Ghana und erfahren, dass es nicht die Niederländer waren, die im Kern den Handel vorantrieben, sondern zunächst die heimischen Ashanti, die dafür sorgten, das Sklaven an die Goldküste geschafften wurden. Dort wurden sie dann an weiße Sklavenhändler verkauft, wie einer der Interviewten erzählt. Mit ihm besuchen wir auch den Salaga-Sklavenmarkt, der nun nicht mehr existiert, sondern heute ein wichtiger Erinnerungsort ist. Nachkommen der einstigen Sklaven leben im Übrigen immer noch in Salaga.
Besuch im Teepavillon, um der Geschichte der Sklaverei auf den Grund zu gehen
Ein anderes Kapitel der niederländischen Kolonialzeit wird im Indonesischen Hof erzählt. Ganz wichtig ist die Gartenanlage, in der Ingwer, Orchideen, Bambus, Fleißiges Lieschen, Gerbera und Blumenrohr gedeihen. Der Garten war Lebensmittelpunkt in der alten Heimat, die Familien wie die Familie Bloem verließen. Sie fühlten sich mehr den Niederlanden verbunden als dem unabhängigen Indonesien. Auch Familie Ottenhoff „flüchtete“ 1952 in die Niederlande und lebte jahrelang auf zwei Zimmern in Pensionen, ehe in Den Haag eine Neubauwohnung bezogen wurde und damit ein Leben jenseits eines „indonesischen Hofgartens“ begann. Ob die Familie wohl noch immer Rattanmöbel besitzt? Mit diesen ist jedenfalls das „Indonesische Haus“ möbliert. Hier finden wir auch eine Platte der Blue Diamonds, einst ein niederländisch-indonesisches Doo-Wop-Duo der 1960er Jahre.
Gesundheitszentrum des Grünen Kreuzes
Der Geruch von Bohnerwachs und Lysol sowie ein fröhlicher Badender und Babygeschrei erwarten uns im Grünen-Kreuz-Gebäude aus Wessum von 1954. Hier erhalten wir Einblick in die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge jener Zeit. Am Eingang erwartet uns eine Schwester in Tracht, die mit ihrer Solex unterwegs ist. Im Inneren kümmert sich nicht nur ein Arzt in seinem Sprechzimmer um das Wohlergehen von Mutter und Kind, sondern in einem anderen Raum auch eine Schwester. Integriert in die Station zur Gesundheitsvorsorge ist ein Badehaus. Hier nimmt tatsächlich ein vor sich hin singender Mann ein Wannenbad, dank an die geschickte museale Inszenierung.
Schwestern vom Grünen Kreuz versorgen Säuglinge im Gesundheitszentrum
Es gibt, daran zweifeln selbst eingefleischte Skeptiker nicht, keine andere Stadt in Europa, die sich so häufig und konsequent neu erfindet wie Amsterdam. Würde man die jüngste Entwicklung der Stadt an der Amstel im Zeitraffer betrachten, käme ihr Wandel einer großartigen Kulissenschieberei gleich. Weg vom Schmuddelimage, hin zur Kunst-, Architektur- und Ausgehmetropole par excellance. Ohne dabei jedoch ihren individuellen Charme hinter hochglanzpolierten Sujets leugnen zu wollen.
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Windmühlen, Holzschuhe, Käse, Tulpen und Fahrräder; legale Drogen, Coffeeshops, Prostitution und Homo-Ehe - Klischees gibt es viele über die Niederlande, und sie ergeben ein ziemlich widersprüchliches Bild von unserem westlichen Nachbarn. Dementsprechend zieht das Polderland auch sehr unterschiedliche Urlaubertypen an.
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Kaum irgendwo stimmt der Slogan 'Neuland entdecken' so wie hier, in oder besser auf Flevoland, der neuesten Provinz der Niederlande. Sie entstand ab 1939, als man begann, die Zuidersee trocken zu legen. Ein Jahrhundertprojekt, das erst 1968 seinen Abschluss gefunden hat. Die Siedler, die es auf die neu gewonnenen Polder und die neuen Städte zog, waren Pioniere.
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New York, Las Palmas, Montevideo. Begriffe, die Fernweh wecken, die an Amerika, Uruguay oder Spanien denken lassen. Doch weit gefehlt – das Hotel New York, das Restaurant Las Palamas und der 152,3 Meter hohe Montevideo-Wolkenkratzer, der im Jahr 2005 eröffnet wurde, befinden sich allesamt im niederländischen Rotterdam – und zwar in einem Gebiet, das lange Zeit zum Rotterdamer Hafen gehörte, ab den 60er Jahren aber zu verfallen drohte.
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