Text und Fotos: Rainer Heubeck
New York, Las Palmas, Montevideo. Begriffe, die Fernweh wecken, die an Amerika, Uruguay oder Spanien denken lassen. Doch weit gefehlt – das Hotel New York, das Restaurant Las Palamas und der 152,3 Meter hohe Montevideo-Wolkenkratzer, der im Jahr 2005 eröffnet wurde, befinden sich allesamt im niederländischen Rotterdam – und zwar in einem Gebiet, das lange Zeit zum Rotterdamer Hafen gehörte, ab den 60er Jahren aber zu verfallen drohte. Seit 1992 mit dem Städtebauprojekt Kop van Zuid begonnen wurde, erwacht das Viertel, das direkt am Ufer der Neuwen Maas gelegen ist, wieder zu neuem Leben. Dort, wo früher ein Zentrum des niederländischen Kolonialhandels war, woran heute noch Aufschriften wie Borneo, Sumatra und Java an den alten Lagergebäuden erinnern, hat sich eine hippe und schicke Kultur breit gemacht, die auf einen kontrastreichen, aber gelungenen Mix aus alt und neu setzt.
Blick auf den Kop van Zuid: Links das 152,3 Meter hohe Montevideo-Gebäude, in der Mitte das World Port Center von Sir Norman Forster, rechts das Hotel New York
So sind es vom Gebäude des World Port Centers, einem 124 Meter hohen runden Glaspalast, der vom britischen Stararchitekten Sir Norman Foster entworfen wurde, nur wenige Meter bis zum Hotel New York, einem Luxushotel, das im 1901 gebauten Verwaltungs- und Abfertigungsgebäude der Holland-Amerika-Linie an der Wilhelminakade untergebracht ist. Zwischen 1880 und 1925 wanderten von Rotterdam aus fast eine Million Menschen nach Nordamerika aus. Ein Aufbruch zu neuen Ufern, der später nach Rotterdam zurückstrahlen sollte. Denn Rem Kohlhaas, der wohl bedeutendste in Rotterdam ansässige Architekt, wurde bei der Entfaltung seines Stils von der Architektur Manhattans und der dort manifestierten „Kultur der Verdichtung“ geprägt. „Der interessanteste Aspekt der Architektur“, so das Credo des Star-Architekten, dessen Büro unter anderem für die Gestaltung des spektakulären CCTV-Gebäudes in Peking verantwortlich zeigt, „ist der Aufbruch in neue Welten, statt in alten zu verharren.“
Doch obgleich Kohlhaas durch das von ihm mit gegründete Office for Metropolitan Architecture (OMA) von Rotterdam aus Architekturgeschichte schrieb, sind die Spuren, die er in seiner Heimatstadt hinterlassen hat, eher spärlich gesät. Das wohl markanteste Kohlhaas-Gebäude in Rotterdam, einer Stadt, die zuweilen als das europäische Manhattan bezeichnet wird, ist zudem kein Wolkenkratzer, sondern die avantgardistisch gestaltete Rotterdamer Kunsthalle, die 1992 errichtet wurde. „Mit diesem Gebäude“, so berichtet die Architekturstudentin Sereh Mandias, die Touristen als so genannter Archiguide per Fahrrad durch Rotterdam führt, „ist Kohlhaas international bekannt geworden. Außergewöhnlich ist die große Glasfassade, die es ermöglicht, die ausgestellten Kunstwerke bereits von außen zu sehen, die Gliederung des Gebäudes durch Wege, die hindurch führen und die Verwendung unterschiedlichster Baumaterialien – Stein, Glas, Naturstein und Kunststoff.“
Die Rotterdamer Kunsthalle aus der Feder des Architekten Rem Kohlhaas
Modernistische Avantgardearchitektur hat in Rotterdam freilich bereits lange vor den 90er Jahren begonnen. Die Villa Sonneveld, die dem nationalen Architekturmuseum angeschlossen ist, zeigt, dass Rotterdamer Großbürger schon vor mehr als siebzig Jahren ihrer Zeit voraus waren. Große, helle Räume, statt kleine verschachtelte Zimmer, bunte statt eintönige Ausstattung, viele Kontaktmöglichkeiten von drinnen nach draußen – wer die Villa Sonneveld besucht kann sich vorstellen, dass das Gebäude und die vom Art Deco beeinflussten, zum Teil verchromten Designmöbel in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der letzte Schrei waren. Doch nein, das Gebäude, das einem der Direktoren der Van Nelle Fabrik gehörte, einem weiteren Rotterdamer Architekturdenkmal, stammt aus dem Jahr 1933 – und ist ein Paradebeispiel für das Nieuwe Bouwen, die niederländische Variante des Modernismus.
Modern Wohnen in den 30er Jahren: Die Villa Sonneveld
Tradition oder Moderne – diese Frage stellte sich in Rotterdam vor allem in den 40er Jahren. Denn die Innenstadt der holländischen Hafenstadt war im Zweiten Weltkrieg von der Luftwaffe Nazideutschlands fast vollständig zerstört worden. „Nach dem Krieg“, so berichtet Archiguide Sereh Mandias, „gab es intensive Diskussionen darüber, ob man das alte Rotterdam wieder aufbauen sollte oder ob man die Stadt modernistisch gestalten soll. Die Modernisten setzten sich seinerzeit durch.“ Eines der augenfälligsten Gebäude aus dieser Zeit ist das 1953 errichtete Groot Handelsgebouw direkt neben dem Rotterdamer Hauptbahnhof. Hier wurden zahlreiche kleine Geschäfte, die durch die Brände im Jahr 1940 zerstört worden waren, neu angesiedelt.
Das Groot Handelsgebouw neben dem Rotterdamer Hauptbahnhof – ein Symbol des Wiederaufbaus der im 2. Weltkrieg zerstörten Stadt
Auch im ursprünglichen Zentrum Rotterdams, dort wo einst am Ufer des Flusses Rotte ein kleines Fischerdorf gewesen war, hat sich längst die Moderne durchgesetzt. Am auffälligsten sind hier zweifellos die 38 vom mittlerweile verstorbenen Star-Architekten Piet Blom entworfenen Kubuswohnungen. Sie sind oberhalb einer Fußgängerbrücke in der Nähe des Marktplatzes anzufinden und erwecken den Eindruck, als hätte ein Riese eine Reihe schwarz-gelber Würfel kunstvoll aufgereiht und ineinander verschachtelt. Ein Bauwerk, das auch aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts stammt, aber noch immer seiner Zeit voraus ist.
Architektonisches Highlight: Die von Piet Blom gestalteten Kubuswohnungen bestehen aus 38, ineinander verschachtelten schwarz-gelben Würfeln
Apropos ungewöhnlich wohnen – ungewöhnliche Architektur lässt sich in Rotterdam nicht nur von außen betrachten, sondern auch hautnah erleben. Zum Beispiel durch eine Buchung im Hotel Stroom, einem Elektrizitätswerk, das zu einem Hotel mit modern eingerichteten Studios umgerüstet wurde. Oder bei einer Übernachtung im Euromast, einem vor fünfzig Jahren gebauten Aussichtsturm, der neben einem Panoramarestaurant, das einen einzigartigen Ausblick auf die Stadt Rotterdam und auf die Erasmusbrücke bietet, auch über zwei Suiten verfügt, die es Gästen ermöglichen, in gut 100 Metern Höhe luxuriös und komfortabel zu nächtigen. „Wir haben uns wirklich gefühlt wie im Himmel, alles war perfekt“, schrieb ein brasilianisches Paar, das ein Übernachtungspaket inklusive Champagner gebucht hatte, am Tag vor dem Rückflug nach Brasilien ins Gästebuch.
Schlafen fast wie im Himmel: eine Suite auf dem Rotterdamer Euromast
Vom Euromast aus lohnt es sich, nicht nur Richtung Kop van Zuid zu blicken, wo das Montevideo-Hochhaus und das Gebäude der World Port-Organisation in den Himmel ragen, sondern auch Richtung Lloydsquartier, ein weiteres Viertel, das sich vom Hafen- und Lagergebiet zum In-Viertel gewandelt hat. Heute finden sich hier Theater und Fernsehstudios, das Hotel Stroom, sowie eine Reihe von Loftwohnungen, die in ehemaligen Speichern für Kaffee und Tee untergebracht sind. Am markantesten freilich ist das Gebäude der Hochschule für Schifffahrt- und Transport. Die Hochburg der maritimen Wissenschaft, die direkt am Ufer der Niuwen Maas liegt, ist in einem Gebäude untergebracht, das aus Seetransportcontainer zusammengesetzt zu sein scheint. Der Hörsaal im obersten Stockwerk scheint in knapp siebzig Meter Höhe ins Nichts zu ragen. Eine architektonische Meisterleistung, die aus der Feder von zwei Rotterdamer Architekten stammt: Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk. Ein international erfolgreiches Rotterdamer Architektenduo, das ein Faible hat für rubensartige Formen und den Anspruch stellt, durch seine Gebäude „Skulpturen in der Stadt“ entstehen zu lassen. Und das, ebenso wie Rem Kohlhaas, leidenschaftlich gerne zu neuen architektonischen Ufern aufbricht.
Skulpturen in der Stadt: Das Gebäude der Hochschule für Schifffahrt- und Transport im Rotterdamer Lloydsquartier, gebaut nach Plänen von Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk
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