Per Rad durch den Slowinzischen Nationalpark

An der polnischen Ostseeküste unterwegs

Text und Fotos: Angelika Wilke

Die Socken sind noch feucht von der letzten Pfütze, der ich mit dem Rad nicht schnell genug ausgewichen bin. Angesichts von fünf Kranichen auf der Wiese gegenüber der schmalen Landstraße werden kalte Füße jedoch unwichtig. Die bis zu 1, 20 Meter großen Stelzvögel mit dem schwarz-weiß-rot gezeichneten Kopf versuchen, gleichzeitig majestätisch schreitend nach Essbarem zu fahnden und trotz aller Würde auf der Hut zu bleiben. Es gelingt ihnen gut.

Polen - Slowinzischer Nationalpark - Kuhtrieb an der 213

Kuhtrieb an der "213"

Wer von Słupsk (Stolp), der alten pommerschen Hansestadt, aus Richtung Ostsee nach Smołdzino (Schmolsin) radelt, wird gleich von einer der schönsten Seiten des Słowiński Park Narodowy, des Slowinzischen Nationalparks, begrüßt. Aber nur, wenn man die durch ein Schild angekündigte Wald-Radroute zwischen Swochowo und Karzcino nimmt und nicht auf der rasant befahrenen „213“ sein Leben riskiert. Verschwiegene Wege ziehen sich durch Nordpolens endlose Wälder – bei diesem hier ist der Sand gut festgefahren; das Rad bleibt trotz Gepäck nicht stecken. Kiefern riechen nach Ferien, Birken säumen Heide und Moore. Um die vielfältige Pflanzen- und Vogelwelt zu schützen, wurde das Gebiet zwischen den Ferienorten Rowy und Łeba 1967 als UNESCO-Biosphärenreservat eingerichtet. Erkunden lässt es sich am besten per Rad, zumal man sich  in den „Skleps“, Tante-Emma-Lädchen, die es nahezu in jedem Dorf gibt, gut und für uns sehr preiswert verproviantieren kann.

Polen - Slowinzischer Nationalpark - Ferien-Bauernhof „U Kaluca“ in Smoldzino

Ferien-Bauernhof „U Kaluca“ in Smoldzino

Das Winzlingsstädtchen Smołdzino zwischen Gardno- und Łebsko-See liegt für Ausflüge günstig. Hier gerate ich auf dem Ferien-Bauernhof  „U Kałuca“ unter die Fittiche der Bäuerin Pani Kałuc. Das Rad kommt in die Scheune,  die Socken auf das Ofenrohr in der Küche des Gästehauses, auf dessen Dach eine Solaranlage installiert ist. Zum Aufwärmen gibt es Kekse und ein Glas Kaffee, Standard-Service bei Pani Kałuc. Der Kaffee ist nach Landesart glühheiß und ungefiltert. Viel Milch, kräftig umrühren und ein bisschen Geduld, bis der Kaffeesatz abgesunken ist – dann verbrennt man sich nicht die Zunge, und es schmeckt richtig gut.
Ebenso wie das Frühstück im Wintergarten. Schade nur, dass wir uns zur Verständigung auf ein paar Brocken Polnisch, Deutsch und Russisch beschränken müssen. Das Wort „Arbeit“ kennt Pani Kałuc in allen drei Sprachen, und so ist sie schon wieder unterwegs, um die Hühner zu füttern und das Gartenhaus zu schrubben.

Ich lasse mich vom Wind, der in Ostseenähe meist aus Westen bläst, nach Kluki (Klucken) tragen. Wildgräser wehen auf weiten Wiesen, Störche wollen nicht fotografiert werden und breiten ihre Schwingen zum Abflug aus. Der sparsame Einsatz von Chemie auf Wiesen und Feldern mag zwar mehr finanzielle als ökologische Gründe haben – den Störchen jedoch kommt er zugute, denn so hat sich der Lebensraum ihrer Beutetiere erhalten. Darum ist ein Viertel des Weltbestandes an Störchen in Polen zuhause. Diese frohe Botschaft klappern die Langbeine allerorten von den Dächern, man hört sie, besonders wenn man nach Süden aus Smołdzino herausradelt, in nahezu jedem Dorf bis zur „213“.

Polen - Slowinzischer Nationalpark - slowinzischer Friedhof von Kluki

Slowinzischer Friedhof von Kluki

Ganz still hingegen ist es auf dem alten slowinzischen Friedhof vor Kluki. Ihm rückt junger Eichenwald zu Leibe, die schiefen Kreuze sinken allmählich den zu ihren Füßen ruhenden Toten entgegen. „Schlaf in süßer Ruh, Elternliebe deckt dich zu“ ist der letzte Wunsch für einen Säugling. Er wäre jetzt 67 Jahre alt und vermutlich längst in die Bundesrepublik ausgereist. Die Slowinzen nämlich, ursprünglich Fischer und Bauern slawisch-kaschubischer Herkunft, wurden nicht nur früh evangelisch. Im Lauf der Jahrhunderte deutscher Verwaltung in Pommern übernahmen auch viele von ihnen die deutsche Sprache und Kultur. 

In den Nachkriegsjahren wurden deswegen Slowinzen, genauso wie die meisten Deutschen, zwangsausgesiedelt. Unter dem Druck polnisch werden zu müssen, reisten auch später noch viele aus, vor allem in die Bundesrepublik. In den 70er Jahren wäre Kluki fast ein Geisterdorf geworden, hätte man nicht aus einigen der verlassenen Höfe ein Freilichtmuseum gestaltet; heute zählt es zu den besten Polens. Als sei erst am Abend vorher das letzte Fischernetz unter die Deckenbalken gehängt worden, so lebendig dokumentieren Häuser und Inventar slowinzisches Leben, das fest mit Gott und Arbeit, wie Torfstechen oder der Eisfischerei im nahen  Łebsko-See, verbunden war. Das Museum hat Kluki wieder lebendig gemacht. Kinder quengeln, während ihre Eltern in mit kaum mehr als Bett, Christuskreuz und Nachtopf eingerichtete Kammern blicken, Frauen verkaufen in Fett gebackene leckere „Oblónki“, Busse rollen an, ein Gasthaus bietet Unterkunftsmöglichkeiten. 

Polen - Slowinzischer Nationalpark - Fischerhütte im Freilichtmuseum Kluki

Fischerhütte im Freilichtmuseum Kluki

Durch eine von Gras und Schilf bedeckte Prärielandschaft ziehen Kluki-Besucher zum Łebsko-See. Von der Ostsee nur durch einen schmalen Streifen Land, die Nehrung, getrennt, ist der riesige, allerdings höchstens rund sechs Meter tiefe See eigentlich ein Haff. Angesichts der windgepeitschten Wasserfläche scheint es kaum möglich, dass die Kluckener Fischer sich hier mit ihren klobigen Holznachen zum Fang hinausgewagt haben. Dabei befuhren sie sogar das Meer, um Seefisch zu erbeuten. Dann hausten sie in kargen Fischerhütten auf der Nehrung, die sich 18 Kilometer lang von Czołpino bei Smołdzino bis hin nach Łeba erstreckt. Von diesen Hütten haben Sand und Stürme nichts übrig gelassen. Stattdessen führt heute ein Wanderweg über die Nehrung,  vorbei an riesigen Dünen. Bräsig scheinen sie an den einsamen Stränden zu ruhen - ein trügerisches Bild. Entstanden durch angespülten Sand, der ins Land geweht wurde, wälzen sich diese Wanderdünen immer tiefer, jährlich bis zu zehn Meter weit, ins Land hinein.

Polen - Slowinzischer Natioanlpark - Wanderdünenlandschaft

Wanderdünenlandschaft

Ganze Dörfer und Wälder haben die 30 bis 40 Meter hohen Giganten auf ihrem Weg „verschlungen“ und wieder freigegeben. Wer sehen möchte, wie der Sand Kiefernstämme einkesselt, um sie mit der Zeit zu verschütten, radelt am besten, an der Abzweigung zum Leuchtturm vorbei, bis zum Ende des Waldwegs hinter dem Parkplatz bei Czołpino. Von hier aus geht es zu Fuß durch die „Polnische Sahara“, auf und ab, in sandige Täler und hinauf zu zerklüfteten Dünengraten. Direkt an der Ostsee steht ein Wäldchen. Das haben die Dünen  freigelassen.

Polen - Slowinzischer Nationalpark - Aufstieg auf eine alte Wanderdüne zum Leuchtturm bei Czolpino

Aufstieg auf eine alte Wanderdüne zum Leuchtturm bei Czolpino

Information

Freilichtmuseum Kluki: Der Skansen hat vom 15. Mai bis 15. September von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Montags ist nur ein Gehöft von 9 bis 15 Uhr zugänglich. Vom 16. September bis 14. Mai kann man das Freilichtmuseum zwischen 9 und 15 Uhr besuchen, außer am 1. Januar, 1. November, 25. Dezember und am Ostersonntag. Museumsliteratur auf Deutsch ist reichlich

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseveranstalter Polen bei schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Polen

Vom Badeurlaub an der über 500 Kilometer langen Ostseeküste über Erkundungen im stillen Masuren oder in einem der 22 Nationalparks bis zum Wintersport in der Hohen Tatra oder im Riesengebirge; von Visiten der Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes bis zu sehenswerten Städten wie Warszawa (Warschau), Kraków (Krakau) - ein touristischer "Aufsteiger" jüngerer Zeit -, oder Torun (Thorn): Das Reiseland Polen bietet vielfältige Möglichkeiten, ob nun Aktivurlaub oder Kultur-Tour. Und: Eine Reise dorthin ist auch immer eine Reise auf den Spuren deutscher Geschichte, für die die Deutschordensritter- Burg Malbork (Marienburg) ebenso steht wie die KZ-Gedenkstätten von Oswiecim (Auschwitz) und Majdanek (Maidanek).

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